■ Frankfurt: CDU vertreibt Opernintendant Cambreling: Ende eines Mythos
Das Unheil hat seinen Lauf genommen, und nicht nur Frankfurt ist um eine bedeutende künstlerische Institution ärmer. Der Intendant der Frankfurter Oper, Sylvain Cambreling, bekannt als einer der Erneuerer dieser Kunstart, hat aufgegeben. Seine Dirigate, die von ihm verpflichteten Regisseure und Bühnenbildner, etwa Christoph Marthaler, Erich Wonder und Anna Viebrock, haben diese Oper in nur vier Spielzeiten zu einem der aufregendsten Laboratorien des gegenwärtigen Musiktheaters gemacht – eines Musiktheaters, das weder dem puren Wohlklang noch der Konvention huldigte, sondern präzise, mit aufgerauhtem und nuancenreichem Klang einen neuen Blick auf die Pathologien nicht nur unseres Zeitalters geworfen hat. Zum Beispiel Marthalers Inszenierung von Verdis „Luisa Miller“ hat dies bewiesen.
Cambreling, in der Sache angemessen kompromißlos auf künstlerischer Qualität bestehend, ist an einer Kommunalpolitik gescheitert, die nicht einsehen mochte, daß große Kunst ihren Preis hat. Das Paradox, daß Kunst, je weniger sie im direkten Sinn dem Überleben dient, um so mehr für eine humane Gesellschaft lebensnotwendig ist, will Politikern in einer Zeit schrumpfender Haushalte einfach nicht einleuchten. Der künstlerische Intendant ist aber vor allem an Politikern gescheitert, die im Blick auf ein vermeintlich anspruchsloses Publikum – das in Wahrheit nur die Projektion ihrer eigenen Interessen darstellt – das vermeintlich bezahlbare Mittelmaß gefordert, betrieben und am Ende durchgesetzt haben. Politisch hat dieses Mittelmaß Name und Adresse. Nach dem Scheitern des Intendanten des Berliner Ensembles, Martin Wuttke, an Berlins Kultursenator Radunski ist Cambreling nun von der CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth, vor ihrer Direktwahl Sportpolitikerin im Wiesbadener Landtag, vertrieben worden. Nachdem Roth schon den Intendanten des TAT, Tom Stromberg, aus Frankfurt vergraulte, hat sie nun – ganz selbsternannte Bühnendezernentin – die Frankfurter Oper bewußt ins Aus laufen lassen.
Der Mythos von der großbürgerlichen, liberalen und der Kunst zugeneigten Frankfurter CDU, mit dem Walter Wallmann die Öffentlichkeit ein paar Jahre lang täuschte, ist mit Roth endgültig zerstoben. Cambreling klagte in seiner Abschiedsrede jene an, die Kultur und Soziales gegeneinander ausspielen und damit das Soziale schädigen. Das mag es geben. Freilich, mit der Frankfurter CDU hat das nichts zu tun. Sie gibt noch nicht einmal vor, das eine gegen das andere abzuwägen. Sie zerstört beides – Kultur und Soziales – in konsequentem Einklang. Micha Brumlik
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