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Französische Konsum-VerweigererVive la Crise!

In Frankreich sammelt sich eine neue linke Bewegung in der Partei der Wachstumsgegner: Die "Décroissance". Sie propagieren die Abkehr vom Konsum – und vom linken Fortschrittsglauben.

"Freude am Leben": Das Monatsblatt der Partei der Wachstumsverweigerer. Bild: screenshot ladecroissance.net

PARIS taz | "Ich konsumiere, also bin ich, halleluja!" Kein Ort könnte besser gewählt sein für die Provokation als der vor einem großen Kaufhaus, wo sich die Passanten eilig vorbeidrängeln. Einige verfolgen zuerst verblüfft, dann amüsiert das Straßenspektakel einer kleinen Gruppe. "Lasset uns beten für das Wachstum der Wirtschaft: Heilig ist der Konsum, heilig das Geld, heilig ist die Werbung …", so predigt voll Ironie einer der Aktivisten.

Mit ihrem Happening vor dem Shoppingtempel gelingt es den "Wachstumsverweigerern", eine Diskussion über den Sinn und die Konsequenzen des scheinbaren Glücks durch Konsum in Gang zu bringen. Einige Zuschauer geben den Einwänden recht und äußern sich skeptisch zu der gängigen Idee, dass nur Wirtschaftswachstum und grenzenloser Warenverbrauch glücklich machen. Andere wenden sich kopfschüttelnd ab oder machen abfällige Bemerkungen.

Die Szene spielte sich im Vorfeld der Europawahlen ab, an denen sich die Minipartei der "Objecteurs de croissance" mit einer Liste beteiligte. Das Resultat entsprach mit 0,04 Prozent im Wahlkreis der Region Paris den sehr bescheidenen Erwartungen. Denn in diesen Rezessionszeiten einer internationalen Wirtschaftskrise ist der Glaube weit verbreitet, der Mangel an Wachstum sei der Grund allen Unglücks.

"Zwar erlaubt es die Krise, zu erklären, dass es mit dem Wachstum unmöglich so weitergehen kann. Die Leute haben aber in solchen Perioden erst recht die Tendenz, sich auf ihre individuellen Interessen zurückzuziehen", meint dazu der Pariser Spitzenkandidat der Wachstumsverweigerer, Jean-Luc Pasquinet.

Diesen Widerspruch unterstreicht auch sein Mitstreiter Paul Ariès in einem Interview mit Libération: "Einerseits wird in der Krise das Gefühl der ökologischen Dringlichkeit auf später verdrängt, weil die Verteidigung der Kaufkraft und der Arbeitsplätze aktuell ist … Zugleich aber macht uns die Krise bewusst, das wir seit Jahrzehnten mit Lügen gelebt haben."

Mit Vollgas in die Mauer

Bild: taz

Dies ist ein Text aus der sonntaz, die am 5./6. Dezember erscheint – und sich komplett der Frage widmet: "Was macht uns glücklich?". Die taz mit einer glückstaz: Ab Samstag am Kiosk.

"Es lebe die Krise!", ruft dagegen Ökonomieprofessor Serge Latouche, ein Spezialist für Nord-Süd-Beziehungen und Entwicklungsfragen. Er ist einer der bekanntesten Theoretiker der "Décroissance"-Bewegung in Frankreich; er meint sogar, je schlimmer es komme, desto eher würden die Zeitgenossen begreifen, dass wir drauf und dran sind, mit Vollgas in die Mauer zu rasen.

Den Verdrängungskünstlern unter seinen Landsleuten rechnet er vor: Auf unserem Planeten gibt es rund 12 Milliarden Hektar nutzbare Fläche, das macht rund 2 Hektar pro Erdbewohner; schon heute beträgt der ökologische Fußabdruck (empreinte écologique), den ein Franzose mit seinem Konsum beansprucht, das Dreifache. Wenn also alle auf dem Niveau der Franzosen leben wollten, brauchten wir drei Planeten wie die Erde.

