Fotograf Jürgen Schadeberg: Die Apartheid in schwarz-weiß

Endlich wird das Werk des Fotografen Jürgen Schadeberg mit einem opulenten Band gewürdigt. Seine engagierten Reportagen begründeten den legendären Ruf des Magazins "Drum".

Nelson Mandela fotografiert von Jürgen Schadeberg. Bild: ap

Den Schock über die strenge Segregation von Schwarzen und Weißen merkt man den Bildern an. Die gesellschaftliche Ungleichheit und Unterdrückung der Schwarzen widerten Jürgen Schadeberg an, als er 1950 nach Südafrika übersiedelte, um dort als Fotograf zu arbeiten: Ständig mussten Schwarze einen Pass und ein Arbeitsbuch bei sich tragen, um sich ausweisen zu können, sie durften die Viertel der Weißen nur mit Ausnahmegenehmigung betreten, der Umgang mit ihnen war undenkbar, tabu. Doch das Leben der Weißen mit all seinen kolonialen Attitüden, Tee, Kricket, Pferderennen und Kino, langweilte ihn.

Schadeberg war den Künsten wie der Musik, dem Blues wie dem Jazz gleichermaßen aufgeschlossen, und das pulsierende, aufregende und abwechslungsreiche Leben, das er suchte, fand er in den Townships von Johannesburg, in Soweto oder Sophiatown. Hier porträtierte er die Sängerin Miriam Makeba, lange bevor sie ein international geachteter Star wurde. Er fotografierte die Protagonisten der südafrikanischen Jazz- und Bluesszene: den Posaunisten Vy Nikosi, den Saxofonisten Kippie "Morolang" Moeketsi, den Trompeter Hugh Masekela und die Bluessängerin Dolly Rathebe. Seine Kamera fing die brodelnde Ausgelassenheit der Tanz- und Hotelbars ein. Er wurde der Chronist dieser spezifischen Townshipkultur und ihrer Vitalität.

Jürgen Schadeberg kam aus Berlin, wo er 1931 geboren worden war. Nach dem Besuch der Staatlichen Fachschule für Optik und Fototechnik arbeitete er kurze Zeit bei der Deutschen Presse-Agentur in Hamburg. Dann ging er nach Südafrika. Auf der Suche nach Arbeit wurde der 19-Jährige dort wegen seiner Leica belächelt: Fotojournalismus mittels einer Kleinbildkamera war in Südafrika weitgehend unbekannt.

In Johannesburg landete Schadeberg als einer der wenigen Weißen in der Redaktion des Fotomagazins Drum. Auch dank seiner engagierten Mitarbeit hatte Drum bald einen legendären Ruf. Zola Masekos 2005 entstandener Film "Drum" dreht sich auch um Schadebergs enge, zuweilen gefahrvolle Zusammenarbeit mit dem Journalisten Henry Nxumolo. Seine politisch engagierten Fotoreportagen von der Sklavenarbeit rechtloser Farmarbeiter, der Räumung Sophiatowns 1955, der Beerdigung der Opfer des Sharpeville-Massakers von 1960 machten Jürgen Schadeberg für viele Fotografen zum Vorbild, falls er nicht wie bei Peter Magubane gleich zu ihrem Lehrmeister wurde. Es war Jürgen Schadeberg, der den jungen Rechtsanwalt Nelson Mandela in dessen Büro in Johannesburg fotografierte oder als Generalsekretär des ANC, als dieser 1951 seine "Defiance Campaign" beschloss. Viele seiner Fotografien für Drum hängen heute in der permanenten Ausstellung des 2001 eröffneten Apartheidmuseums in Johannesburg.

Als die Nachstellungen durch die Polizei zunahmen und sich seine Arbeitsbedingungen verschlechterten, verließ er 1964 Südafrika. Seine Arbeits- und Lebensstationen waren London und New York, Spanien und Frankreich. Von nun an arbeitete er als freier Fotograf für englische und amerikanische Zeitschriften wie Time Life, Sunday Times, Observer, in Deutschland für Stern und Zeit. Als sich in Südafrika ein politischer Wandel abzuzeichnen begann, kehrte Jürgen Schadeberg mit seiner Frau Claudia dorthin zurück, auch um nach dem Verbleib seiner Fotos zu forschen und ein eigenes Archiv aufzubauen.

Gemeinsam realisierten sie diverse Dokumentarfilme über die soziale, kulturelle und politische Geschichte Südafrikas. Aus seinen vielfältigen Aktivitäten ragt besonders sein Fotoessay "Voices from the Land" heraus. Der politische Machtwechsel hatte keinen Einfluss auf den kritischen Blick, mit dem Jürgen Schadeberg weiterhin die soziale und wirtschaftliche Realität Südafrikas befragte. In eindringlichen Schwarz-Weiß-Fotografien dokumentierte er das Leben der schwarzen Landarbeiter, ihre Nöte, Probleme, Hoffnungen und Ängste. Parallel zum Buch entstand eine gleichnamige Ausstellung, die in mehreren Städten Südafrikas sowie in Frankreich gezeigt wurde. Auch sein jüngstes, von der Wits-Universität in Johannesburg unterstütztes Projekt widmet sich den sozialen Gegensätzen der Megacity Johannesburg: Farbfotos von den Lustbarkeiten und dem Freizeitluxus einer weißen wie schwarzen Oberschicht stehen in bedrückendem Kontrast zu den deprimierenden Lebensumständen schwarzer Arbeitsloser, Gelegenheitsarbeiter oder Unterstützungsempfänger.

Endlich führt nun ein opulenter, großformatiger Text-Bild-Band dieses umfassende Lebenswerk auf brillante Weise vor Augen. Hinter dem schlichten Titel "Jürgen Schadeberg" verbirgt sich die einfühlsame, vortrefflich illustrierte Hommage an einen bescheidenen Mann, der zurückhaltend auftritt, wobei das wache Gesicht seine noch immer ungestillte Neugierde und durchaus unbescheidene Begeisterungsfähigkeit verrät. Die Textbeiträge von Kollegen und Freunden, auf Englisch, Deutsch und Französisch, heben zu Recht auf Jürgen Schadebergs grundlegende Menschenfreundlichkeit ab. Sie kann nicht hoch genug geschätzt werden, denn aus dieser Haltung rührte sein Mut her, die großen Bilder und Fotostrecken an Schauplätzen zu suchen und zu finden, die nach allgemeiner Meinung des Blicks gar nicht wert waren - ohne die aber der Bildatlas des 20. Jahrhunderts um einige seiner großartigsten Dokumente beraubt wäre.

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