Frau Schwab geht unter Leute : Die Kuchenschlacht im KaDeWe
Volksfest im KaDeWe. 100 Jahre alt wird der Luxustempel. Da wissen selbst Patrice Wagner und Co, was sie den Berlinern schuldig sind: Der Geschäftsführer des Hauses schmeißt ein Fest. Eins fürs Herz. Eins mit Kuchen und Sekt und Musike dazu.
Auf dem Tauenzien vor dem Eingang zum Luxustempel wird Prosecco ausgeschenkt. KaDeWe-Hausmarke. Welches Label sich dahinter verbirgt, verrät der Leiter vom Markenservice nicht. Indes lobt er die Disziplin der Berliner. Sie stehen an für ein Gläschen und geben es hinterher brav auch zurück.
Ganz anders drin im KaDeWe. Hier ist das Gedränge in vollem Gang. Die achtstöckige, sechseinhalb Meter große, tonnenschwere Geburtstagstorte steht im Foyer. Gleich wird sie angeschnitten. Klaus Wowereit, „der Regierende“, steht bereit. Auf der einen Seite drängeln die Fotografen, auf der anderen Seite schieben sich die BerlinerInnen bis an die Absperrung heran. Grauhaarige mit schwarzen Augenbrauen, Schwangere, Menschen mit Gehstöcken, Jugendliche, die von der Schule abgehauen sind, Dauergewellte in Begleitung von Männern, die so konzentriert sind, als müssten sie sogleich einen Elfmeter schießen, sobald Wowereit den Anpfiff gegeben hat.
Der bringt erst mal die Glückwünsche von 3,7 Millionen Berlinern vor und dann auch noch seine eigenen. Er sei gern gekommen, denn normalerweise müsse er für seinen Kuchen bezahlen, heute aber ist er umsonst. Das bringt ihm stehenden Applaus ein. Wowereit sagt noch mehr Worte. „Seine Unterlippe wird auch immer dicker“, sagt eine Frau an der Absperrung lakonisch. Und nach noch mehr Worten zieht er eine Küchenschürze an, steigt mit Wagner auf eine Hebebühne und schneidet oben ein Stück ab. Das Ganze geschieht in Richtung der Fotografen. Die brüllen: „Näher aneinander.“ „Hierher schauen!“ „Immer eng zusammen.“ „Lächeln!“ „Mit Sekt anstoßen!“ Anstoßen – das ist das Stichwort. Da werden die Berliner sentimental und stimmen „Happy Birthday“ an. Die Tortenschlacht beginnt.
Hunderte drängeln nach vorne zum Kuchen. Mantel an Mantel, Jacke an Jacke. Kleine spüren die Ellbogen der Großen im Gesicht. Große die Köpfe der Kleinen im Rücken. Berührungsängste: keine. Luftbrückenerfahren wissen sie, wohin es geht. In der Zwischenzeit erzählen sie mit feuchten Augen, warum sie das KaDeWe lieben. „Stellen Sie sich vor, ich war in Peru letzten Sommer“, berichtet eine Grauhaarige, „und da erzählt mir ein echter Peruaner, dass er vor 25 Jahren im KaDeWe war, hier ein echt peruanisches Gericht gegessen hat und bei Berlin nun immer daran denken muss.“
Eine andere wird persönlicher: „Das ist mein Kaufhaus.“ In den 60er-Jahren war sie Verkäuferin in der Feinschmeckerabteilung. Dann kamen Kinder. Aber ab 1998 war sie wieder vier Jahre dort angestellt bis zur Rente. „Seither komme ich zweimal im Monat. Ich hab meine besten Sachen angezogen. Burberry und so.“ Da kommt Wowereit mit einem Tablett kleiner Kuchenstückchen in Reichweite. „Huch hier ist er ja“, ruft sie, lehnt sich nach vorne. „Ich wollte Sie fragen, ob Sie mit mir Boogie-Woogie tanzen. Ich war doch Europameisterin.“
Allmählich treten die ersten Leute den Rückzug an. Ihr Miniaturstückchen tragen sie wie eine Trophäe überm Kopf. „Schmeckt super. Wenn ich da an unsere Hochzeitstorte denke, ein Scheißdreck war die dagegen“, sagt eine, die so aussieht, als läge dieses Ereignis schon Jahre zurück. Entwürdigend ist es schon, meint einer, so in die Schlange gequetscht zu sein für ein bisschen Torte. „Aber wenn Massen da sind, da sind alle wie Kaputte.“ WALTRAUD SCHWAB