Franz Radziwill in Dangast: Der Maler als Lobbyist der Natur
Das Nordseebad Dangast hat viele Künstler angezogen. Die meisten gingen wieder weg – Franz Radziwill blieb und ließ die Küstenlandschaft und ihren Schutz zu seinem Lebensthema werden.
JEVER taz | Tannengeest soll in mundartlicher Auslegung der Name des Nordseebades Dangast im Landkreis Friesland bedeuten. In der Tat ist die kleine Ortschaft mit derzeit rund 550 Einwohnern durch eine markante topografische Situation geprägt: Ein hoher eiszeitlicher Geestrücken schiebt sich wie eine kleine Halbinsel ins Wattenmeer. Mit Kiefern und Fichten bestanden bildet er die dichte Kulisse für den tiefer liegenden Strand. Schon vor 1800 kamen erste Badegäste.
In den folgenden Jahrzehnten entstand ein bescheidenes Seebad, das mit seinem Kurhaus auf der Brandungsmauer aus rotem Backstein und den Logiergebäuden unter hohen Bäumen noch immer das Flair des Ortes ausmacht. Landwirtschaft und die typische Krabbenfischerei blieben bestehen.
Allerdings weckte der Sand im Waldboden Begehrlichkeiten. So wurde erstmals 1896 ein Teil des Waldes gerodet, der Sand zum Aufbau der Stadt Wilhelmshaven verwendet. Die so entstandene Dangaster Rennweide ist bis heute eine flache Lunke im Waldgürtel und dient seit Langem als Campingplatz.
Nicht verwunderlich, dass auch immer wieder Künstler den Ort entdeckten. Ab 1907 schlugen einige expressionistische Maler der Dresdner Künstlervereinigung „Die Brücke“ ihr Sommerquartier in Dangast auf. Schmidt-Rottluff, Pechstein oder Heckel schufen mit beachtlicher Produktivität in wenigen Jahre Unmengen von Stillleben und vor allem Landschaftsstücke – Modelle für Akte fanden sich seltener.
Während der 1970er-Jahre frequentierte der Filmer Charles Wilp den Ort. Der Schöpfer des leicht psychedelischen Afri-Cola-Werbespots brachte im Gefolge veritable Beuys-Schüler wie Anatol Herzfeld nach Dangast. Dieser ließ hier 1977 ein überdimensionales Papierschiffchen in Richtung documenta 6 vom Stapel, es liegt bis heute in Kassel vor Anker.
Ein Künstler aber blieb in Dangast: Franz Radziwill (1895-1983). Karl Schmidt-Rottluff war es, der den Bremer Kollegen auf den Ort hinwies. Als dieser 1921 erstmals herkam, geriet er sofort ins Schwärmen von einer tief bewegten Luft: grau, und tiefblau. 1923 erwarb Radziwill ein altes Fischerhaus aus dem Erlös zweier Bilder, verkauft gegen harte Dollars wie es noch heute in der Familie heißt.
Das Haus, vom gelernten Maurer Radziwill beständig bis in die 1950er-Jahre erweitert, war fortan nicht nur seine krisenfeste Bleibe. Der Rückzug aus den bis dahin bevorzugten Großstädten Hamburg und Berlin änderte auch seine Sicht auf die Welt. Radziwill tauchte ein in das weite Land, den Gezeitenwechsel des Meeres, das klare Licht, die spezifische Flora und Fauna.
Innerhalb weniger Monate änderten sich Motive und Malstil. Die Küstenlandschaft wurde das Lebensthema. Kein Bild entstand mehr ohne Bezug zu Dangast. Radziwill wandte sich von einem gestischen Expressionismus ab und einer altmeisterlichen Landschaftsmalerei zu, die sich im Laufe der Jahrzehnte zu der für ihn typischen Gegenständlichkeit mit surreal visionären Bildelementen verfestigte.
