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FotografieFluchtlinien nach Mekka

Johanna Diehl hat Gotteshäuser fotografiert, die im Zypernkonflikt verlassen wurden. Aus Kirchen wurden Moscheen, Moscheen gerieten ungenutzt in Vergessenheit. Die Betrachtung über Vergänglichkeit zeigt jetzt das bau_werk Oldenburg.

"Den mittelalterlichen Kirchen haftet etwas Verwunschenes an." Bild: bau_werk

Der Raum sieht seltsam schief aus, wie ein ausgewrungenes Handtuch. Parallele Linien führen in strenger Geometrie zum Fluchtpunkt. Doch der gotische Kirchenraum dahinter scheint sich zu krümmen. Die mit Malerkrepp auf den Boden geklebten Linien zeigen die Richtung von Mekka an. Nach Osten sind auch christliche Kirchen ausgerichtet. Das ist über den Daumen gepeilt die gleiche Richtung, aber eben nicht genau. Deswegen musste mit Kreppband korrigiert werden, als aus der orthodoxen Kirche eine Moschee wurde.

Als die Türkei 1974 den Norden Zyperns besetzte, wurde die griechische Bevölkerung vertrieben. Im Gegenzug vertrieben die Griechen die türkischstämmige Bevölkerung aus dem Südteil der Insel. Vor dem Bürgerkrieg hatten Christen und Muslime jahrhundertelang als Nachbarn gelebt. Jetzt fanden sie sich auf einer geteilten Insel wieder. Mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes reiste die Fotografin Johanna Diehl 2008/09 über die Insel und fotografierte die verlassenen oder neu genutzten Gotteshäuser der Vertriebenen.

Jetzt ist eine Auswahl aus der Serie "DISPLACE" in der bau_werk-Halle in Oldenburg zu sehen. Die alte Maschinenhalle, die einmal Oldenburgs erster Supermarkt war, bietet zwar nicht viel Platz, aber mit dem offenen Dachgebälk und den unverputzten Wänden, die ihrerseits die Spuren zahlreicher Häutungen tragen, ein perfektes Umfeld für die Fotografien.

Nur ein einziges Bild

Johanna Diehl sieht sich selbst als neutrale Beobachterin des Zypernkonflikts. Deswegen hat sie ihren Bildern immer jeweils den griechischen und den türkischen Ortsnamen als Titel gegeben. Für die griechische Botschaft war das schon Grund genug, ihr die in Aussicht gestellte Förderung wieder zu streichen. Doch Fotografie braucht einen Standpunkt - zumindest im räumlichen Sinn. In "Lapithou/Kozan" hat Johanna Diehl unwillkürlich den der Muslime eingenommen, indem sie ihren strengen Bildaufbau entlang der Fluchtlinien nach Mekka ausrichtet. Die Wahlberlinerin arbeitet mit einer Großbildkamera und nimmt nur ein einziges Bild in jedem Bauwerk auf. "Diese Methode hilft mir, mich zu konzentrieren", sagt sie.

Das Wort "displace" bedeutet im Englischen, der Sprache der einstigen Kolonialmacht auf Zypern, sowohl "vertreiben" als auch "ersetzen". Christen und Muslime gingen völlig unterschiedlich mit dem religiösen Erbe der Nachbarn um. Die Christen ließen die Moscheen einfach leer stehen.

Es sind schlichte Räume, die sich ähneln: Eine Nische für den Vorbeter, eine Treppe, deren oberster Absatz dem Propheten vorbehalten ist, Grün in allen Schattierungen. Auch wenn es für gläubige Muslime, die peinlich auf saubere Füße beim Beten achten, eine Kränkung darstellt, dass der Boden der seit 36 Jahren ungenutzten Räume teppichlos verstaubt: Noch immer wirken die weiß getünchten Wände sauber, fast steril.

Frauen im Altarraum

Den mittelalterlichen Kirchen dagegen haftet etwas Verwunschenes an. Sie integrieren sogar despektierliche Graffiti mit Würde, als seien es archaische Höhlenmalereien. Anders als die Christen haben die muslimischen Gemeinden Besitz von ihnen ergriffen und einige in Moscheen umgewandelt. Gelegentlich ist der Raum der Breite nach mit einem Vorhang in Bereiche für Männer und Frauen getrennt. Ironischerweise finden sich so die weiblichen Gläubigen im einstigen Altarraum wieder, der in der orthodoxen Kirche für Frauen untersagt ist.

Im Kontrast zu dem Ewigkeitsanspruch, den die Kirchenbauten erheben, steht der transitäre Charakter der Moscheeeinrichtungen: Alles wirkt reversibel. Statt Mauern gibt es Tücher. Selbst die Malereien an den Kapitellen sind in "Karavas/Alsançak" nicht übermalt oder zerstört worden, sondern behutsam mit weißer Pappe abgeklebt.

Heilige Orte

Johanna Diehl nimmt an, dass es die Aura der Kirchen ist, die sie für eine Weiternutzung durch die andere Religionsgemeinschaft empfiehlt: Während Moscheen vor allem Versammlungsorte sind, beanspruchen die Kirchen für sich, heilige Orte zu sein. Man könnte auch vermuten, dass sie auf Zypern einfach die attraktiveren Gebäude sind. Als Kommentar zur Debatte um die Nachnutzung aufgegebener Kirchen in Mitteleuropa möchte Diehl ihre Werke nicht verstanden wissen.

Die Deutsche Bischofskonferenz hat schon 2003 einen Kirchenverkauf an nicht-christliche Religionsgemeinschaften ausgeschlossen - "wegen der Symbolwirkung einer solchen Maßnahme".

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