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■ Frank Wedekind (1864–1918) als Werbetexter geoutet!Maggi's Mini-Melodramen

Düsseldorf (taz) – Im Heinrich- Heine-Institut, einem Ort eher stiller Konzentration auf Dichtung und Wahrheit, grüßen neuerdings bunte Reklameschilder und -plakate von den Wänden: Glückliche Hausfrauen des Fin de siècle laden zu Tisch, vorwitzige Kinder schnuppern an der Terrine. Hinter Glas paradieren ehrwürdige Exemplare jener unverwechselbaren Flasche, die ein ganzes Menschenalter vor derjenigen von Coca- Cola in die Welt trat. Alles dreht sich hier um Maggi. Wie das?

Die Antwort liefert das Jahr 1886. Mit der gerade gegründeten Julius Maggi & Co. KG in Kempttal bei Zürich ging es stürmisch voran. Dem Patron wuchs die Arbeit über den Kopf, er brauchte dringend einen Reklame- und Presseleiter. Andererseits war da ein gewisser Franklin Wedekind. Der brauchte dringend Geld. Sein Vater hatte ihm den Hahn zugedreht, nachdem er dahintergekommen war, daß der 22jährige Filius das Jura-Studium, gelinde gesagt, schleifen ließ. Tatsächlich fanden, durch Vermittlung eines gewissen Karl Henckell, der angehende Dichter (der übrigens schon ein fertiges Drama „Der Schnellmaler oder Kunst und Mammon“ in der Schublade liegen hatte) und der aufsteigende Fertigsuppen-König schon bald zusammen. „Sie können sofort eintreten“, telegrafierte Julius Maggi im November an Wedekind: „heiße Sie als Mitarbeiter willkommen.“

Der neue Mitarbeiter verfaßte nun von früh bis spät Reklametexte à zehn Zeilen. Pro Stück bekam er einen Franken, allerdings nur, wenn die Miniaturprosa auch das persönliche Wohlgefallen des Chefs fand. Der setzte mit spitzem Bleistift jeweils seine Zensuren darunter, von „vortrefflich!“ über „recht hübsch im Anfang!“ bis „nicht sonderlich!“. Wedekind mußte sich aber auch um die Veröffentlichung seiner Suppenhymnen kümmern, schließlich ging es hier nicht um l'art pour l'art. In umfangreichen Tabellen führte er minutiös Buch über alle Werbefeldzüge; allein in Sachsen dealte Maggi mit 161 Zeitungen (auf jede bezahlte Annonce kamen ein paar gratis abgedruckte „redaktionelle Reklamen“, eben jene Plauder- Piecen aus Wedekinds Feder). Einmal schickte der Generaldirektor seinen jungen Kreativen nach Leipzig zur „Ersten Internationalen Ausstellung für Kochkunst und Volksernährung“. Es wurde eine satirereife Reise voller Pech und Pannen. Die Hotels waren belegt, ein Berufsrivale trickste ihn aus, obskure Herren interessierten sich nur für „Maggi's Militärconserven“.

Zurück in der Schweiz, wirft sich Wedekind mit grimmigem Elan wieder in die Akkord-Texterei. Egal ob er mit einem Wort des Predigers Salomon, Goethes oder Schillers einsteigt, ob am Beginn eine „große Seeschlange an der Küste von Patagonien“ auftaucht oder eine „Mißgeburt von Schrecken-erregender Gestalt in einem Dorfe Süd-Rußlands“, ob „Eine rührende Ehescheidungsgeschichte“ des Lesers Erwartung weckt oder eine zeitgemäße Betrachtung über „Die Überbürdung der heutigen Schuljugend“ anhebt – Wedekind kriegt allemal in zehn Zeilen die haarsträubende Kurve hin zu „Maggi's Suppen-Nahrung“ und ihren unschätzbaren Vorzügen.

Angefeuert von Julius Maggi, der sich um so begeisterter zeigt, je dicker Wedekind aufträgt, wirft er alle Hemmungen ab. Was dem Einen fehlt, das findet / In dem Andern sich bereit; / Wo sich Mann und Weib verbindet / Keimen Glück und Seligkeit. // Alles Wohl beruht auf Paarung; / Wie dem Leben Poesie / Fehle Maggi's Suppen- Nahrung / Maggi's Speise-Würze nie! Er erklärt Maggi zur „einzig wahren Muttermilch für Erwachsene“, zum modernen Ambrosia, das „ewige Jugend“ verleiht, er schwadroniert von der „Seelen- Tiefe des deutschen Weibes“, von „Sein oder nicht sein“, mit Maggi heilt er in seinen Mini-Melodramen zerrüttete Ehen, neurotische Bräute, schwer erziehbare Kinder, ja die ganze Welt. Mit einem Wort: Er macht sich einen Riesenjux. Schließlich wußte er schon als Gymnasiast, „wie kolossal viel man dem Publicum bieten darf, wie es gleich einer ,rechten‘ Sau mit allem vorlieb nimmt“.

Nach rund 160 Reklametexten und acht Monaten Arbeit kündigte Wedekind. In der Stellung, „in der ich mit Leib und Seele verschachert war“, schrieb er seiner Mutter, „wär ich zu Grunde gegangen“. Ja, dann hätte es keinen Dichter Frank Wedekind, kein „Frühlings Erwachen“ gegeben, seine Kempttaler Originalhandschriften wären längst des Reißwolfs fette Beute geworden, und im Düsseldorfer Heine-Institut hingen noch immer keine bunten Maggi-Tafeln. Olaf Cless

„Frank Wedekinds Maggi-Zeit“. Heinrich-Heine-Institut, Düsseldorf, bis 27. 8. Im Verlag Jürgen Häusser, Darmstadt, ist ein Begleitband erschienen (270 S., 48 DM)

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