Sein dem Naturschönen zugewandtes Werk traf den Nerv der Zeit. Radziwill erhielt 1933 einen Ruf an die Kunstakademie Düsseldorf. Die außerplanmäßige Professur wurde jedoch bereits 1935 wieder aufgehoben – wegen Radziwills expressionistischer Frühphase, einer Kunst, die unter der NS-Doktrin als entartet galt.
Franz Radziwill beließ seine Naturbegeisterung aber nicht bei der Kontemplation und bildnerischen Sujets. Er wurde nach dem zweiten Weltkrieg ein früher Umweltaktivist, lange bevor es diesen Begriff gab. Er registrierte, wie der stetig wachsende Tourismus die Natur als Wirtschaftsfaktor ausbeutete: 1950 zählte Dangast 20.000 Übernachtungen, 1983, in Radziwills Todesjahr, waren es 250.000, Tendenz seitdem steigend.
Radziwill lehnte den Fremdenverkehr aber keineswegs kategorisch ab, ebenso wenig zivilisatorische Infrastruktur in der Landschaft. Beides muss aus seiner Sicht aber letztlich der Natur und damit auch dem Menschen dienen. 1952 nahm Radziwill einen Auftrag des Wasserwirtschaftsamtes Wilhelmshaven an. Er dokumentierte während der folgenden Jahre in fünf großformatigen Gemälden Deichbauten und neue Schleusen im Friesischen. Radziwill schärfte so wohl seinen Blick für das Zusammenspiel zwischen Landschaft und angemessenen menschlichen Eingriffen.
Er kritisierte folglich den neuerlichen großflächigen Sandabtrag ab 1958 für den Ausbau des Ölhafens und der Raffinerie in Wilhelmshaven. Mit schriftlichen Eingaben bis hinauf zum damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss forderte Radziwill die Unterschutzstellung des gesamten Ortes Dangast – Natur und kulturelle Besonderheit sollten gleichermaßen gewürdigt, ihre Schönheiten anerkannt werden.
Ab 1959 betätigte sich Radziwill im Vogelschutz. Zur Legitimation beantragte er bei der Vogelwarte Helgoland einen Ausweis als Hilfspolizeibeamter. Energisch verscheuchte er lagernde Pärchen aus einem Schutzgebiet am Außengroden. Während sein Engagement bei Kurgästen auf Verständnis stieß, empfanden viele Ortsansässige den Naturschutzfimmel des Professors als Ärgernis. Enttäuscht gab Radziwill 1969 seinen Ausweis zurück: Der Groden wurde als weiterer Campingplatz ausgewiesen.
Als späte Resonanz nicht nur auf Radziwills naturschützerische Basisarbeit wurde das Meeresbiotop am Jadebusen 1986 Nationalpark Wattenmeer. Seit 2009 sind der deutsche und der niederländische Teil der Küste Unesco-Weltnaturerbe. Der dänische Teil kommt 2014 hinzu.
Eine zweiteilige Ausstellung im Schlossmuseum Jever und im Franz-Radziwill-Haus Dangast widmet sich derzeit dem Spätwerk des Malers und dokumentiert seine naturschützerische Arbeit. Radziwill blieb, bis ihn ein Augenleiden nach 1970 beeinträchtigte, künstlerisch tätig.
Eines seiner letzten Bilder ist Ausstellungstitel und Appell zugleich: Die Halbinsel der Seligen – gemeint ist natürlich Dangast – ist mit einem nackten Paar besetzt. Sie wähnen sich in unberührter Idylle, campieren im archaischen Zelt. Gleichwohl schleppen sie Unmengen urbanen Zivilisationsschrottes mit sich, das Todesurteil für die Natur. Aktuell ist in Dangast eine weitere Ferienwohnanlage mit 1.000 Betten geplant.
Die Halbinsel der Seligen – Franz Radziwill und die Natur, bis 31. August im Schlossmuseum Jever sowie bis 11. Januar 2015 im Franz-Radziwill-Haus Dangast
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