Fotografin Seewald über Projekt gegen Homophobie: "Wir sehen nur, was wir zu sehen erwarten"

Mann oder Frau? Schwul oder hetero? Für ihr Projekt ,Andersrum-portrait" hat die Hamburgerin Alexa Seewald 2.000 Menschen von hinten fotografiert. Ein Gespräch darüber, dass der Schein trügt - und Klischees auch einen wahren Kern haben können.

Zeichen setzen gegen Diskriminierung und Schubladendenken: zwei von Tausenden "Andersrumportraits". Bild: Alexa Seeberg

taz: Frau Seewald, wieso fotografieren Sie Menschen von hinten?

Alexa Seewald: Die Idee ist entstanden, als ich im vergangenen Jahr gefragt wurde, ob ich beim Lesben-Frühlingstreff in Hamburg einen Foto-Workshop übernehmen wolle. Ich wollte, denn ich war neugierig: Wie sehen Lesben aus? Wie steht es mit den Klischees?

Und das finden Sie heraus, indem Sie Rückseiten fotografieren?

Die Projektidee ist simpel: Es geht einfach darum, Personen in dem Wortspiel "Andersrum" für das Andersrum-Sein zu fotografieren. Jedes Portrait setzt ein Zeichen gegen Diskriminierung und Schubladendenken.

Ich möchte Vielfalt zeigen und die Zwischenbereiche jenseits der Klischeebilder abbilden. Denn im Alltag sehen wir oft die Welt durch die Brille der Gewohnheit. Und so sehen wir nur, was wir zu sehen erwarten.

Auf vielen Ihrer Fotos ist beispielsweise nicht zu erkennen, ob die Porträtierten Männer oder Frauen sind. Die Brille für Frau beziehungsweise Mann funktioniert schon mal nicht.

28, wuchs als Tochter eines Diplomaten und einer Ethnologin in Uruguay auf. Studierte Kommunikationsdesign in Hamburg, wo sie 2010 das neue Medizinhistorische Museum des Uniklinikums gestaltete.

Es geht im Projekt tatsächlich ums Schubladendenken. Ich will das nicht generell verteufeln, weil es im Alltag sogar notwendig ist: Wenn der Mensch nicht gelernt hätte, in Kategorien zu denken, um die Flut an Informationen zu filtern, würde er wohl verrückt werden. Das Hinterfragen solcher festgefahrener Gedankenmuster kann allerdings nicht schaden.

Aber ich hasse es, wenn man in Extremen denkt, total feministisch beispielsweise oder wenn man sich in einem Bereich extrem und über die Maßen engagiert. Das führt nämlich auch dazu, dass gerade Menschen, die nicht so viel Kontakt zu Homosexuellen haben, meinen zu sehen, wer schwul und wer lesbisch ist und wer eben nicht.

Ein Beispiel?

Ich habe zwei junge Frauen mit Hut und Minirock fotografiert, die vom Optischen her überhaupt nicht in das Raster "Lesbe" fallen. Auch wenn die beiden das offen ausleben, werden sie vom Betrachter nicht als lesbisch erkannt, bloß, weil sie in keiner Weise dem Bild entsprechen, das viele von Lesben im Kopf haben.

Verstehe. Aber um zu zeigen, dass das Liebesleben nicht an Äußerlichkeiten zu erkennen ist, müssten Sie nicht die Rückseite der Leute fotografieren.

Stimmt, aber ich hatte auch angenommen, dass viele sich vielleicht nicht geoutet haben oder ein Problem damit haben, sich fotografieren zu lassen.

War diese Sorge denn begründet?

Überhaupt nicht, es war vielmehr mein eigenes Vorurteil. Ich musste feststellen, dass die meisten sich im Gegenteil viel lieber von vorne hätten fotografieren lassen. Viele sehen das Projekt als Chance, um Präsenz zu zeigen und ein Zeichen gegen Homophobie, Stigmatisierung und Schubladendenken zu setzen.

Mittlerweile sind bei großen Shootings in Berlin, Hamburg und Karlsruhe insgesamt an die 2.000 Porträts entstanden. Haben Sie denn jetzt eine Antwort auf Ihre Frage gefunden: Wie sieht die Szene aus?

Naja, durch das Projekt hat sich schon bestätigt, dass jedes Klischee ja wie jede Sage und wie jedes Märchen auf einem Kern Wahrheit beruht. Aber es gibt viel mehr, als man meint und denkt. Es gibt alles, querbeet, ein Querschnitt durch die Bevölkerung, das Äußere ist völlig egal.

Auf Ihren Fotos sind dann ja auch nicht nur Frauen in Holzfällerhemden, sondern beispielsweise auch sehr schicke Frauen, jugendlich in Baggy Pants zu sehen. Oder ältere Herren. Oder Familien.

Ich will eben auch zeigen, dass lesbisch, schwul, queer, inter-, trans- und bisexuell zu sein, keine Frage des Alters, der sozialen Schicht, des Kleiderstils oder auch des Berufs ist.

Bei Ihren offenen Shootings beispielsweise auf Straßenfesten können Sie aber nicht beeinflussen, wer kommt. Sie wissen also nicht, ob die Porträtierten nicht doch einfach Heteros sind.

Indirekt beeinflusse ich über die Wahl des Shooting-Ortes wer auf die Fotos kommt. Wenn ich also beim CSD, beim Lesben-Frühlingstreff, beim L-Beach, beim Schwul-lesbischen Neujahrsempfang oder beim Regenbogenfamilientag fotografiere, weiß ich ja ungefähr, wer kommt.

Ich klammere aber niemanden aus, der sich fotografieren lassen will. Doch es bleibt natürlich ein Projekt gegen Homophobie und deswegen fotografiere ich in erster Linie Homosexuelle. Oder sagen wir: Alle, die nicht der Heteronormativität entsprechen.

Was soll dabei herauskommen?

Das Ziel ist, dass es irgendwann nicht mehr wichtig ist und akzeptiert wird, dass die sexuelle Orientierung überhaupt keine Rolle spielt. Wir diskutieren ja auch nicht darüber, ob ich Schütze bin oder blonde Haare habe. Outing ja oder nein, im Beruf oder nur privat? All diese Fragen sollte es gar nicht mehr geben.

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