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Fotoband deutsche MentalitätsgeschichteFreizeit ohne Freude

Gabriele und Helmut Nothhelfer fotografieren bundesdeutsche Mentalitätsgeschichte von den Siebzigern bis in die Gegenwart. Deutlich sichtbar: Die Menschen werden lockerer.

Ausgelassen sieht anders aus: Portrait einer Freizeitfrau vom Ehepaar Nothhelfer. Bild: promo

Angesichts des Bildausstoßes anderer Fotografen ist die Jahresproduktion von Gabriele und Helmut Nothhelfer verschwindend gering. Manchmal nehmen sie bis zu fünf, dann wieder nur ein einziges Bild in ihr Werk auf. Dem rigorosen Auswahlprozess ist ein konzentriertes Konvolut von inzwischen 128 Fotografien zu verdanken, an dem sich wesentliche Entwicklungen der bundesdeutschen Mentalitätsgeschichte von den Siebzigern bis in die Gegenwart ablesen lassen. Das Bemerkenswerte des Konzepts: Die Bereiche Arbeit, Wirtschaft und Politik werden nur gestreift.

Stattdessen konzentriert sich das Berliner Künstlerpaar (beide Jahrgang 1945) auf zumeist sonntägliche Freizeitveranstaltungen im öffentlichen Raum. Auf den frühen Bildern zeigen die Porträtierten aber nur selten Freude, Gelassenheit oder unverstellte Selbstbewusstheit. Eher erinnern sie an das desillusionierte Personal in Stücken von Ödön von Horvath. Umgeben von Menschen, die ebenfalls Ablenkung, Unterhaltung, Information und Gemeinschaft suchen, erfahren sie Momente von Traurigkeit, Melancholie, Verunsicherung und Einsamkeit; gleich ob sie sich unbeobachtet wähnen oder nicht.

Im Lauf der Jahre wandelt sich das Bild und die Menschen geben sich lockerer. Sie lassen die Fotografen Anteil an ihrer Freude nehmen und zeigen, dass sie gelernt haben, sich auch in entfremdeten Zusammenhängen zu amüsieren und wohlzufühlen. Seien es westdeutsche Mauerspechte, glücklich erschöpfte Marathonis, Besucher vor dem Bundestag oder feiernde Berliner auf Kulturfesten.

Obwohl sich jedes der schwarzweißen Einzelbilder ästhetisch behauptet, werden die gesellschaftlichen Entwicklungen erst in der chronologischen Gesamtpräsentation des Nothhelferschen Oeuvres anschaulich. Möglichkeit dazu bietet derzeit eine Werkschau in der Photographischen Sammlung der Kölner SK Stiftung Kultur. Die Bilder stehen in der Tradition des dokumentarischen Stils und verweisen durch die stets nur als Ausschnitt gezeigten Szenen auf das Exemplarische der Situationen. Darum werden Personen selbst dann nicht im Bildtitel genannt, wenn sie, wie etwa Abgeordnete oder Kirchenvertreter, zu identifizieren sind. Die friesartige Hängung der Abzüge von gleichem Format erleichtert den Vergleich intermotivischer Bezüge.

Wie die Bilder korrespondieren, zeigt beispielhaft die Gegenüberstellung von zwei Teilnehmerinnen des Evangelischen Kirchentags 1978 im Tiergarten. Das erste Mädchen trägt einen Sommerschal mit floralen Mustern und wirkt ziemlich brav. Während sie traumverloren zu Boden schaut, blickt das Mädchen auf dem folgenden Bild skeptisch in Richtung der Fotografen. Es sitzt vor einem Mischpult, sein T-Shirt ist weit ausgeschnitten und an der Kordhose hängt an einem Karabiner ein Feuerzeug in einem Lederetui. Die Gegensätzlichkeit der Personen wird formal aufgegriffen, indem sich die eine Frau nach links, die andere nach rechts wendet. Zusammen betrachtet, scheinen sich die Mädchen einander zuzuwenden.

Waren in den 70er-Jahren für die Nothhelfers vor allem internationale Volksfeste, Feiern am Tag der Deutschen Einheit und Paraden Anlass zur fotografischen Erkundung, so besuchten sie in den 80er-Jahren zunehmend Werbeveranstaltungen von Parteien, Straßen- und Bürgerfeste. Ein Jahrzehnt später hat sich das Interesse weiter gewandelt. Nun locken einerseits Veranstaltungen von eher kommerziellem Charakter (Love Parade, Sport- und Werbeevents von globalen Konzernen) das Publikum, andererseits Feste, die auf bürgerschaftlichem Engagement gründen (Sportfest gegen Homophobie).

Empfehlenswert ist das hervorragende Begleitbuch "Momente und Jahre", eine mobile Werkversion und Monografie in einem. Es übernimmt die komplette Bildabfolge der Ausstellung und ermöglicht so auch Lesern, denen ein Besuch in Köln nicht möglich ist, die Schau zu rekonstruieren. Dank der Fülle an Querverweisen und Details bleibt die Lektüre mit jedem Mal spannend. MARKUS WECKESSER

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