piwik no script img

Frauenliste - eine „andere Politik“?

■ Grün–alternative Frauen in der Hamburger Bürgerschaft / Bilanz eines neuartigen Experiments

Während in anderen Parteien heftig über mehr Frauen in die Politik gestritten wird, ging die Hamburger Grün–alternative Liste (GAL) einen Schritt weiter. Zu den Wahlen zur Hamburger Bürgerschaft im November vergangenen Jahres trat sie mit einer „Frauen–Liste“ an. Bis heute konnten die Frauen außerparlamentarische Erfolge ebenso einheimsen wie parlamentarische. Die innerparteilich umstrittene Frauenliste konnte sich so gut etablieren, daß sie zu den Neuwahlen im Mai wieder antreten wird.

Erstmalig in der Geschichte des Parlamentarismus zog vor 100 Tagen eine reine Frauenfraktion für eine „gemischte Partei“ in die Hamburger Bürgerschaft ein. „Das ist kein Erfolg, das ist ein Mißerfolg! Das ist genauso eine Katastrophe, als wenn es nur Männer wären!“ (CDU–Oppositionsführer Hartmut Perschau). Einer der ersten Zwischenrufe, den die Einstandsrede des jüngsten Mitglieds der Frauenfraktion und der Bürgerschaft, Erika Romberg, provozierte, mag auch eine Folge des Blitzlichtgewitters gewesen sein, das sich kurz zuvor über den dreizehn, im Nadelstreifenanzug parlamentsfein gemachten Frauen entladen hatte. Die wahren dunklen Anzüge im Rathaus, Klaus von Dohnanyi und Hartmut Perschau, standen derweil mit griesgrämigen Gesichtern im Abseits des Medieninteresses. Mancher Parlamentarier kann es noch immer nicht unkommentiert ertragen, wenn die GALierinnen konsequent von „Bürgerinnen“ sprechen (und Männer in dieser Formulierung mitmeinen), so ist die Frauenfraktion doch im Großen und Ganzen schon allseits respektierter Bestandteil des Parlamentsalltags geworden. „Gut und schnell eingearbeitet, fleißig und sachkompetent“ - diese Attribute sind nicht nur aus den eigenen Reihen der GAL zu hören. Redetalent und Schlagfertigkeit, mit denen z.B. die Verkehrsexpertin Conny Jürgens den Autofetischismus ihrer Parlamentskollegen aufs Korn nimmt oder Heide Neitsch dem Bürgermeister aufgrund seiner „mediterranen Sehnsüchte“ den Ausstieg in Richtung Florenz empfiehlt (es ging um das Projekt verglaster Laubengänge quer durch die Stadt), führen auch schon mal zu Komplimenten aus dem Lager der Konservativen. Aber auch die „unparlamentarischen“ Auftritte hat es gegeben: Als GAL–Abgeordnete einen Schuppen im Hamburger Hafen aufbrachen, um Waffenexporte nach Südafrika nachzuweisen, als die Fraktion nach dem Smog–Alarm mit Atemschutzmasken ins Rathaus einzog, oder als Adrienne Göhler die „Senatsjagd“ in Begleitung von Tierschützern besuchte, die aufgebauten Hochsitze zusammenklappten und die flintgengerecht zusammengetriebenen Tiere verscheuchten. Aber ist das schon „andere Politik“? Der Anspruch, unter dem zumindest ein Teil der Kandidatinnen ins Rathaus eingezogen war, scheint zur Zeit vor allem eine Folge zu haben: ungeheure Arbeitsbelastung. Daran haben sicher auch die „Hamburger Verhältnisse“ ihren Anteil, weil sie es bislang nicht erlaubten, sich in einer klaren Oppositionsrolle einzurichten und der GAL eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit bescherten. „Historisches Experiment“ Aber genauso schwer wiegt das Bewußtsein vom hart erkämpften, einmaligen „historischen Experiment“, dessen Gelingen jetzt unter Beweis gestellt werden muß. „Und es ist auch sehr frauenspezifisch“, meint die Abgeordnete Ingeborg Glock, „daß du ständig meinst, du mußt besonders gut sein, besonders kompetent und das Ganze auch noch witzig und charmant vortragen.