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Frauenbuchhandlung in BerlinFrau hat was zu sagen

In Neukölln will Emilia von Senger „She said“ eröffnen: Eine Buchhandlung, die nur Werke von weiblichen und queeren Autor*innen führt.

Emilia von Senger auf der Baustelle in den zukünftigen Räumen ihrer Buchhandlung Foto: Julia Baier

Wenn Emilia von Senger beginnt, über Bücher zu reden, werden ihre Erzählungen immer schneller. Man merkt ihr an, dass sie wohl stundenlang über Bücher reden könnte. Ihre begeisterten Erzählungen wecken den Wunsch, sofort in die nächste Buchhandlung zu stürmen, um sich ein Buch zu kaufen – und zwar nicht irgendeines, sondern das einer Frau.

Ab September kann man das dann auch direkt bei von Senger tun. Sie eröffnet am Kottbusser Damm in Neukölln eine Buchhandlung, in der es ausschließlich Werke von Autorinnen und queeren Autor*innen geben wird. „Es geht um die Welt, in der wir leben und in was für einer Welt können wir leben, in dem die Hälfte der Wahrnehmungen nicht als wichtig genug angesehen werden“, sagt von Senger. Und dass sie Frauen einen Platz für ihre Geschichten bieten und so helfen will, eine Gleichberechtigung herzustellen, die es bisher nicht gibt.

Die Buchhandlung wird den Namen „She said“ tragen. Und diesen Namen hat sie natürlich aus einem Buch. Im Vorwort der Anthologie „Sagte sie“ (2018) stellte die Herausgeberin Lina Muzur die englische Redewendung „he said, she said“ vor. Ein kurzer Satz, der den Moment beschreibt, wenn zwei Personen eine gemeinsam erlebte Situation unterschiedliche auffassen und schließlich auch unterschiedlich beschreiben: „Sagte er, sagte sie“. Der Mann erzählt also seine Geschichte und die Frau eine andere.

Muzur schreibt: „Und weil es durchaus sein könnte, dass wir schon zu lange und zu oft seiner Version der Geschichte zugehört und Glauben geschenkt haben, soll in dieser Anthologie ausschließlich ihre Sicht der Dinge erzählt werden: Sagte sie.“ Diese Aussage beeindruckte von Senger: „Das sagt genau das aus, worum es in meiner Buchhandlung geht. Darum die erzählende Perspektive von Frauen und queeren Autor*innen sichtbarer zu machen. An diesem Ort findet ihr ihre Geschichten.“

In den 1970ern erfunden

Damals In Paris gründete 1974 ein feministisches Kollektiv die erste Frauenbuchhandlung „Librairie des Femmes“. Im November 1975 wurde in München der erste Buchladen für Frauen in Deutschland eröffnet. Im „Lillemors Frauenbuchladen“ findet man heute noch ein umfassendes Sortiment von Autorinnen und feministischer Literatur. Zur Zeit der Gründung durften Männer den Buchladen nicht betreten, das war in vielen Frauenbuch­läden üblich. Die Spezialisierung auf ein frauenspezifisches Angebot reichte mit der Zeit nicht mehr aus, deshalb schlossen vielen Frauen­buchläden oder erweiterten ihr Angebot um Literatur von Autoren.

Heute Insgesamt stehen viele Buchläden unter Druck, da die Konsument*innen dazu neigen, ihre Bücher im Onlinehandel zu erwerben. 2013 eröffnete „fembooks“, ein Onlineshop für feministische, emanzipatorische und lesbisch_queere Bücher und Medien.

Instagram @emilia__antonina: die Gründung der Buchhandlung lässt sich unter @shesaidbooks verfolgen. (taz)

Auch Männer willkommen

Nur Bücher von Autorinnen und queeren Autor*innen anzubieten, klingt nach einem neuen Konzept. Doch sogenannte Frauenbuchhandlungen waren in den 80er Jahren in Deutschland weit verbreitet. Dort gab es Bücher, die in den klassischen Buchhandlungen bisher keinen Platz fanden. Teilweise war es Männern sogar verboten, die Geschäfte zu betreten, um den Frauen einen Schutzraum zu bieten.

