: Fragen drängen sich auf
Von Beginn an hat der Demjanjuk– Prozeß bei mir Fragen aufkommen lassen, die auch das Urteil nicht zufriedenstellend beantworten kann. Zweifel stellen sich ein, wenn man sich vor Augen hält, wie die westliche „Entnazifizierung“, an der ich als junger Soldat am Ende des 2.Weltkriegs selbst beteiligt war, doch eigentlich zu einer Ouverture des Kalten Kriegs geworden ist. Welche Chargen und Kategorien vor allem unter Spezialisten des Dritten Reichs konnten neue Verwendung finden? Wem wurde die Möglichkeit gegeben, entweder zeitweilig unterzutauchen oder in Amerika eine neue Existenz aufzubauen? Unter anderem waren es gerade die zahlreichen Nazi–Kollaborateure von der Sorte eines „Iwan des Schrecklichen“, die vor den sowjetischen Behörden gerettet werden sollten und deshalb untertauchen durften. Wie viele hunderttausend kleine und große Nazi–Verbrecher haben neue Karrieren gemacht, ohne je zur Verantwortung gezogen zu werden? Nur einer Reihe von Zufällen ist es zuzuschreiben, daß der Fall Demjanjuk fast ein halbes Jahrhundert nach der Vernichtung von sechs Millionen Juden überhaupt noch aufgegriffen wurde. Fragen drängen sich aber auch darüber auf, wie unsere Gesellschaft mit den Kriegsverbrechen nach 1945 umgeht. Ist mörderischer Sadismus und Rassismus nur dann zu ahnden, wenn er sich auf eine spezifische Epoche bezieht? In diesem Fall kann die zweifellos vorhandene Sonderstellung des Holocaust zu einer Gefahr werden, weil sie alle anderen Verbrechen in den Schatten stellt und damit zu entschuldbaren Betriebsunfällen macht. Amos Wollin
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