“ Die Angst, sich eine Blöße zu geben, eine Unsicherheit zu zeigen, werde so zur ständigen Begleiterin - auch in den zahlreichen Ausschußsitzungen, wo Wissens– und Standpunktlücken zwar peinlich, aber politisch zunächst folgenlos sind. Fraktionssitzungen, ausschüsse, Bürgerschaft, Veranstaltungen und Bürgerinnenkontakte finden zu „Feierabendzeiten“ statt. Die Frauen, die daneben noch einen vollen Berufsalltag zu bewältigen haben, sind zum Teil schon jetzt am Ende ihrer Kräfte. „Wenn ich bedenke, daß wir mit der Frauenliste eigentlich anderen Frauen Mut machen wollten und jetzt merke, wie gestreßt mich meine Kolleginnen erleben - die müssen ja die Hände über dem Kopf zusammenschlagen!“, stöhnt Ingeborg Glock. „Aber es macht auch Spaß!“ stellt Heide Neitsch fest. Der Einzug in die „sonnigste Wohnung“ der politischen Arbeit, die Entdeckung ungeahnter politischer Talente bei sich selbst und anderen ist für die berufstätige Mutter eines Kleinkindes „etwas, was ich schließlich auch für mich selbst mache“. Der Zusammenhalt, den die Frauen erleben, sobald sie im Parlament „dem Feind gegenüberstehen“, wirkt sich nur ganz langsam auf das Klima der Zusammenarbeit aus. „Die Frauen schenken sich gegenseitig nichts“, meint Fraktionsgeschäftsführer Herbert Schalthoff von der GAL. Keine Spur weiblicher Harmoniestrebungen - die Auseinandersetzungen seien eher noch härter als in den zwei vorhergegangenen Fraktionen. Gegenseitiges Mißtrauen - und zwar vor allem zwischen ehemaligen Frauenlistenbefürworterinnen und Skeptikerinnen - und eigene Unsicherheiten bestimmten den Verlauf der wöchentlichen, bis zu zehnstündigen, von 40 bis 50 Frauen und Männern besuchten Fraktionssitzungen, in denen jeder parlamentarische Akt haarklein durchgesprochen wird. Ein nervenzehrendes Geschäft. Eine Stunden in der Woche haben die dreizehn Frauen für sich alleine reserviert, um Frauenlisten–Internes zu besprechen. Versuchsweise soll jetzt umgesetzt werden, was in Adrienne Göhlers „Konzept“ für eine Frauenliste ehemals heiß umstritten war: Supervision. Eine außenstehende, psychotherapeutisch geschulte Frau soll helfen, Kommunikationshindernisse aus dem Weg zu räumen und sich ständig wiederholende Konflikte zu klären. Ein Versuch, der von den einen dringend erwünscht, von den anderen skeptisch abgewartet wird. Eine positive Bilanz der ersten hundert Tage scheint momentan denjenigen am leichtesten zu fallen, die von einer Frauenliste mehr äußere Signalwirkung als „andere Politik“ erwartet haben. Ulla Jelpke, die mit der Frauenfraktion zum zweiten Mal in der Hamburger Bürgerschaft sitzt, findet es „einfach toll, mitzukriegen, wieviel mehr Frauen in allen möglichen Zusammenhängen öffentlich auftreten, auch zu Themen wie Waffenexport oder Bauskandal.“ Dies auch im Unterschied zur SPD–Fraktion, die zwar auch mit erheblich mehr Frauen in die Bürgerschaft eingezogen ist, diese aber oft noch stark im Schatten ihrer „erfahrenen Fraktionskollegen“ operieren. „Aber da war doch was“, schreiben Unterstützerinnen und Nachrückerinnen in einem Rundbrief zum Thema Frauenliste, „wir wollten aufzeigen, wie Frauen machtvoll sein können, ohne zu HERRschen und die spezifischen feministischen Aspekte in allen Politikbereichen herausstellen, daraus abgeleitet, dem anderen Blickwinkel von Frauen auf die Spur kommen.“ Ein Anspruch, der sich weder in 100 Tagen noch von 13 Abgeordneten einlösen läßt. Deshalb wird zur Gründung eines Weiberrates aufgerufen, der der Frauenliste zuarbeiten, Veranstaltungen und Aktionen planen und die Arbeit der Ratsfrauen schreibend und wissenschaftlich begleiten soll. Ein möglicherweise sehr notwendiges Mittel, um zu verhindern, daß der Elan und die Idee der Frauenliste in den Anstrengungen untergehen, die der Parlamentsalltag und ein neuer Wahlkampf mit sich bringen wird. Irene Stratenwerth

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen