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■ Französisches Strandgut sorgt für GoldrauschAkte X – der Austerngabelfall

Dinard (taz) – Dunkle Wolken hängen über dem Strand des bretonischen Seebades. Auf der Promenade ist nicht viel los. Unten am Wasser steht eine Verrückte in pinkfarbenem Frottee-Anzug und schickt gymnastische Grüße auf die See hinaus. Ein Grauhaariger zieht sich aus, präsentiert den für sein Alter gutgeformten Körper in roter Badehose und geht bei 16 Grad Außentemperatur als einziger schwimmen. Die Tätowierung auf seinem Arm klassifiziert ihn gleich als Mann zur See a.D. Als er ganz in die Brandung eintaucht, erreicht auch das Tai-Chi des Wahnsinns seinen Höhepunkt, als zeige die Dame trockenschwimmend, welche Bewegungen der Seewolf gerade unter Wasser ausführt.

Für all das hat Claude Finger keine Augen. Hochkonzentriert marschiert der 32jährige den Strand entlang und lauscht den Signaltönen aus seinem massiven Kopfhörer. Mit der rechten Hand schwenkt er ein Metallsuchgerät, die linke trägt den Spaten locker über der Schulter. Um etwas gegen die Schlechtwetter-Langeweile zu unternehmen, ist Claude in diesem Urlaub zum Schatzsucher geworden. Für heute hat er sein Suchpensum noch nicht absolviert und verbittet sich entschieden, bei dieser meditativ-angespannten Tätigkeit und den erwartungsfrohen Ausgrabungen gestört zu werden. Also treffe ich zunächst nur seine charmante Freundin Tamara Miller.

„Da mäht sich einer um den Verstand!“ kommentiert die Anglo-Russin das Dauergeräusch vor der Caféterrasse. Ein städtischer Gärtner konturiert im Hintergrund ein Blumenmosaik. „Was soll ich sagen: Claude hat anfangs eine Menge Ärger gehabt. Der Kampf um die Claims ist sehr hart, und wir als ausländische Touristen...“ Die Einheimischen sähen nämlich im edelmetallhaltigen Strandgut eine Art ihnen zustehende Kurtaxe. „Sie haben sich schlappgelacht, als Claude nach unglaublich starken Signalen zwei Meter tief auf die Abwasserleitung runtergegraben hat. Aber sprechen Sie ihn bitte nicht drauf an!“ Doch dann habe er sich Anerkennung verschafft: „Letzte Woche hat Claude bei extrem niedriger Ebbe um drei Uhr morgens eine Kiste Austerngabeln aus der Zeit Chateaubriands rausgeholt. Darüber haben hier alle Medien berichtet.“ Sogar das Stadtmuseum von St. Malo habe wegen dieser möglichen Hinterlassenschaft des berühmtesten Sohnes der Stadt bei ihnen angefragt.

Und da ist er endlich, der Shooting-Star der Schatzsucher-Szene: Claude Finger bestellt eine Verveine und demonstriert die Funktionsfähigkeit seiner Ausrüstung. Er hält den Detektor über unser Besteck und mir den knatternden Kopfhörer hin: „Hören Sie, voll der Geigerzähler-Sound!“ – „Und“, fragt Tamara ihren älteren Freund, „wie ist es gelaufen?“ – „Gut, für eine Stunde“, antwortet Claude und wirft circa 100 Franc (33 Mark) in sandigen Münzen auf den Tisch. Tamara bemerkt mein Staunen und kommentiert lakonisch: „Ein Vorteil von Urlaub in der Nachsaison.“ Da hätten sich schließlich die touristischen Badestrandverluste zu hübschen Hartgeldvorkommen summiert. „Obwohl auch viel Schrott darunter ist: das ertragreichste Hobby, das ich jemals hatte“, meint Claude, „statt einer machen wir jetzt schon drei Wochen Urlaub. Aber das Beste habe ich euch noch gar nicht gezeigt.“ Dann holt der Profibuddler eine kleine glänzende Stahlkassette aus seinem Rucksack hervor. Die Kanten sind abgerundet, obendrauf ein Emblem aus Schlangenlinien, frontal ein Kreuzschlitz für eine mir unbekannte Schlüsselsorte. „Ganz frisch ausgegraben, nur einen halben Meter tief. Ich habe Werkzeug im Hotel.“ Da wollen beide auch umgehend hin und wünschen mir einen schönen Abend.

Was befindet sich bloß in der Kassette? Ich bin wahnsinnig neugierig und versuche am nächsten Morgen, Tamara Miller und Claude Finger in ihrem Hotel zu erreichen. Vergeblich. Die Geschichte endet rätselhaft: Der Portier sagt, die beiden seien noch in der Nacht abgereist. Bezahlt hätten sie mit drei silbernen Austerngabeln mit dem Monogramm „FRC“. Und: In der Badewanne von Nr. 237 habe man den zertrümmerten Metalldetektor gefunden. Christian Kortmann

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