In der Buchhandlung von Emilia von Senger gibt es so ein Verbot nicht, ganz im Gegenteil: „Ich wünsche mir, dass auch Männer bei mir Autor*innen entdecken.“ Bei „She said“ soll der zwischenmenschliche Austausch im Fokus stehen. Der Austausch von Sichtweisen und Erlebnissen: „Ich lege einen Fokus auf die Gemeinschaftsbildung. Es soll ein Ort sein, an dem diskutiert wird. Außerdem soll es ein Ort der Inspiration werden. Zum Beispiel wird man bei mir Bücher von Autor*innen wiederentdecken, die in Vergessenheit geraten sind.“

Von Senger versucht selbst, seit einigen Jahren vor allem Bücher von Autorinnen zu lesen. Ausschlaggebend dafür war auch wieder ein Buch. Mit Mitte 20 liest sie zum ersten Mal Sylvia Plath. „Es hat wirklich mein Leben verändert, ohne sie wäre ich heute nicht hier.“ Und da habe sie sich gefragt: „Wie kann es sein, dass ich so viel gelesen habe, aber noch nie so etwas?“

In „Die Glasglocke“ schreibt Plath über das Leben einer jungen Frau in den 1960ern und die gesellschaftlichen Erwartungen, die an sie gestellt werden. Dank dieses Werks wird von Senger klar, wie wenige Autor*innen sie kennt. Das lag wohl auch daran, dass Schulen oft der erste Ort sind, an dem junge Menschen in Berührung mit älteren Romanen kommen und dort meist männliche Autoren gelesen werden.

Einfach anfangen

Diesen Kanon kann Emilia von Senger heutzutage nicht mehr nachvollziehen. Während der Schulzeit war sie ein Fan von Max Frisch: „Er ist ein toller Autor, aber was macht es mit jungen Menschen, wenn ihre einzigen Identifikationsfiguren alte weiße Männer sind?“

Nach dem Werk von Sylvia Plath begann von Senger, stärker darauf zu achten, von wem die Bücher verfasst wurden. Sie wollte nun genauso viele Bücher von Frauen lesen, wie sie von Männern las. Zu Beginn gar nicht so einfach, erklärt von Senger: „Ich kannte kaum Autor*innen und habe mich auch nicht getraut, mich beraten zu lassen. Doch wenn man einmal anfängt, geht es bald von alleine. Die eine Autor*in erwähnt die nächste und so weiter.“ Inzwischen lese sie mehr Bücher von Frauen als von Männern.

Aber sollte das überhaupt ein Anspruch sein? Sollte man darauf achten, welches Geschlecht hinter dem Buch steckt? Von Senger sagt, sie treffe auch auf Leute, die mit ihrem Konzept zunächst überhaupt nichts anfangen könnten. Schließlich sei für viele Menschen doch nicht der Kopf hinter dem Buch entscheidend, sondern die Qualität des Buches.

Darauf reagiert sie sehr geduldig: „Ich versuche ihnen dann ruhig zu erklären, wie unser Verständnis von Qualität von dem geprägt ist, was wir in unserem Leben vorgelebt bekommen haben. In dem wir mehr Frauen lesen, verändert sich auch unsere Wahrnehmung von Qualität und möglichen Themen für Literatur.“

Immer ein Buch in der Hand

Vor allem mit Männern spricht sie über dieses Thema. „Dabei ist es für Männer doch auch relevant, dass sie lange Zeit nicht lesend in die Lebenswelten des anderen Geschlechts eingetaucht sind.“ Genau dieser Wahrnehmung möchte von Senger in ihrer Buchhandlung viel Platz einräumen.

Dass sie einmal eine Buchhandlung eröffnen wird, stand für sie schon länger fest. „Ich hatte als Kind immer ein Buch in der Hand“, erklärt sie. Doch zunächst studiert sie Politikwissenschaften und arbeitet im Bildungsbereich. Bis sie schließlich krank wird und für fünf Monate zu ihrer Mutter zieht. Sie kann während dieser Zeit kaum das Haus verlassen. Stattdessen greift sie zu Büchern – und öffnet sich ein virtuelles Fenster: Instagram.

In dem sozialen Netzwerk rezensiert sie die Bücher, die sie liest, und tauscht sich mit anderen Menschen darüber aus. Sie tritt einer großen Community bei, von der sie bisher gar nichts wusste. „Ich war total naiv und dachte, ich wäre die Erste mit dieser Idee“, erzählt von Senger lachend.

