Frauenbefreiung oder das kleine Glück

■ Wie steht es um das Politikverständnis der Frauenbewegung? Geht es nur noch um das eigene Ich? Welche Erklärungen gibt es für den „Egozentrismus von Frauen?“ Ein Gespräch mit Christina Thürmer-Rohr und Susanne Kappler über ihre Kritik an der Frauenbewegung

„Frauenbewegung als Befreiung zum Glück - Reflexionen über ein Mißverständnis“: als Christina Thürmer-Rohr und Susanne Kappler vergangene Woche in Berlin ihre Fragestellung zur Diskussion stellten, waren drei Abende lang die Veranstaltungen überfüllt. War es nur das Interesse an zwei prominenten Feministinnen, oder zeigte sich darin ein wiedererwachtes Bedürfnis an theoretischer Auseinandersetzung und Selbstkritik? Susanne Kappeler (41) ist Professorin für englische und amerikanische Literatur an der University of East Anglia, Norwich, England. Sie veröffentlichte u.a. „Pornographie - die Macht der Bilder“. Christina Thürmer-Rohr (53) lehrt am Studienschwerpunkt Frauenforschung, Fachbereich Erziehungswissenschaften der TU Berlin.

taz: „Die Frauenbewegung als Befreiung zum Glück? Reflexionen über ein Mißverständnis.“ Was hat Euch dazu gebracht, über dieses Thema zu reflektieren?

Christina Thürmer-Rohr: Susanne Kappeler hatte in diesem Sommersemester eine Gastdozentur in Berlin, und in dieser Zeit hat sich eine intensive Kooperation ergeben. Ein gemeinsamer Ausgangspunkt war die immer wieder neue Frage nach einem feministischen Politikverständnis. Wir gehen davon aus, daß der Begriff Feminismus immer mehr seinen gesellschaftskritischen Inhalt verliert. Wir müssen immer wieder Kritik und Selbstkritik leisten an dem, was wir tun und was wir wollen.

Susanne Kappeler: Wir fragten uns, was Frauen heute unter „Befreiung“ verstehen, warum wohl die westlichen Frauenbefreiungsbewegungen heute nur noch „Frauenbewegung“ heißen. Von Befreiung ist zwar immer noch die Rede, aber oft ist damit vielmehr die eigene persönliche Befreiung gemeint als die Befreiung aller Frauen aus der Herrschaft der Männer. Ein Mißverständnis vielleicht, aber jedenfalls ein Verlust des politischen Verständnisses, warum und wovon es sich zu befreien gilt, und wie. Auch das langsame Verschwinden des Begriffes „Feminismus“ zugunsten von „Frauen“ - „Frauenproblemen“, „Frauenpolitik“ - ist wohl ein Symptom der selben Tendenz. Zudem interessierte mich, als ich nach Berlin kam, wie hier die Auseinandersetzung mit dem Rassismus in der Frauenbewegung geführt würde, welchen Einfluß beispielsweise die Präsenz von türkischen Frauen auf das feministische Politikverständnis ausgeübt hat. Sind Frauen in ihrer ganzen Unterschiedlichkeit mitgemeint und mitgedacht, wenn wir „Frauen“ sagen? Oft scheint jedoch der Begriff „Frauen“ vielmehr von der einzelnen Frau abgeleitet zu werden - Frauen sind die, die wie „ich“ sind, und wenn's um „Frauen“ geht, dann geht's in erster Linie einmal um „mich“.

Christina Thürmer-Rohr: Wo immer feministische Fragen zur Diskussion stehen, landet das Interesse fast unweigerlich beim eigenen Ich. Aus dem „Leiden an dieser Kultur“ wird „meine Leiden an dieser Kultur“, aus dem „Unrecht am Menschen“ wird „mein Schaden“. Es ist, als gäbe es nur ein Motiv: Das Ich fordert seinen Platz an der Sonne ein. Dieser Egozentrismus wird zum Politikum, weil er ja allen Postulaten und Wünschen nach Solidarität, Unterstützung, Zusammenhalt und Zusammenhang einer politischen Bewegung entgegenläuft. Er zeigt sich auch in der Art des Interesses bzw. Desinteresses von Frauen an Frauen: Frauen benutzen andere gern, um das eigene Ich zu stärken. Das Interesse an anderen Frauen, vor allem je ferner und fremder sie Mir selbst sind - versiegt, wenn eine Verbindung zwischen dem Ich und den anderen nicht hergestellt werden kann. Mir geht es darum, das Phänomen zu verstehen, um es genauer kritisieren zu können und damit wir uns ihm nicht einfach unterwerfen.