Die Wachstumskritik ist längst mehr als reine Provokation. Die casseurs de pub, die Werbungszerstörer, gehen in den Untergrund der Pariser Metro und reißen Plakate ab oder überschreiben sie mit Antikonsumparolen. Andere machen die Wachstumsverweigerung zur Grundlage ihres individuellen Alltags, indem sie die Grundsätze von Reduktion des Energieverbrauchs, Recycling und Relokalisierung mit einer selbst gewählten Bescheidenheit praktizieren.

Eine "glückliche Genügsamkeit" predigt auch der aus der Sahara stammende Biobauer Pierre Rabhi. Der mittlerweile 71-Jährige stieg in den 1960ern aus dem System aus, um in den Cevennen vom Ertrag des kargen Bodens zu leben, ohne diesen mit Dünger und anderen Chemikalien zu ruinieren. Er ist als internationaler Experte im Kampf gegen die Verwüstung anerkannt.

Den gegenwärtigen Fortschrittsglauben bezeichnet dieser autodidaktische Philosoph als "Syndrom der ,Titanic' ". Mit seiner humanistisch, pazifistisch und spiritualistisch inspirierten Wirtschafts- und Gesellschaftskritik ist er einer der Pioniere der heutigen Wachstumsgegner.

Die Warnung vor der Begrenztheit der Ressourcen, Rohstoffe und Energievorräte ist nicht neu, wohl aber der radikale, antikapitalistische Ansatz dieser Kritik. Die Decroissants fordern nicht nur einen sorgsameren Umgang mit begrenzten Reserven oder etwas Nachhaltigkeit in der Entwicklung, sondern eine Alternative zu einem System, das so oder so dem Untergang geweiht ist.

Das mag erklären, dass die politisch noch recht isolierten Wachstumsgegner bei den radikalen linken Politikern mehr Echo fanden als bei Frankreichs Grünen. Diese sind wie anderswo auch gespalten und vertreten entweder eine Realpolitik der kleinen Schritten mit geteilter Regierungsverantwortung oder eine Strategie der fundamentalen Gesellschaftsveränderung.

Schlicht "Spinner"

Für Daniel Cohn-Bendit, der gegenwärtig bei "Les Verts" den Ton angibt, sind die radikalen Wachstumskritiker jedenfalls schlicht "Spinner". Warum? "Man baut keine Partei auf dem Thema der Wachstumsverminderung auf. Décroissance, das ist für die Leute, die sie heute erleiden, wie ein Fluch." Yves Cochet, ein anderer Exponent der Partei, wurde dagegen als Vertreter der "Décroissance"-Thesen im Spätsommer zu einem Brainstorming des französischen Arbeitgeberverbands Medef eingeladen.

Denn die Idee, dass die BIP-Zunahme nicht ewig das Maß allen Glücks sein wird, beginnt verschiedene Kreise zu interessieren, wie der kürzliche Bericht der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und Amartya Sen an Präsident Sarkozy zeigte. Die meisten Antiwachstumsaktivisten erwarten davon allerdings nicht viel mehr als "Greenwashing".

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11 Kommentare

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  • B
    Bernhard

    Der Artikel ist leider etwas mangelhaft recherchiert... Das Monatsblatt, von dem ein Screenshot zu sehen ist, ist keineswegs von einer *Partei*, sondern ein völlig unabhängiges (und 100% werbefreies) Politmagazin. Das ist insofern von Bedeutung, als die Décroissance-Bewegung NICHT in erster Linie auf Wahlbeteiligungen und -siege aus ist, sondern einen grundlegenden Paradigmenwechsel nach dem Grassroots-Prinzip herbeiführen will. Die möglichen und vielerorts bereits vorhandenen, konkreten Alternativen sind es, auf die sich die Bewegung stützt und für deren Verbreitung sie sich einsetzt.

    Den Anfang des Artikels hat der Journalist aus den ersten Minuten einer tollen Reportage von RFI abgekupfert, siehe http://www.rfi.fr/actude/articles/116/article_1688.asp

    Der ganze Beitrag war ihm dann wohl doch zu lang, denn sonst hätte er erkennen/erwähnen müssen, dass der (individuelle) Konsumverzicht nicht so sehr im Mittelpunkt steht, wie die kollektive + politische Bemühung, den Ausstieg aus Kapitalismus und Produktivismus auf basisdemokratischem Weg einzuleiten.

