Frauen im Kampf um Selbstbestimmung: Gabriele Schärers „Sottosopra“ : Das Ende des Patriarchats ist diskussionswürdig
„Sie hat mir aufmerksam zugehört und mich dann in das Studentinnenwohnheim eingeladen“, berichtet eine Zeitzeugin über die heute 88-jährige Theologin Marga Bührig. „Und als ich dort war, hatte ich noch weniger Lust, traurig zu sein, dass ich nicht verheiratet war.“ Dieser winzige Bruchteil eines Lebensentwurfs steht ganz unscheinbar da. Doch hat Bührig zu einer Zeit die Selbstständigkeit von Frauen propagiert und initiiert – im Jahr 1949 etwa durch Gründung einer WG, in der Studentinnen wohnen, gemeinsam essen und sich austauschen konnten – als die Ehe der dominierende Lebensweg für Frauen war.
Die Entscheidung für das Selbständigsein zog auch unangenehme Konsequenzen nach sich: „Es ist ein einsamer Weg, gesellschaftlich gesehen.“ Trotzdem strahlt Bührig, eine von vier porträtierten Frauen in Gabriele Schärers Film Sottosopra, eine ungeheure Kraft aus. Der Film führt von Genf nach Zürich, Mailand und Verona, die Orte an denen die porträtierten Frauen leben.
Keine von ihnen steht Bühring an Radikalität nach – wenngleich jede von ihnen eine andere Form der Praxis im Kampf um Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichberechtigung entwickelt hat. Doch ob die politische Arbeit der Gewerkschafterin Christiane Brunner, die philosophischen Lehren von Luisa Muraro oder das gesundheitspolitische Engagement von Heidi Ensner in den Mittelpunkt gestellt werden – was alle eint, sind ihre Bemühungen um die Beziehungen zwischen Frauen und das unbeugsame und unangepasste Verlangen, einen selbst gewählten Weg zu gehen. „Ich habe gelernt, keine integrierte Existenz zu leben“, resümiert die Philosophin Antonia de Vita diese Rebellion. Von Luisa Muraro habe sie viel gelernt.
Muraro hat gemeinsam mit anderen Frauen Diskussionen ausgelöst und Dinge bewegt. Mit der Strategie des affidamento, „ des „Sich-Anvertrauens“, glaubt sie, dass Frauen aus der „Ungleichheit“ Stärke gewinnen: indem sie lernen, mit Differenzen untereinander umzugehen. Muraros These, das Patriarchat sei vorüber, wird in der Dokumentation immer wieder diskutiert. „Das Patriarchat ist vorbei, weil wir nicht mehr so leben“, findet Brunner. „Aber in meinem Alltag, auf der Arbeit, in den Gewerkschaften ist die Welt männerdominiert.“ Damit das nicht so bleibt, haben die Frauen sich anders organisiert, wie Heidi Ensner, die vorbildhaft die „Wahlfamilie“ in den Film einführt. Hier teilen sich Menschen, etwa allein erziehende Mütter, die Verantwortung für Kinder und Haushalt, um sich weiterentwickeln zu können. Sottosopra zeigt die kleinen und großen Ideen von Frauen, die um Rechte und Gerechtigkeit kämpfen – ein sehenswerter Film über nachahmenswürdige Konzepte. Doro Wiese
Premiere: Sa, 21.15 Uhr, Metropolis + Mi, 20 Uhr, 3001 (beide mit Regisseurin) Filmstart: Do, 2.10., 20 Uhr, 3001 Diskussionsveranstaltungen: Mo, 19 Uhr, Museum der Arbeit (mit Regisseurin und Dr. Heike Kahlert), und 1.11.,10–17 Uhr, Denkträume (mit Dr. Kahlert)