Diese Haltung, wenn wir davon ausgehen, daß sie tatsächlich so verbreitet ist, wir Ihr das beobachtet, ist also völlig unangemessen den politischen Herausforderungen, mit denen die Frauenbewegung konfrontiert ist? Also all den Fragen von Ökologie, Militarismus und natürlich auch der Geschlechterhierarchie?

Christina Thürmer-Rohr: Ja, sicher ist das unverhältnismäßig. Es scheint sogar so, als nehme der Egozentrismus zu, je globaler und unfaßbarer die Schäden sind, die die weißen zivilisierten Männergesellschaften der Erde, der Natur, den unterentwickelten Ländern und sich selbst antun. Wenn nach zwei Jahrhunderten Industrialisierung die Erdatmosphäre aus dem chemischen Gleichgewicht gerät, wenn Völkerwanderungen von Umweltflüchtlingen aus vergifteten Regionen sich in Bewegung setzen, wenn Umweltkriege um die verbleibenden unverseuchten Wasserreserven zu erwarten sind etc., - dann sind das alles ja nicht einfach tragische Folgeentwicklungen einer gutmeinten Absicht. Dem industriellen Fortschritt ging es nicht erstrangig darum, die Lebensbedingungen „der Menschen“ zu erleichtern. Vielmehr spiegelt sich bis in das Drama des ökologischen Zusammenbruchs hinein der historische Macht und Herrschaftswahn des weißen Mannes, sein Bereicherungsanspruch an allem, was er sich zum Objekt gemacht hat einschließlich der Frauen. Angesichts der Größe und scheinbaren Ferne des angerichteten Elends könnte nun das eigene Ich der Frau wie ein kleiner Schutzraum erscheinen, in dem diese Bedrohungen nicht auftauchen. Und es zieht offenbar die weiße Frau um so mehr zu sich selbst, wie der Mann sich als Glücksbringer untauglich erweist. Je weniger Glanz der Mann als Repräsentant seiner Kultur noch besitzt, desto stärker scheint es die Frau zu sich selbst anstatt zur Welt zu treiben, so als habe sie nicht viel mit ihr zu tun.

Susanne Kappeler: Immer wieder können wir das Abgleiten des Blickes von den realen politischen Zuständen, von den Taten der Männergesellschaft, auf die Frage nach der Frau beobachten. Dies zeigt sich auch oft bei Diskussionen an feministischen Veranstaltungen: Ist die Rede von der Täterschaft der Männer und der Mittäterschaft der Frauen, so konzentrieren sich die Fragen auf die Frau und ihre Schuld oder Unschuld, ist die Rede von Ausbeutung der Frauen in der Pornoindustrie, so verschiebt sich das Interesse auf die Lust und die Pornogenußfähigkeit der einzelnen Frau. Es geht uns um dieses Interesse - daß es sich scheinbar vorwiegend auf das Ich richtet, und damit sowohl die Männer und ihre Taten, wie auch alle anderen Frauen ausblendet.

Zu der Frage, wo steht die Frauenbewegung heute, gibt es auch ganz andere Einschätzungen. Als vergangenes Jahr 20 Jahre Studentenbewegung abgefeiert wurden, hieß es in fast allen linken und liberalen Medien, die neue Frauenbwegung, die mit '68 eng verknüpft ist, habe sehr viel erreicht und am nachdrücklichsten die Gesellschaft verändert. Eure Zustandsbeschreibung führt sie dagegen als sehr desolat vor.

