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Französisch-algerische BeziehungenFünf Jahre Haft für ein Interview

Der algerisch-französische Schriftsteller Boualem Sansal muss für fünf Jahre ins Gefängnis. Er hatte sich zur Westsahara und zu Algerien geäußert.

Solidaritätsveranstlatung für Boualem Sansal in Nizza im März 2025 – er muss für fünf Jahre in Algerien ins Gefängnis Foto: Shootpix/ABACA/imago

Paris taz | In Frankreich reagieren kulturelle und politische Krise schockiert auf die drakonisch strenge Verurteilung des 80-jährigen Schriftstellers Boualem Sansal wegen eines „Meinungsdelikts“. Der algerisch-französische Schriftsteller wurde am Donnerstag von einem Strafgericht in Algier zu fünf Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt.

Am Ende eines Schnellprozesses von 20 Minuten Dauer wurde er der Beeinträchtigung der nationalen Sicherheit und der nationalen Interessen für schuldig erklärt. Er war im November bei einem Besuch in Algerien festgenommen worden.

Als Grund dafür wurden Äußerungen in einem Interview genannt, in dem Sansal die Meinung vertreten hatte, die Westsahara gehöre zu Marokko. Zudem habe Frankreich bei der Unabhängigkeit zu Unrecht die Grenzen zu Gunsten der ehemaligen Kolonie Algerien verschoben.

Dass Sansal diese Ansicht in einem Online-Magazin der französischen extremen Rechten geäußert hatte, wurde in Algerien, wo die Behörden diesen Gebietsstreit als Reizthema und besonders einseitige Stellungnahmen aus Frankreich als Provokation betrachten, zusätzlich als diffamierend empfunden.

Scharfe Kritik

Sansal war nach seinem Wirtschaftsstudium zunächst ein hoher Beamter in Algerien, bevor er seine Karriere als kritischer Schriftsteller begann. In seinem ersten Werk „Le Serment des barbares“ (Der Schwur der Barbaren) warnte er vor dem wachsenden Einfluss der Islamisten.

Nach der Veröffentlichung des Buchs „Le Village de l’Allemand“ (Das Dorf des Deutschen oder das Tagebuch der Brüder Schiller) wurde ihm vorgeworfen, er stelle die Nazis auf dieselbe Stufe wie die Islamisten und verleumde so seine Heimat. Die scharfe Kritik am politischen Islamismus erklärt, warum extremistische islamfeindliche Kreise in ihm einen Verbündeten sehen. Ein Teil der französischen Linken hatte deshalb einige Mühe, sich mit diesem Autor zu solidarisieren.

Dennoch hatten sich in Frankreich, aber auch in anderen Ländern, von Beginn an zahlreiche Persönlichkeiten aus Kultur und Politik vor dem Prozess für Sansals sofortige Freilassung und – über den prominenten Einzelfall hinaus – für die Freiheit inhaftierter politischer Regierungsgegner und die Meinungsfreiheit in Algerien eingesetzt.

Staatspräsident Emmanuel Macron hatte seinen algerischen Amtskollegen Abdelmajid Tebboune ersucht, dem laut seinem Verleger Gallimard an Krebs leidenden Schriftsteller Gnade zu gewähren. Noch besteht aus französischer Sicht die Hoffnung, dass Sansal aus Prinzip und aus Nationalstolz in Algerien zwar verurteilt worden ist, in der Folge aber vielleicht von der Staatsführung mit einer als Großmut gedachten Geste nach Frankreich abgeschoben werden könnte.

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1 Kommentar

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  • Die Westsahara gehört so wenig zu Marokko wie die Westbank etc. zu Israel, trotz massivem Militäreinsatz, Vertreibungen und Schikanen.



    Dennoch soll Herr Sansal bitte auch diese seine grob falsche Auffassung äußern dürfen. Algeriens Unterstützung des saharaoischen Volks sollte sich da ja nicht beirren lassen.