    Liebe Grüße, Bernhard (in Frankreich lebender Spinner)

  • B
    BeobachterHH

    Wachstum ist nur sehr bedingt notwendig, z.B. wenn die Bevölkerungszahl zunimmt. Dann muss die Produktion erhöht werden, um weiter alle angemessen versorgen zu können.

     

    Was im Kapitalismus passiert, ist aber ganz was anderes. Selbst bei totaler Überversorgung kommt man nicht zur Vernunft und fängt an gesellschaftliche Reproduktion anders zu organisieren, als über Waren und Geld.

     

    Einer Aussage wie von

    @ Amos:

    "Am Wachstum hat ja niemand was auszusetzen."

     

    ...möchte ich deshalb deutlich widersprechen. Wenn mich ein System zu Wachstum zwingt, obwohl es stofflich-energetisch gar keine Notwendigkeit gibt, sondern nur abstrakter Wertzugewinn generiert werden soll - koste es was es wolle - dann ist das kein selbstbestimmtes wirtschaftliches Handeln der Menschen, sonder völlig irrational, weil es langfristig unsere Ressourcen verschwendet, unsere klimatischen Existenzbedingungen zerstört und die Zahl derer steigt, die nicht an diesem Zugewinn teilhaben dürfen.

     

    Hier ein lesenswerter Artikel zum Thema, der das noch besser beleuchtet und diverse Wachstumsillusionen aufdeckt - z.B. die irrige, durchaus öfter zu lesende Annahme, es könne Marktwirtschaft ohne Wachstum geben: http://www.exit-online.org/textanz1.php?tabelle=schwerpunkte&index=6&posnr=195&backtext1=text1.php

  • H
    Horta

    Spinner hätte der Dany ja früher für sich selbst als Auszeichnung empfunden. Schade dass er heute den Spinnern nicht zuhören will, wo er selbst an der Macht ist. Die Abkehr vom Wachstum scheint mir die einzige sinnvolle Idee für ein glücklicheres und ökologisches Leben. Ganz abgesehen davon, dass Freiheit auch die Freiheit des Verzichts beinhaltet. Wenn der STrand unter dem Pflaster liegt, dann liegt die Wiese abseits der Kasse.

  • M
    Mainz

    Serge Latouche war Anfang November für eine Woche zu einer Vortragsreihe in Deutschland. Seine Stationen waren Mainz, Worms, Heidelberg und Karlsruhe.

    Zumindest der Mainzer Vortrag kann inkl. Übersetzung im Internet angehört werden:

    http://diskursiv.blogsport.de/kapitalismuskritik-vortragsreihe/dacroissance/

  • F
    freegan

    eine sehr schöne botschaft an die greenwashing fraktion haben sie auch:

    http://www.editions-parangon.com/f/index.php?sp=liv&livre_id=73

  • R
    reblek

    Herr Cohn-Bendit hat vergessen, dass die sogenannten Grünen mal wussten, dass "Wachstum" nicht Sinn und Zweck des Wirtschaftens sein kann, weil die Erde endlich ist. Aber wer regieren will, darf so "radikal" nicht denken, also die Wurzel des Übels nicht mehr erfassen. Das nennt sich dann "realistisch" und führt zum Klimawandel, der selbstverständlich von Co. Bendit bekämpft wird. Womit? Mit Wachstum, was sonst?

  • A
    Amos

    Am Wachstum hat ja niemand was auszusetzen. Aber

    im Turbokapitalismus findet Wachstum nur statt, durch den Verzicht großer Bevölkerungsschichten. Das

    Wachstum ist quasi nur für wenige. Damit die Ausbeuter ihr Geld behalten können, wird an die, die

    vom großen Kuchen nichts abbekommen Almosen gezahlt.

