Fotoautomatenmode: Augen auf und durch
Ole Kretschmar und Asger Doenst stellen alte Schwarz-Weiß-Fotoautomaten auf und warten sie. Ihre Idee hat in Berlin Berühmtheit erlangt. Längst exportieren sie sie in Städte wie London, Wien und Florenz.
Es ist, als wäre keine Zeit vergangen. Ole Kretschmar und Asger Doenst sitzen in einem kleinen korsischen Café in Prenzlauer Berg und sind noch immer sehr, sehr aufgeregt. Sie fallen sich ins Wort, finden keinen Anfang und erst recht kein Ende – als sei ihnen die Idee zu ihrem „Baby“ gestern erst eingefallen.
Ihr Baby, das sind alte Schwarz-Weiß-Fotoautomaten. Schon acht Jahre ist es her, dass sie den ersten am Rosenthaler Platz aufstellten, heute sind es 15 in Berlin – und je einer in Hamburg, Köln, Leipzig, Wien, London und Florenz. Kretschmar und Doenst begreifen noch immer kaum, dass sie längst gut leben davon, dass sie sogar Freunde und Familienmitglieder anstellen konnten. Vor allem aber: dass man kaum mehr auf eine Berliner Party gehen kann, ohne am Küchenschrank oder Badezimmerspiegel die schwarz-weißen Streifen zu finden.
Die Erfolgsgeschichte der Fotoautomaten – „Photoautomaten“ in der Schreibweise von Kretschmar und Doenst – ist die Geschichte einer schrulligen Leidenschaft, die sich plötzlich und wider Erwarten rentiert hat. Eine Geschichte, wie sie wohl nur im Berlin der vergangenen beiden Jahrzehnte geschrieben werden konnte, meinen die beiden. Sie erzählen von den billigen Buden, die sie in den Neunzigern in Ostberlin bezogen – und wie pleite sie immer waren. Der eine, Ole, hat Tischler gelernt, Drehbuch studiert und dann versuchte, sich als freier Autor durchzuschlagen. Dem anderen, Asger, ging es mit seiner Ausbildung als Fotoingenieur nicht viel anders. Irgendwann wollten sie einfach mal was zusammen machen.
Also fuhren sie in die Schweiz und verliebten sich in eine Maschine. Sie lernten einen Herrn Balkes kennen, der in Zürich eine Handvoll Automaten betrieben hatte – Automaten, die er selbst in den Sechzigern entwickelt und gebaut hatte. Sie mochten, wie die Maschinen aussahen, so retro, so hoffnungslos aus der Zeit gefallen. Und sie mochten die Bilder aus diesen Automaten. Sie verguckten sich in die Schwarz-Weiß-Aufnahmen, den chemischen Geruch des Fixierbads, der den Fotostreifen noch lange anhaftet. Beides passt so gar nicht in diese Zeit, in der digital besser sein soll, Fotos nicht mehr verwackelt sind, sondern verrauscht – und in der man einander nur noch Fotos schickt, die sich an Mails hängen lassen.
Wohl deshalb, so Kretschmar und Doenst, fand der alte Mann in Zürich keinen Nachfolger. Also liehen sich die beiden Geld bei den Eltern und gingen bei Balkes sieben Monate lang in die Lehre. „Wir haben Tage damit verbracht, da nur reinzustarren“, erzählt Ole Kretschmann begeistert. Und als der Apparat endlich aufgearbeitet war und am Rosenthaler Platz stand, fuhren sie alle paar Stunden hin. Um zu gucken, ob er noch steht. Ob alles in Ordnung ist. Und wie viele Fotos schon gemacht wurden.
Nach und nach lernten Kretschmar und Doenst die ganze alte Garde der Fotoautomaten-Betreiber kennen. Sie retteten Automaten in Spanien und in Kanada, sie suchten ganz Deutschland nach Fotopapier ab. Bald wollen sie ein Buch schreiben über die Geschichten, die ihnen über den Weg gelaufen sind. Denn auch, wenn es ihnen viel Spaß gebracht hat: Kretschmar und Doenst wollen keine neuen Automaten aufstellen. Sie wollen nur noch den Status quo sichern.
In einer Stadt, die sich selbst verkauft und in der die Freiräume immer mehr zuwachsen, ist es gar nicht so leicht, Nischen von anderthalb Quadratmetern zu verteidigen – aber die braucht es, um einen Fotoautomaten zu installieren. „Wir verlieren ständig Standorte und müssen uns neue suchen“, klagen die beiden.
Trotzdem stehen die Chancen gut, dass Ole Kretschmar und Asger Doenst die Maschinen auch durch Zeiten wie diese retten werden. Sie bekommen Mails aus Peru und Australien, von Cliquen, die sich jedes Wochenende in die Automaten quetschen, von Paaren, die sich in einem ihrer Automaten kennenlernten und später mit den Kindern wiederkamen. Auf ihrer Webseite kann man sehen, wo die Automaten überall auftauchen: In Performances, Musikvideos, Modeshootings. Einer schaffte es auf die letzte Documenta, ein anderer in die Galerie C/O.
Denn bei den Automaten geht es nicht nur darum, dass sie und die Unikate, die sie produzieren, schön aussehen. Es geht auch darum, dass der Raum, den sie stellen, ein seltsamer Zwitter ist: Er ist weder privat noch öffentlich. Er ist magisch. Er verführt noch die letzte Spaßbremse dazu, Grimassen zu schneiden.
Eine Minute berühmt
Die ersten Fotoautomaten wurden in den dreißiger Jahren aufgestellt, ihren großen Siegeszug traten sie in den Sechzigern an, der Zeit, in der Andy Warhol meinte, in Zukunft werde jeder 15 Minuten berühmt sein. Im Fotoautomaten fühlt man sich nur eine Minute lang berühmt – aber dafür hat man etwas, das dies für immer bezeugt: den kleinen schwarz-weißen Streifen.
Doenst und Kretschmar haben stets zwei Handys dabei, ein privates und eins für die Störungs-Hotline. Es gehört zur Philosophie der Automaten, dass sie immer gepflegt und gewartet sind und die beiden sich selbst darum kümmern. Vielleicht ist dies das Charmanteste an ihren Maschinen: dass sie viel menschliche Zuwendung brauchen.
Mag also sein, dass es in dreißig, vierzig Jahren so aussehen wird: 15 Fotoautomaten stehen in der Stadt, vielleicht nicht mehr in Prenzlauer Berg und Kreuzberg, sondern in Wedding und Steglitz. Kretschmar und Doenst, inzwischen alt und grau, fahren noch immer von Automat zu Automat, ziehen Schrauben fest und entfernen Tags, suchen nach einer besseren Zusammensetzung des Fixierbads und nach letzten Lagern für echtes Fotopapier. Warum nicht, sagen sie, grinsen bei dieser Vorstellung und setzen sich zum hundertsten Mal in ihren Automaten an der Schönhauser Alle – der eine mit Sonnenbrille, der andere mit einem halb verwelkten Blumenstrauß aus dem Büro. Sie schieben den Vorhang zur Seite, drehen den Hocker hoch. Werfen zwei Euro ein. Blitz. Blitz. Kicher. Drängel, „nun komm schon rein“. Zweiter Versuch. Fünf Minuten warten. Eine Ewigkeit. Irgendwas rattert. Und dann: Au weia. Obwohl: Hat doch was.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung