: Franken, Fürsten, Funktionäre
Von der Thoringi zum (aufgelösten) „Glied der DDR“ ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Hermunduren nannte der Römer Tacitus einen Barbarenstamm, der sich in den letzten Jahrzehnten vor unserer Zeitrechnung — zusammen mit Angeln und Warnen — dort angesiedelt hatte, wo heute die Städte Erfurt, Gera und Suhl das „Thüringer Dreieck“ bilden.
Im Laufe der Jahrhunderte verschmolzen die drei Völker zu den Thüringern („Thoringi“), und sie kamen auf die Idee, ihr Ländchen zum „Königreich Thüringen“ zu erheben. Das war um das Jahr 500 unserer Zeitrechnung. Es war gerade „Völkerwanderung“ angesagt. Um die mächtigen, beutelüsternen und wanderfreudigen Franken im Westen in Schach halten zu können, verbündeten sich die Thüringer mit den Ostgoten unter deren legendären König Theoderich.
Doch den „Dietrich von Bern“ der deutschen Heldensage zog es in den reichen Donauraum und dann nach Italien. Im Bündnis mit den Sachsen konnten die aggressiven Franken so die „Thoringi“ in einer Schlacht an den Ufern der Unstrut ( 531) niedermetzeln, ihre Siedlungen zerstören und sich das fruchtbare Stück Land unter den fränkischen Reichsnagel reißen. Einen Teil des alten Thüringerreiches bekamen die Sachsen als Belohnung für ihre bewaffneten Hilfsdienste.
Weil die kriegerischen Franken die „Thoringi“ arg dezimiert hatten, holten sie slawische Stämme zur Waldrodung und Feldbestellung ins Land, die sich bald mit den angesiedelten Franken und Sachsen und den Resten der „Thoringi“ mischten. Ein neues Volk entstand. Als sich das Heilige Römische Reich Deutscher Nationen“ entwickelt hatte, konnte sich in Thüringen das Geschlecht der Ludowinger dauerhaft festsetzen.
Asyl für Lutther Krieg gegen den Papst
Das beeindruckte den gerade amtierenden deutschen Kaiser derart, daß er den Ludowingern um die Mitte des 11.Jahrhunderts die Landgrafenwürde antrug. Das thüringische Kernland umfaßte seinerzeit außer dem heutigen Gebiet Thüringens den gesamten nordhessischen Raum und Mainfranken — ein stattliches Lehen also. Doch der letzte Sproß der Ludowinger, Heinrich (Raspe) VIII. von Thüringen, bedankte sich bei Kaiser Friedrich II. auf seine Weise. Er trat von seinem Hausschloß Wartburg aus als Gegenkönig gegen den mit Vorliebe in Sizilien regierenden deutschen Kaiser an, wurde aber von kaisertreuen Truppen besiegt und einen Kopf kürzer gemacht.
Danach ging es erst richtig los. Rund 20 Jahre lang tobte der „hessisch-thüringische Erbfolgekrieg“, in dessen Verlauf sich das Geschlecht der sächsischen Wettiner auf dem Landgrafensessel festsetzte, und an dessen Ende die Abspaltung Nordhessens vom Lande Thüringen stand. Bis heute führen deshalb sowohl Thüringen als auch Hessen das alte thüringische Wappentier, den Löwen, im Schilde.
Danach wurde es still um die sächsische Provinz Türingen. Da die Großgrundbesitzer aus Hessen und Sachsen der evangelischen Sache beigetreten waren und das Kurfürstentum Mainz, das sich großzügig in Thüringen eingekauft hatte, wie die meisten der Freien Reichsstädte streng kaisertreu und katholisch waren, wurde Thüringen zum ersten Schauplatz der Reformationskriege.
Die protestantischen Fürsten hatten sich 1530 unter Führung von Kursachsen und Hessen zum „Schmalkaldischen Bund“ zusammengeschlossen und trotzten Kaiser und Papst. Schon die Gewährung von Asyl für den „Ketzer“ Martin Luther durch den sächsischen Kurfürsten — der „vogelfreie“ Luther konnte auf der Wartburg unbehelligt an der Bibelübersetzung arbeiten — war eine Provokation der Kurie.