Susanne Kappeler: Es geht nicht um eine Zustandsbeschreibung „der“ Frauenbewegung, sondern um gewisse Verhaltensformen und Denkweisen in der Frauenbewegung. Es kommt nicht darauf an, wieviele Frauen prozentual so denken und handeln, sondern daß wir solchem Denken begegnen und in solches Handeln verfallen. Das bedarf der Selbstkritik, denn wir haben ja die Verantwortung dafür, was in der Frauenbewegung, und z.B. an öffentlichen feministischen Veranstaltungen, passiert und artikuliert wird. Und unsere Kritik richtet sich selbstverständlich darauf, was uns zu kritisieren scheint, und nicht darauf, was wir alles ganz toll machen!

Wie erklärt Ihr Euch diesen Rückzug der Frauen auf sich selbst?

Christina Thürmer-Rohr: Es gibt mehrere Erklärungsansätze, die sich ergänzen. Der Egozentrismus der Frauenbewegung könnte erstens vor dem Hintergrund der kapitalistischen Struktur dieser Gesellschaft analysiert werden, die ihre Mitglieder als kaufende atomisiert und auch den Feminismus zur Ware macht. Die Angebote können einfach konsumiert werden wie andere Waren auch: ein Feminismus nach den Regeln der liberalen Marktwirtschaft. Zweitens bringen Frauen ein bestimmtes kollektives Verhaltenserbe mit, das sich aus ihrer historischen Zuweisung zum sogenannten Reproduktionsbereich ergibt. Die Arbeit dort ist bestimmt von kurzfristigen Arbeitsphasen, kurzen kleinen Erfolgen, unmittelbarem Gebrauchswert, Wiederholung gleicher Tätigkeiten, der Vertrautheit mit den umgebenden Menschen, den „Nächsten“. Diese Merkmale sind mit der durchhaltenden Arbeit an einer politischen Idee und der anhaltenden Kritik an einem umfassenden Unrecht, das nicht nur an Mir, sondern vielmehr an anderen Frauen begangen wird, nicht ohne weiteres zu vereinbaren. Feminismus ist ja kein kurzfristiger Auftrag und spricht nicht unbedingt einen unmittelbaren „Erfolg“ für mein einzelnes Leben. Gesellschaftliche Veränderungen sind nicht schnell gebrauchsfähig fürs Ich zu haben. Drittens können bestimmte Inhalte der neuen Frauenbewegung den Egozentrismus ungewollt verstärkt haben. Wir haben z.B. in den siebziger Jahren die alte Selbstaufopferung der Frau kritisiert. Daraus wurde dann auf einmal, das eigene Ich zum Programm zu machen. Die Frage nach der Identität der Frau, die Frage, wer bin ich eigentlich, führte zu Konfrontationen mit der Ich-Lehre und Ich-Mängeln und diese wiederum zu den unzähligen Versuchen, dieses Ich erstmal stärken zu müssen. Der moderne Therapismus kommt diesem Dilemma nach meiner Auffassung in verhängnisvoller Weise entgegen. Viertens stellt sich die Frage, inwieweit sich in diesem Ich-Anspruch ein spezifisch bürgerliches Ich der Frau bemerkbar macht, so als wolle dieses zum Zeitpunkt der endlich erreichten formalen Gleichberechtigung eine bürgerliche Befreiungsidee nachholen. Nachgeholt würde eine Befreiung allerdings im weiblichen Gewand, mit dem die Frau sozusagen ins Ich statt in die Welt expandieren will. Der bürgerliche Mann betrieb seine Befreiung sozusagen unter ganz anderen Voraussetzungen. Das bürgerliche Ich des Mannes müssen wir uns immer als ein androzentrisches und ein ethnozentrisches denken. Er beanspruchte die großen Maximen der Aufklärung nicht einfach als Einzelner, sondern immer im Verbund mit seinen Geschlechtsgenossen und im Rahmen seiner verheißungsvollen weißen Kultur, die sich allen anderen überlegen sah. Die bürgerliche Befreiung des Mannes setzt immer seine Bündnisfähigkeit mit anderen Männern seiner Kultur voraus.

Der Begriff Nachholen enthält für mich sehr stark, daß ein Vorgang wiederholt wird. Ich denke, was sich heute, Ende des 20.Jahrhunderts abspielt, ist, daß dieses bürgerliche Ich des Mannes so längst nicht mehr existiert. Die Vorstellung vom Glanz des autonomen Subjekts liegt in Trümmern. Mich stört, daß in diesem Begriff zu wenig die Bedingungen heute mitreflektiert werden.