In der „Bookstagram“-Community finden sich bisher über 39 Millionen Beiträge. Use­r*in­nen nutzen die Plattform, um sich Lesetipps zu holen, über Bücher zu sprechen und sie zu rezensieren. Ein großer Leseclub, in den von Senger quasi zufällig hineingestolpert ist.

Was ist eine Traumbuchhandlung?

Als sie wieder gesund ist, beschließt sie, in einem Buchladen zu arbeiten. Doch relativ schnell bemerkt sie, dass ihr das für die Zukunft nicht reicht. Viel zu gerne möchte sie selbst etwas gestalten. Und obwohl mit der Selbstständigkeit auch viele Herausforderungen auf sie zukommen, bereut sie diese Entscheidung nicht: „Es ist ein Privileg, dass ich zurzeit diese Visionen entwickeln kann, die dann auch irgendwann Realität werden.“ Durch eine Erbschaft und angespartes Eigenkapital kann sie ihre Visionen realisieren.

Zwar geht es mittlerweile auf ihrem Instagram-Account @emilia__antonina etwas ruhiger zu, doch so manche Ideen ihrer Follower*innen bezieht sie auch in das Projekt mit ein. Auf dem Kanal ihrer Buchhandlung @shesaidbooks stellte sie vor ein paar Wochen die Frage: „Wie sieht eure Traumbuchhandlung aus?“ Denn von Anfang an soll dieses Projekt ein kollektives Projekt sein, in dem sich viele Menschen einbringen können und es auch sollen.

Emilia von Senger selbst drückt es so aus: „Die Menschen sollen einen Ort betreten, in dem sie das finden, was ihnen in der Literatur oft fehlt.“ Dieser Ort befindet sich dann ab September am Kottbusser Damm in Berlin-Neukölln.

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5 Kommentare

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  • Liebe Redaktion,

    ein Artikel über eine unabhängige Buchhandlung mit einzigartigem Konzept. Super!

    Aber... als Anwohner des von der Gründerin angesteuerten Kiezes muss ich mich sehr wundern. Das Konzept ist nämlich tatsächlich nicht nur einzigartig, sondern auch seit zehn Jahren etabliert! Ein paar 100 Meter weiter gibt es "Die Buchkönigin", die ich aufgrund ihres diversen Sortiments immer gerne ansteuere.

    Und was die zukünftige Buchhandlungsbesitzerin als Vision angibt, ist irgendwie auch so ziemlich genau das, wie "Die Buchkönigin" auf ihrer Facebookseite beschrieben wird. Um ehrlich zu sein: Der Wortlaut gleicht sich fast bis aufs Haar.

    Natürlich kann man jetzt



    argumentieren, dass es nie nur eine einzige Buchhandlung mit einem bestimmten Konzept geben wird. Aber was in diesem Fall passieren soll, ist doch ganz klar: Eine reiche Gründerin übernimmt das Konzept einer alteingesessenen Buchhandlung und versucht, diese zu verdrängen. Sehr, sehr schade.

    • @Alfred Harrer:

      Hm... weder auf der Facebook-Seite, die sie angesprochen haben, noch auf der Webseite steht bei der Buchkönigin irgendetwas davon, dass sie nur Bücher von Autor*innen führen? Das scheint eine kleine, persönliche Buchhandlung und ein Antiquariat zu sein, aber wohl kaum, das Konzept, das von Emilia von Senger vorschwebt. Und sie ohne Hintergrundwissen als "reiche" Gründerin zu titulieren, finde ich auch ein wenig übertrieben?!

  • „Er ist ein toller Autor, aber was macht es mit jungen Menschen, wenn ihre einzigen Identifikationsfiguren alte weiße Männer sind?“

    Wie würde die sprachsensible und sprachkritische Buchhändlerin und Politologin reagieren auf folgenden Satz?

    "Sie ist ein tolle Autorin, aber was macht es mit jungen Menschen, wenn ihre einzigen Identifikationsfiguren alte weiße Frauen sind?“

    • @Weber:

      Darum können wir uns ja dann Gedanken machen, wenn es mal annähernd gleichberechtigt in der Realität aussieht, bevor es dann zu diesem neuen Ungleichgewicht kommt, oder nicht?

      • @Carina Herrmann:

        Danke :-)

        von einem alten, weissen Mann.