piwik no script img

FrauenMigrantinnen meiden Frauenhäuser

Deutsche Beratungsangebote gehen an vielen Migrantinnen, die Gewalt erfahren, vorbei. Das fand die türkische Zeitung "Hürriyet" heraus.

Bei viele Türkinnen sind Frauenhäuser eine "Art Gefängnis", fand die Zeitung "Hürriyet" heraus. Bild: dpa

BERLIN taz Viel wird im Umfeld des verschärften Zuwanderungsgesetzes über Gewalterfahrungen von Migrantinnen geredet, doch die deutschen Hilfsangebote erreichen viele dieser Frauen offenbar nicht. Das stellte sich am Mittwoch bei einem Fachgespräch der Unionsfraktion im Bundestag zur Situation migrierter Frauen und Mädchen heraus.

Die größte türkische Zeitung in Deutschland, Hürriyet, hat im Zuge einer Kampagne gegen häusliche Gewalt in Deutschland seit 2005 eine Telefonhotline (0 18 05-22 77 06) geschaltet, über die Frauen, deren Männer oder Söhne zugeschlagen haben, Hilfe bekommen können - auch auf Türkisch. Die erste Auswertung der Anrufe offenbarte Ernüchterndes.

Von rund 200 Frauen, die im ersten Jahr Hilfe suchten, waren fast drei Viertel über die sogenannte Familienzusammenführung nach Deutschland gekommen, also darüber, dass sie als Türkinnen einen in Deutschland lebenden Partner heirateten. Von diesem Partner waren 80 Prozent der Anruferinnen finanziell abhängig. Drei Viertel sprachen kein oder sehr wenig Deutsch. Und die bedrückendste Erkenntnis: Ohne die Hilfe der türkischsprachigen Hotline hätten sie kein Beratungsangebot wahrgenommen, betonte Engin Cigri, der die Kampagne der Hürriyet koordiniert.

Ein großes Problem sei, dass die Frauen in der Regel isoliert seien: "Außer der Familie ihres Mannes kennen sie nichts, absolut nichts", erklärte Cigri. Zudem sei ihr Aufenthaltsrecht an die Heirat gekoppelt. Um ein eigenes Recht zu erhalten, muss die Frau erst mal zwei Jahre bei ihrem Mann bleiben. Damit ist sie erpressbar: "Das ist ein großes Problem, mit dem die Politik sich noch mal beschäftigen muss", forderte Cigri.

Vor allem aber sei in Informationsseminaren zu diesem Thema deutlich geworden, dass Beratungsstellen, Frauenhäuser und Jugendämter, also alle potenziellen Hilfsangebote, in der türkischen Community oft extrem verzerrt dargestellt würden: "Das Frauenhaus gilt als eine Art Gefängnis, aus dem man nicht mehr herauskommt", beschreibt Cigri die Vorurteile, "auch vor Jugendamt oder Familienhelfern wird gewarnt." Unter diesen Umständen müsste den Frauen erst mal erklärt werden, dass sie von Beratungsstellen tatsächlich Hilfe statt Drangsalierungen erwarten könnten.

Die Hotline der Hürriyet schließe eine wichtige Lücke, beeilte sich auch Maria Böhmer, die CDU-Staatsministerin für Integration, zu erklären: "Hürriyet hat uns ungemein viel geholfen." Warum die Zeitung dann die gesamte Kampagne mit 100.000 Euro jährlich allein finanzieren muss, ließ Böhmer dagegen offen.

Auch die Appelle mehrerer ExpertInnen, die Frist von zwei Jahren Ehedauer, ab der es ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für türkische Frauen gibt, zu verkürzen, verhallten beim Fachgespräch der Union ungehört. Am heutigen Freitag wird das verschärfte Zuwanderungsgesetz im Bundestag verabschiedet - mit all den umstrittenen Regeln.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!