Frachter vor Langeoog: Letzter Aufreger der Saison

Der im Sturm „Herwart“ vor Langeoog havarierte Frachter „Glory Amsterdam“ ist frei und auf dem Weg nach Wilhelmshaven.

Mit bloßem Auge kaum zu erkennen: Mit dem Frachter kamen auch die Medienleute auf die Insel Langeoog Foto: Karolina Meyer-Schilf

LANGEOOG taz | Die Nordseewellen peitschen an den Strand. Die Flut kommt, es ist dunkel, diesig und regnerisch. Alles rauscht. Schemenhaft zeichnet sich der Frachter am Horizont ab, um ihn herum die Lichter der Schlepper und Begleitschiffe. Sie haben die ganze Nacht Ballastwasser abgepumpt, insgesamt 16.000 Liter. Zwei dänische Spezialschlepper halten die „Glory Amsterdam“ an 1.000 Meter langen Trossen in Position. Das Schiff muss leichter werden, damit es bei Hochwasser aus der Brandung gezogen werden kann.

Es ist kurz nach sieben Uhr morgens, als sich am Horizont etwas tut. Mit bloßem Auge in der Dämmerung noch kaum zu erkennen, bringt der Schiffstracker Gewissheit: Die „Glory Amsterdam“bewegt sich. Ganz langsam, mit 2,6 Knoten, Kurs 318 Grad. Das ist in Richtung offene See.

Sturm „Herwart“ hat den 225 Meter langen Schüttgutfrachter auf die Insel Langeoog zugetrieben. In der Nacht auf Sonntag ist dann er zwei Kilometer vor der Insel aufgelaufen und seitdem ist hier ordentlich was los. In Nordrhein-Westfalen sind noch Herbstferien, die Insel ist ohnehin voll. Nun schleppen auch noch die Medienleute ihre Mikros und das Technik-Equipment über die Insel und fragen die Insulaner, wie sie das so finden mit dem Frachter.

Nur linke Turnschuhe

Die Langeooger tragen es mit Fassung: „Sind wir mal wieder in aller Munde.“ Das Gespräch in der Inselbahn dreht sich um das aktuelle Strandgut und das vergangener Tage: „Weißt du noch, als die Thermoskannen kamen?“ Nicken. Grinsen. „Und die Turnschuhe! Aber alles nur linke.“ Die hätte man trotz Salzwasser vielleicht wieder hingekriegt, gute Marken waren dabei, Nike und so, aber was will man mit lauter linken Turnschuhen? Eben. Schulterzucken. „E-Bikes wären mal gut!“, sagt eine blonde Frau und lacht. Die könnten sie hier gebrauchen.

Abends im Dorfkrug redet zunächst keiner über den Koloss, der draußen immer noch vor der Insel liegt. Es ist Tag drei nach der Strandung. Zunächst hieß es, der Frachter könne in der Brandung auseinanderbrechen und mit seinen 1.800 Tonnen Schweröl eine Ölkatastrophe im Nationalpark Wattenmeer verursachen. Aber diese Befürchtungen sind immer kleiner geworden. Das Schiff wird engmaschig kontrolliert, außer der 22-köpfigen Mannschaft sind sieben Leute vom Bergungsteam an Bord, ein Ölüberwachungsflugzeug kon­trolliert regelmäßig, ob Treibstoff austritt – tut er nicht. Der Frachter wird wohl halten.

Nachdem die Neuigkeiten des Tages ausgetauscht sind und der Sparverein seinen Kassensturz gemacht hat, schaltet Atze hinterm Tresen aber doch mal das iPad ein: Auf „Marinetraffic“ kann man in Echtzeit verfolgen, wie die Bergung vorangeht. Lauter kleine Dreiecke sind zu sehen, die ein weiteres Dreieck umzingeln. Das Dreieck in der Mitte ist der Frachter, die Dreiecke drumherum die Schlepper und Sicherungsschiffe. Noch wird abgepumpt, die Dreiecke bewegen sich kaum. Jetzt holen alle ihre Smartphones raus und checken mal kurz auf „Langeoognews“ die Nachrichtenlage.

