: Fragwürdige Früchtchen
■ Eine neue EG-Richtlinie sieht Kontrolle von "ökologischen" Lebensmitteln vor / Was das für den Verbraucher bringt, bleibt abzuwarten
sieht Kontrolle von »ökologischen«
Lebensmitteln vor / Was das für den Verbraucher bringt, bleibt abzuwarten
Wenn keine einzige Made in den Pflaumen wohnt, die man teuer als biologische Früchte gekauft hat, sollte das stutzig machen. Es ist höchst unwahrscheinlich, daß sie wirklich aus einem giftfreien Gemüsegarten kommen, denn das Krabbelvieh hatte dieses Jahr eine gute Saison auf den ungespritzten Obstbäumen. Wenn die Früchtchen aber nicht so ökologisch oder biologisch erzeugt worden sind, wie es derjenige, der sich umweltfreundlich und möglichst giftfrei ernähren will, sich wünscht, ist nicht nur der hohe Preis ziemlich ärgerlich.
Ab Anfang nächsten Jahres können die Verbraucher auf etwas mehr Kontrolle hoffen. Denn nach einer neuen EG-Richtlinie, die am 1. Januar 1993 in Kraft tritt, müssen sich Erzeuger überprüfen lassen, wenn sie ihre Produkte „biologisch“ oder „ökologisch“ nennen wollen. Die neue Verordnung sieht — zumindest auf dem vielen Papier — eine lückenlose Kontrolle vom Acker bis zum Ladentisch vor. Die so überprüften Lebensmittel sollen das Zertifikat „Ökologische Agrarwirtschaft — EWG-Kontrollsystem“ bekommen.
Der Schutz der Käufer vor Bio- Schummel ist damit allerdings nicht unbedingt gewährleistet. Es fehle die öffentliche Kontrolle, kritisiert Silke Schwartau von der Hamburger Verbraucherzentrale. Denn in Deutschland ist vorgesehen, daß die Vergabe des Zertifikats von privaten Firmen vorgenommen wird, die staatlich zugelassen werden müssen. Dafür ist in Hamburg die Wirtschaftsbehörde zuständig. Sie hat bislang ein Hamburger Unternehmen zugelassen, das die EG-gemäße Überprüfung der Bioproduzenten übernehmen soll, die Firam SGS Controll-Co.So. Doch die für den Verbraucher so wichtige Überprüfung der Biobauern und ihrer Produkte wäre in staatlicher Hand
1besser aufgehoben, so Silke Schwartau. Dahinter verbirgt sich die Sorge, private Tester könnten in ihrem Urteil — finanziell — beeinflußt werden.
Sein Vertrauen in private Institutionen sei nicht geringer als das in staatliche Stellen, widerspricht Behördensprecher Heiko Tornow, schließlich käme Bestechung ja auch im öffentlichen Dienst vor. Der hält sich bei der biologischen Kontrolle in Hamburg zurück, erst wenn Verbraucher sich beschwerten, trete die Gewerbeaufsicht auf den Plan. Bei der Wirtschaftsbe-
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hörde existiert noch nicht einmal ein Verzeichnis der zu kontrollierenden Firmen. So kann Tornow auch nur nur Vermutungen anstellen: „In den Vier- und Marschlanden und im Alten Land gibt es reichlich Landwirte, die ökologisch verträglich wirtschaften oder umstellen wollen.“
Einer von ihnen ist der Biobauer Thomas Sannmann in Ochsenwerder. Er hat sich bereits für die Überprüfung seines Betriebes angemeldet, allerdings nicht in Hamburg, sondern bei der niedersächsischen Firma „Nordcontrol“. Es werde aber noch eine Weile dauern, bis die auf den Hof kommen, vermutet Sannmann, denn bei den Testern ständen schon 500 Biolandwirte auf der Warteliste. Und wenn die Kontrolleure dann kämen, würden sie sicher nicht jede Kartoffel untersuchen, sondern nur „gucken, was rein und was rausgeht“.
Am Warenfluß ließen sich die Schwarzen Schafe erkennen, die im kleinen Stil anbauen und im großen Stil verkaufen. Sannmann begrüßt, daß auf diese Weise dem „grauen Biomarkt“ endlich ein Riegel vorgeschoben wird. Denn die Höchstpreise, die mit Bioprodukten zu erzielen sind, verlocken ja regelrecht dazu, auch mal eine Ladung gespritzte und überdüngte Tomaten aus Holland unterzumischen, wenn die eigene Ernte kläglich ausgefallen ist und es eh niemand merkt. Sind die Mengen, die ein Hof zum Verkauf anbietet, weit höher als das, was auf den Feldern geerntet wird, liegt der Verdacht nahe, daß hier gemauschelt wurde.
Sollte sich die vorgesehene Kontrolle tatsächlich nur auf die Warenflüsse beschränken, wäre das im Sinne der Verbraucher allerdings nicht ausreichend. Denn eine gründliche Untersuchung müßte auch die Anbaumethoden und die Qualität der Nahrungsmittel genau unter die Lupe nehmen. Vera Stadie
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