Im „Schmalkaldischen Krieg“ (1546/47) wurde das Bundesheer der Protestanten von den Katholischen vernichtend geschlagen und die hessischen und kursächsischen Teile Thüringens dem kaisertreuen Vetter des sächsischen Kurfürsten, dem Albertiner Moritz von Sachsen, zugeschlagen. Nach einer Phase relativer Ruhe kam Thüringen dann im Dreißigjährigen Krieg (1618-48) vollkommen unter die Räder. Das reiche Suhl, die „Waffenschmiede Europas“ wurde 1634 von kroatischen Truppen bis auf die Grundmauer zerstört. Am Ende des Kriegs war ganz Thüringen ein abgebranntes, verwüstetes Land. Im westfälischen Frieden (1648) wurde das thüringische Gebiet dann vollkommen zerstückelt, so daß sich zum Ende des 17.Jahrhunderts knapp 30 Groß- und Kleinstaaten in Thüringen tummelten.
Das blieb so bis zum Wiener Kongreß 1815 bei dem sich die Großmächte, nachdem sie Napoleon vernichtend geschlagen hatten, daranmachten, Europa neu zu ordnen. Der sächsische und Kurmainzer Besitz in Thüringen wurde der neuen europäischen Großmacht Preußen zugeschlagen und für alle thüringischen Kleinstaaten wurde in Jena ein Appellationsgericht installiert.
Auf Druck Preußens kam es 1833 zur Gründung des „Zoll und Handelsvereins der thüringischen Staaten“ — und während der deutschen Revolution von 1848 wurde erstmals der Ruf nach einem „Bundesland Thüringen“ in einem vereinten „teutschen Vaterlande“ laut. Die Konterrevolution unter Führung Preußens und Österreichs verhinderte eine solche Entwicklung.
Erst 1920 — nach der Novemberrevolution und der Zerschlagung der Adelsherrschaft im Deutschen Reich — kam es zur Bildung des Landes Thüringen. Die in Weimar tagende Nationalversammlung beschloß am 23.April 1920 die Länder Sachsen- Weimar-Eisenach, Sachsen-Meiningen, Reuß, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Gotha und Schwarzburg- Sondershausen zum Lande Thüringen zu vereinigen.
Der Vereinigungsbeschluß bedeutete auch das Ende für den nachrevolutionären „Freistaat Gotha“ und den „Volksstaat Reuß“, die von Arbeiter- und Soldatenräten regiert wurden. Die neue sozialdemokratische Reichsregierung zwang die Linksregierung in Gotha (USPD) mit Waffengewalt in die Knie.
Als die Sozialdemokraten und die aus der USPD hervorgegangenen Kommunisten (KPD) darangingen, sogenannte Proletarische Hundertschaften aufzustellen, um mit dieser bewaffneten Arbeiterstreitmacht den militanten nationalistischen Gruppen im Lande Paroli zu bieten, verhängte die Reichsregierung den Ausnahmezustand über die Länder Thüringen, Bayern und Sachsen. Als die Kommunisten in dieser angespannten innenpolitischen Lage die „Bewaffnung aller Proletarier“ forderten, ließ die Reichsregierung Truppen aufmarschieren.
Bei den Landtagswahlen 1924 löste denn auch der „Thüringer Ordnungsbund“, ein Zusammenschluß der bürgerlichen Parteien, das SPD/ KPD-Bündnis im Landtag ab. Der Ordnungsbund erhielt 35 Sitze, die Linke 30 und der nationalistische „Völkisch-Soziale Block“ sieben Sitze. Die revolutionäre Ära in Thüringen war beendet.
Statt dessen tobte dann auch in Thüringen die „Revolution von rechts“. Die Nazis gaben dem thüringischen Wappenlöwen ein Hakenkreuz in die Krallen.
Zunächst von amerikanischen Truppen besetzt und bald aber Teil der sowjetisch besetzten Zone bekam Thüringen 1946 eine neue Landesverfassung, in der es unter Artikel 1 hieß, daß das Land Thüringen „ein Glied der Deutschen Demokratischen Republik ist“. 1949 war die Besetzung der Schlüsselpositionen der Landesverwaltung mit SED-Mitgliedern abgeschlossen. Im Zuge der Umgestaltung des Staates DDR wurde das Land Thüringen dann — wie die anderen Länder auch — schlicht von der realsozialistischen Landkarte getilgt. Ab 1952 gab es auf thüringischem Gebiet nur noch drei Verwaltungsbezirke: Erfurt, Suhl und Gera.
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