Fotoband über Schönefeld: Am Rande der Realität
Schönefeld ist das Synonym für den Berliner Flughafen. Wie der neu gebaute BER die Gemeinde Schönefeld verändert hat, zeigen die Fotos Björn Kuhligks.
Schönefeld. Wer das Wort hört, wird aller Voraussicht nach an den Flughafen denken. Älteren wird vielleicht eher noch der frühere Flughafen der Hauptstadt der DDR einfallen, SXF, der nach einem Dreivierteljahrhundert vom BER, dem neuen Flughafen, absorbiert wurde und seit 2022 als stillgelegtes Terminal 5 im Dornröschenschlaf liegt.
Der neue Flughafen wiederum wird wohl für immer mit dem Debakel seiner Entstehung assoziiert werden, mit Kostenexplosionen und Fehlplanungen und einer sich über 14 lange Jahre hinziehenden Bauzeit. Wer das Wort Schönefeld hört, wird vermutlich kaum an die Gemeinde dieses Namens denken, einen mit knapp 20.000 Einwohnern überschaubaren Ort unmittelbar an der südwestlichen Berliner Stadtgrenze.
Björn Kuhligk, Berliner Autor und Fotograf, dachte allerdings an Schönefeld, den Ort, als er auf dem SkyPoint Großziethen stand, einem grasüberwachsenen Müllberg, dem eine Karriere als Aussichtsplattform beschert war.
Björn Kuhligk: „Schönefeld“. Favoritenpresse, Berlin 2024, 88 Seiten, 40 Euro
Kuhligk blickte von dort nach Süden und fragte sich, „wie es da eigentlich aussieht, wie sich die Landschaft, die Dörfer, die landwirtschaftlichen Flächen und eine ganze Gemeinde verändert hat, in deren Mitte ein riesiger Flughafen gebaut wurde“.
Die Nacht im Brandenburger Land
Kuhligk fand sich nun häufiger („vielleicht fünfzehn, zwanzig Mal, vielleicht öfter?“) auf der Aussichtsplattform ein, wo er versuchte, die täglich letzten Abflüge vom BER vor dem Nachtflugverbot per Langzeitbelichtung zu dokumentieren. Nachdem der letzte Flieger in der Ferne entschwunden war, sah Kuhligk sich umfangen von der Nacht im Brandenburger Land, die so anders roch und klang als die Nacht in der Großstadt.
Es zog ihn mit einer „Zuneigung zu diesem Ort, die ich bisher nicht aufbringen konnte“. (An dieser Stelle sei auch an das erst vor wenigen Monaten vorgelegte famose Textwerk „Berlin-Beschimpfungen“ von Björn Kuhligk erinnert.)
„Schönefeld“ heißt der eben erschienene Band mit Fotos und einem Essay von Kuhligk. Von den eingangs erwähnten nächtlichen Aufnahmen mit Langzeitbelichtung findet sich keine im Buch. Die abgebildeten Fotos wurden sämtlich bei Tageslicht gemacht.
Es wäre nicht falsch, die Szenerie desolat oder öde zu nennen. Je länger ich sie mir ansah, desto mehr kam es mir vor, als driftete ich in eine Parallelwelt, in eine dystopische Moderne à la J. G. Ballard.
Trostlose, von Menschenhand geschaffene Landschaften, die – obwohl immer wieder mit Industriearchitektur, hochragender Kommunikationstechnik oder auch archaischen Strukturen (Hochstand, Misthaufen) bestellt – stets leer und verlassen wirken und die eher auf eine Ferne oder Abwesenheit verweisen als auf das unmittelbar Lebendige oder überhaupt auf irgendeine Art von Betriebsamkeit. Jedoch bedeutete die Tatsache, dass die Fotos ein solches Wegdriften überhaupt verursachen konnten, einen Beleg ihrer außerordentlichen Qualität.
Nahezu identische Häuser
Nachdem ich einer Freundin Björn Kuhligks Bilder gezeigt hatte, erzählte sie mir, sie sei erst kürzlich nach Schönefeld gefahren, um etwas abzuholen, das sie auf Ebay gekauft hatte. Alle Häuser sahen identisch aus. Die Umgebung, die Grundstücke, die Fußwege waren noch unfertig. Die junge Frau, die mit einem Kleinkind auf dem Arm die Tür öffnete, schien abwesend, sprach in unfertigen Sätzen. Sie erzählte, ihr Mann arbeite am BER, die ganze Siedlung sei für BER-Mitarbeiter gedacht.
Meine Freundin sagte, dass sie bei Ankunft an der Adresse das heftige Gefühl hatte, in die Welt der Backrooms eingetreten zu sein: „Backrooms“ sind Gegenstand einer noch relativ jungen urbanen Legende, die von Innenräumen oder Landschaften handelt, die nur betreten werden können, wenn man aus der Realität glitcht.
Menschen sind auf Kuhligs Fotos aus Schönefeld kaum zu sehen, insgesamt nur drei: eine Frau in einem vorbeifahrenden Cabriolet mit Kopftuch, von hinten fotografiert, und zwei Polizisten der Reiterstaffel der Bundespolizei auf ihren Pferden.
Kaum Flugzeuge zu sehen
Der Flughafen BER, der einzige in Europa, der mitten in eine existierende Gemeinde hineingebaut wurde, für den das Dorf Diepensee mit 335 Menschen umgesiedelt wurde (samt Friedhof, Kopfsteinpflaster und alten Bäumen), ist nur in der Ferne auszumachen. Flugzeuge kommen vor, doch nur wenige. Sie wirken, als seien sie zufällig ins Bild geraten.
Wo die Fotos in ihrer Eindrücklichkeit die Auswirkungen technologischer, sozialer oder ökologischer Entwicklungen direkt in die Psyche des Betrachters zu implantieren scheinen, erzählt Björn Kuhligk im einleitenden Essay von den Menschen, denen er während der Arbeit an dem Buch begegnete, in beinahe intimer Vertrautheit.
Einige Textstellen sind von großartiger Seltsamkeit, etwa eine Episode mit zwei Lieferwagenfahrern, die mit aufs Bild wollen, oder der Schluss des Textes, als Kuhligk auf einer Party einen Piloten kennenlernt, der vom BER aus Passagierjets in die Welt steuert und den er fragt, was das Besondere am BER sei. Die Antwort lautet: Ein Flughafen ist kein Gebirge.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!