Christina Thürmer-Rohr: Ich meine nicht Nachholen im wörtlichen Sinne. Mir geht es darum, daß Merkmale einer bürgerlichen Befreiungsidee unter ganz anderen Voraussetzungen, nämlich heute, auch von Frauen weitergetragen und eingeholt werden wollen. Die bürgerliche Kardinalforderung, das Recht auf individuelle Bereicherung, ist der Frau keineswegs fern, sie setzt es aber mit anderen Intentionen fort. Der Bereicherungsversuch heute scheint darin zu liegen, alles mögliche ins eigene Ich hineinzerren zu wollen, das Ich zum Zentrum der Welt zu machen und die anderen zu vergessen, das Interesse an ihnen zu verlieren, wenn sie nichts zu geben haben.

Wo seht Ihr das Motiv für eine feministische Politik in Eurem Sinne? Ist es allein der kritische Impuls? Muß nicht auch ein Moment von politischer Handlungsfähigkeit dazukommen? Politik muß doch auch sichtbar machen: da wird sich etwas tun, da werden wir Erfolg haben?

Christina Thürmer-Rohr: Ich glaube, es ist ein zutiefst patriarchal-bürgerliches Denken, wenn wir immer meinen, das Motiv zum Handeln könne nur aus irgendeinem anvisierten Lohn stammen, „Erfolg“ oder „Befriedigung“ seien die entscheidenden Schubkräfte, um weiterzumachen, um nicht zu erlahmen, um wach zu werden oder wach zu bleiben. Wieso kommen wir eigentlich nicht auf die Idee, daß es auch ganz andere Motive geben kann?

Susanne Kappeler: Die Erkenntnis der Realität, wie sie ist, dürfte Motiv genug sein: der katastrophale Zustand der Welt, der sich immer mehr verschärfende globale Gewaltkrieg der Männer gegen die Frauen, die Ausbeutung der Dritten Welt durch die schrankenlose Profitsucht der ersten - was braucht es da noch für ein weiteres Motiv, um aufgrund der Empörung zu denken und zu handeln? Das Fragen nach einem zusätzlichen Motiv oder Lohn in der Form von Erfolg oder Glück impliziert, daß wir grundsätzlich mit der gegebenen Lage zufrieden sind und uns nur bemühen werden, falls noch etwas „besseres“ herauszuholen ist. Ich gehe jedoch davon aus, der Feminismus habe uns die Erkenntnis vermittelt, daß es um diese Gesellschaft wohl schlechter kaum stehen könnte. So daß auch das allerkleinste Hemmen der Verschlimmerung der Zustände schon ein wertzuschätzender Erfolg bedeutet - jeder geleistete Widerstand, jede Geste der Vereitelung des von dieser Männergesellschaft gewollten Wahnsinns, jeder Durchblick durch das fast perfekte Beherrschungs- und Ausbeutungssystem.

Aber wie kann diese Haltung vermittelt werden? Ist das Erkennen allein ausreichend? Der Zauber der Frauenbewegung ging aus von dem Impuls: ihr könnt hier und jetzt etwas verändern, auf jeder Ebene. Gedanken müssen Anziehungskraft, Attraktivität entwickeln.

Susanne Kappeler: Das ist ja selbst schon Werbedenken. Schon die Frage nach Vermittlung enthält die Vorstellung, die Gedanken müßten an die Kundschaft gebracht werden, in attraktiver Verpackung. Wir verstehen uns nicht als Verkäuferinnen von feministischen Ideen. Uns geht es um ein gemeinsames politisches Denken von Frauen mit Frauen in der feministischen Frauenbewegung.

Eure Veranstaltungen waren überfüllt. Wie erklärt Ihr Euch die große Resonanz?

Christina Thürmer-Rohr: Eine Frau hat nach der Veranstaltung gesagt, die Tatsache, daß soviele Frauen gekommen sind, sei das wesentlichste Argument gegen unsere Thesen.

Susanne Kappeler: Der größte Erfolg für uns wäre tatsächlich, wenn unsere Kritik sich als unberechtigt herausstellen würde! Gespräch: Helga Lukoschat