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Frank Lorentz Mein Pudel und Heidi Klum

Vor 100 Jahren, als Heidi Klum eine Größe im Model-Geschäft war und noch nicht Chefscharfrichterin im Privatfernsehen, Abteilung Mädchendressur, begegnete ich ihrem Vater Günther Klum. Originell, wie ich nun mal bin, sprach ich ihn auf seine Tochter an. Er seufzte: „Manchmal komme ich mir wie ein Zuchtbulle vor.“

Inzwischen kann ich seine Reaktion verstehen. Zwar bin ich kein Zuchtbulle, dafür aber Herrchen einer Hündin namens Elli, die aller Welt den Kopf verdreht. Elli ist ein Großpudel. Man könnte auch Königspudel sagen, doch das klingt schrecklich royal nach ausrasierter Nase und extrabuschigen Pfoten. Elli hat karamellfarbenes Fell, Teddy­schnitt und einen herzerweichend lieben Blick. Einmal spazierte ich mit ihr an einem Auto vorbei, aus dessen Tür eine 17-Jährige stieg. Als sie Elli erblickte, schlug sie die Hände vor den Mund und kreischte. So was erlebe ich täglich.

Es ist irre, was ein netter Vierbeiner mit den Leuten macht. Zugleich sind solche Ausraster logisch. Der Anblick mancher Zeitgenossen ist derartig deprimierend, dass man direkt einen Termin bei der Traumatherapeutin machen möchte; da orientiert man sich besser eine Etage tiefer. Genauso irre ist es, wie ausdifferenziert die Hundewelt ist.

In München hat jemand einen Thermomix für die Zubereitung von Hundegerichten präsentiert. Hundewaschanlagen, etwa an Tankstellen, sind im Trend. Ist der Liebling Burn-out-gefährdet – soll vorkommen –, kriegt er Beruhigungsfutter. Vermutlich gibt es auch schon Hunde-ADHS. Das erste Hunde-Handy wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Was die Tiere damit anfangen sollen? Bei uns Menschen stellte man dieselbe Frage.

Hundekunde, Fachausdruck Kynologie, ist ein etabliertes Fach. Eine Unterabteilung befasst sich mit Hundepsychologie. Was fehlt, ist eine Psychologie des Hunde-Lovers. Seit meinem Erlebnis in der U-Bahn halte ich sie für nötiger denn je. Elli und ich sind dort Opfer einer Hunde-Stalkerin geworden. Die Frau kniete sich vor Elli hin, herzte sie, brach in Tränen aus, als sie Ellis Namen erfuhr („Wie meine verstorbene Omi!“), und bat mich um meine Nummer, um Elli besuchen zu können. Irgendwo in mir drin gingen Jalousien runter, so wie es Günther Klum passiert sein mag, wenn es ihm zu viel wurde, wie begehrt seine Tochter war.

Kaum hatte ich die Bahn verlassen, rief mich die Frau an und schlug Termine für ihren Antrittsbesuch vor. Gäbe es eine Psychologie des Hunde-Lovers, ließe sich ihre Kuschelattacke sicher erklären. Ebenso das Rätsel, dass ich einer übergriffigen Fremden meine Nummer gegeben hatte.

Fast alles, was unter Menschen üblich ist, ist in das Hunde­milieu hinabgesickert. Sogar das Nachstellen. Modern Stalking – mit Wau-Effekt. Meine Prognose: Bald begegnen sich Hund und Mensch auf Augenhöhe. Offen ist noch, ob die Hunde zu Zweibeinern werden oder wir zu Vierbeinern.

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