Die lokale Nachrichtenseite bietet einen gut informierten Live-Ticker zum Geschehen draußen auf der Sandbank an. „In den letzten Tagen ist ‚Langeoognews‘ öfter mal zusammengebrochen“, erzählen die Gäste im Dorfkrug. Normalerweise passiere das ja nicht, „aber jetzt gucken eben öfter mal welche auf die Seite“. Auch hier werden jetzt die alten Geschichten rausgeholt, die Turnschuhe, das Holz, und die Überraschungseier.

Alle voller Legosteine

Das war im Januar, da ging im Sturm ein Maersk-Container voller Überraschungseier und Legosteine über Bord – und alles kam hier auf Langeoog an. „Wir durften ja nichts nehmen, die haben das richtig bewacht“, erzählt eine Frau. Auf das Koks, das vor ein paar Monaten in Borkum angespült wurde, seien sie nicht neidisch gewesen, versichern alle und gucken dabei treuherzig. Aber das Holz, ebenfalls eine im Sturm über Bord gegangene Decksladung, das hätte man schon gebrauchen können. Nur zum Aufräumen, da durften sie dann alle anrücken, freiwillig natürlich.

Bei dem Thema platzt dem Inselbürgermeister Uwe Garrels regelmäßig der Kragen. „Bei uns kommt immer alles an, und dann kümmert sich keine Sau drum!“, sagt er. Mit dem Aufräumen säßen sie dann allein da, nicht mal Maersks Versicherung habe bis jetzt alles bezahlt. Und jeder neue Sturm wirbele wieder neue Überraschungsei-Teile auf, die bis dahin irgendwo verschüttet waren. Auch Teile der polnischen Segelyacht, die erst vor Kurzem im Seegatt havarierte, sind in Langeoog angespült worden. „Der Schlepper hat ja höchstens die Hälfte der Yacht mitgenommen, der Rest liegt jetzt hier“, sagt Garrels. Sperrholz sei darunter, auch eine Matratze.

Er und die anderen Bürgermeister der ostfriesischen Inseln fordern höhere Sicherheitsvorkehrungen in der Seeschifffahrt, ein wirksameres Krisenmanagement und mehr Unterstützung im Schadensfall. Dazu treffen sie sich nach der erfolgreichen Bergung der „Glory Amsterdam“ auf Borkum, um eine entsprechende Resolution zu verabschieden.

Auch an der Arbeit des Havariekommandos Cuxhaven, das die Bergungsarbeiten koordiniert, übt Garrels Kritik: „Hier hat der Notfallplan nicht funktioniert.“ Es könne nicht sein, sagt der Bürgermeister, dass ein großes Seeschiff über Stunden auf die Insel zutreiben könne und es niemandem gelinge, eine Schleppverbindung herzustellen – auch nicht bei schwerem Wetter. „Der Vorfall muss Konsequenzen für die Seeschifffahrt haben“, fordert Garrels. Die Mannschaften an Bord müssten besser ausgebildet sein, es dürfe nicht nur die Kostenersparnis im Vordergrund stehen.

Im Dorfkrug vertrauen sie auf die Arbeit der Bergungsmannschaften. „Das ist dieselbe Firma, die auch die ‚Costa Concordia‘ gehoben hat“, erzählt Uwe, der Inselkutscher. „Das wird ja wohl klappen.“ Ein bisschen belustigt sind sie von den ganzen Medienleuten, die jetzt über die Insel laufen und alle ausfragen. „Von mir wollte einer wissen, ob wir jetzt mehr Fahrräder vermieten als vorher“, erzählt Ole, der beim Langeooger Radhus arbeitet und auch dem Mann vom NDR seinen Nachnamen nicht verraten hat. Ohnehin bereiten sich langsam alle auf das nahende Saisonende vor. Der Frachter wird wohl der letzte Aufreger der Saison gewesen sein, in ein paar Tagen ist für die meisten hier Schluss. Uwe bringt seine Pferde aufs Festland, Atze hat bald Urlaub.

Noch eine letzte Runde

Eine letzte Runde „Schock“ wird gewürfelt, jeder hat eine kleine Teppichfliese und einen Würfelbecher vor sich. Wer verliert, muss eine Runde ausgeben. Dass der Frachter schon am nächsten Tag geborgen wird, halten hier viele für wahrscheinlich. „Wenn sie die Leine schon dran haben, ist das doch die halbe Miete.“ Ein letztes Bier, ein letzter Blick auf den Schiffstracker. Dann wird es Nacht auf Langeoog. Und am nächsten Morgen ist der Frachter weg.

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