    Das heißt Kommunismus für den Arbeiter und Kapitalismus für die Nimmersatts. Wenn kein Geld da ist um die Menschen anständig zu bezahlen, wo kommt dann das Geld her, was verzockt wird? Der skrupellose Kapitalismus verschlingt sich selbst.

    Und daher sehen viele Menschen auch keinen Sinn mehr in diesem Unsinn.

  • SR
    Sören Roth

    Zur Unterstützung dieses Ansatzes (nicht ohne die Vorteile einer Rationalisierungsphäre welche im protestantischen Geiste durchaus verwurzelt ist - ich hier aber religionsneutral verstanden "wünsche") möchte ich vorschlagen diese Einsicht in eine ProPersonKonsumretionalisierung um eine uns vermutlich unappetitliche, mir jedoch notwendig erscheinende Marketing-Strategie für dieses Projekt ergänzen.

    Es bedarf hierzu eine EU-BürgerWebsite, auf welcher alle Personen ihre Immunität, also ihre zukünftig nicht weiter bestehende Verführbarkeit durch die Instrumente des Überkonsumkapitalismus - sprich der Werbungs und Vermarktungsindustrie

    festschreiben.

    Die Absatzplanungen beziehen sich auf ein angebliches typisches Konsumverhalten, welches immerwieder durch Befragungen usw. festgestellt wird, aber mangels Handlungsalternativen für den Konsumenten Ursprung für eine ganze Kette von Misständen verantwortlich sind. Durch dieses zählbare Meinungs- und damit Konsumentenvolumen, welches sich durch Teilname auf der Website aus der "unkritischen" Absatzmasse loslöst bzw. abmeldet entsteht gleichzeitig ein Hinweis welche Produkte diese Menschen denn wirklich wollen.

     

    Und meine unterstellte Tatsache, das nicht auch sondern besonders diese Menschen den eigenen "Arbeits-Einsatz" entlohnt haben möchten und selbstverständlich wissen, daß der Einsatz des Anderen ebenfalls einen "gerechten" Lohn "verdient" deutet auf einen Nicht-Zusammenbruch des Tauschsystems mit Hilfsmitteln an.

     

    Aber die Kapitalsteuerunggsplanwirtschaft bekommt einen "guten" und harten Konkurrenten!

    Konkurrenz belebt immer das Geschäft!

    In Zeiten der Attraktivität eines ideologischen Gleichberechtigungssystems (sprich der Existens der Sowjetzone (ohne kritische Bewertung als Beispiel eingebracht und hoffentlich jetzt nicht mehr freiwillig misverstehbar!) sprang für die

    Bürger ja deutlich mehr heraus als gäbe es keine Alternative wie heute!

  • W
    Westberliner

    Ich habe bereits in "arte" etwas über diese französische Bewegung gesehen. Dort erklärte auch Cohn-Bendit, dass diese Leute Spinner sind. Das ist seine Sicht der Dinge. Bei mir genießt diese Bewegung größte Sympathie, denn ich verweigere schon seit Jahren den gewünschten Konsum.

  • B
    ben_

    Wer sich – wie ich – fragt, was "Décroissance" wohl bedeutet, dem sei gesagt, dass die Wikipedia es mit "Wachstumsrücknahme" übersetzt und "objecteurs de croissance" übersetzt Google mit "Verweigerer des Wachstums" … das wurde aus dem Artikel zwar von der Bedeutung her klar, aber die wörtliche Übersetzung ist ja doch spannend.

     

    Nebenbei: Dass man auf der Seit mit dem Kommentar-Formular nicht mehr den ganzen Artikel lesen kann ist nicht so praktisch.

  • G
    grüner

    grrr, wenn ich höre, was der daniel zu dem thema da von sich gegen hat, schüttelt es mich. leider ist eine solche einstellung bei uns gerade recht verbreitet (mensch erinnere sich an unsere "wachstum durch bildung"- plakate :( )

     

    wirkliche wachstumsgegner sind derzeit leider noch eine minderheit, auch wenn es in der theorie von großen teilen der partei unterstützt wird. mal sehen, ob und wann wir einen stimmungswandel schaffen.