: Frauen-Pragmatismus um Rente und Geld
300 Frauen kamen mit ihren Kindern zum „1.Hessischen Mütterkongreß“/ Wenig Mythos, viel Realität/ Mütter verlangen mehr Anerkennung und bessere Renten/ Mütter als „kostenlose Ressource bis zum Wegwerfalter“ ■ Aus Marburg Heide Platen
Schon am Samstagmorgen lärmte es ohrenbetäubend in den unterkühlten Glashallen im Erdgeschoß der Marburger Universität. Das war nicht den ungefähr 300 Frauen zuzuschreiben, die dort für einen Tag die harten Holzbänke drückten, sondern den Kindern, die sie mitgebracht hatten. Da trampelte der dreijährige Sven durch die geräumige Handtasche einer Berichterstatterin, brüllte Daniel lauthals, zerrte Nina kräftig an den Haaren der Vorderfrau. Der „1.Hessische Mütterkongreß“, von Frauenbeauftragten, Mütterzentren und der Landeszentrale für politische Bildung ins Leben gerufen und thematisch „zwischen Mythos und Realität“ angesiedelt, spielte sich unüberseh- und hörbar im Diesseits ab. Mit der Geschwindigkeit, in der diejenigen, die die Frauen zu Müttern machen, in den zahlreichen Spielgruppen verschwanden und in klebrige Indianer verwandelt wurden, sank der Lärmpegel im Plenum zu diskussionsfähiger Höhe.
Der Kongreß, ebenso ein Treffen altgedienter Feministinnen wie junger Frauen aus kleinen Städten und Gemeinden, hatte begriffsschöpfenden Charakter. Teilnehmerinnen erfanden hinter der Hand und zwischen Kaffee und Kuchen die Postmoderne der Frauenbewegung, den „Neuen Pragmatismus“: Zum einen — Theorie muß sein — orientiert an der durch und durch amerikanischen Philosophie, nach der sich Denken erst durch Handeln bewahrheitet, zum anderen geboren aus der unübersehbaren Notwendigkeit, alte, längst ausdiskutierte Forderungen immer wieder neu zu stellen. Der Weg zur Verwirklichung weiblicher Lebensentwürfe, Anlaß zu Kontroversen, variierte marginal und hatte am Vorabend des Muttertages ein Credo: Mütter brauchen mehr Geld.
Dies wurde schon am Vormittag in den Rechenexempeln der Referentinnen deutlich. 35 Kinder müßte eine Frau gebären, um eine akzeptable Altersrente zu erarbeiten. Und: „Viele Mütter sind im Alter arme Frauen.“
Ein Drittel aller Kinder wachsen bei alleinerziehenden Frauen auf, denen der Weg in die seit Jahren heftig diskutierte Teilzeitarbeit ohnehin verschlossen ist. Die Berliner Historikerin Karin Hausen rechnete in ihrem 1984 erstmals veröffentlichten Beitrag gleichzeitig noch einmal mit dem Muttertag ab. Deutsche Blumenhändler griffen die Erfindung der Amerikanerin Ann Jarvis schon 1922 auf. Mutter-Mythos, Muttergedichte blühten und gediehen ebenso wie der Umsatz der Floristen, als sich die „Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung“ 1925 des neuen Feiertages annahm. Dieser „unsinnige Feiertag“, so Hausen, gelte der „Mutter als kostenlose Ressource, die bis zum Wegwerfalter genutzt wird,“ so Hausen. „Ich habe inzwischen gelernt, daß der Frauentag in der ehemaligen DDR auch nur dazu da war, die Muttis zu feiern.“
Die Verunsicherung junger Frauen mit kleinen Kindern war in der Arbeitsgruppe „Mutterlust und Mutterfrust“ deutlich zu spüren. Fast alle Diskutantinnen empfanden mehr Frust als Lust — und haben dabei gleichzeitig „ein schlechtes Gewissen“.
Nur so erklärte sich das Mißverständnis zwischen ihnen und der Referentin, die von „irreparablen Schäden“ durch „Katastrophen“ im frühkindlichen Alter gesprochen hatte. Sie meinte damit den Tod, die schwere Krankheit eines Elternteils. Die Frauen, die ihr „schlechtes Gewissen“ als Mütter artikulierten, suchten ihre eigenen Fehler: „Kann ich denn mein elfmonatiges Kind für zwei Wochen Urlaub mit dem Vater allein lassen?“ Die Klagen über fehlende Kindergartenplätze, mangelnde soziale Absicherung, unüberwindbare Schwierigkeiten beim Wiedereinstieg in den Beruf kulminierten in der eindringlichen Forderung nach „mehr gesellschaftlicher Anerkennung“ der Mütter — „auch von Frauen“. Denn: auf die Männer „können wir dabei sowieso nicht setzen“.
Ein Bruch zwischen den Positionen wurde während der Podiumsdiskussion am Nachmittag deutlicher. Für SPD und Grüne waren die Ministerinnen Heide Pfarr und Iris Blaul gekommen, für die FDP die Bundestagsabgeordnete Gisela Babel, für die CDU die Marburger Vorsitzende Hannelore Gottschlich. Sie vertraten unisono die Ansicht, daß mehr für Frauen getan werden müsse und hielten das jeweils eigene Parteiprogramm für das geeignetste, um dies umzusetzen.
Dennoch standen sich wieder einmal die Frauen kontrovers gegenüber, die das partnerschaftliche und gesamtgesellschaftliche Teilen der Erwerbsarbeit favorisieren, und jene, die durch Chancengleichheit und vollwertige Arbeitsplätze die Unabhängigkeit der Frau vom Mann sichern wollen. Eine Handvoll Männer übte sich unterdessen im „Väterbegleitprogramm“ darin, den „Mythos der neuen Väter“ zu entschleiern.
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