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Fortwährender Rechtsstreit

Der Polizist, der aus Mitleid einen Abschiebehäftling menschenwürdig unterbrachte, steht erneut vor Gericht / Allerdings mußte die Verhandlung vertagt werden  ■ Aus Landau Klaus-Peter Klingenschmitt

Die Berufungsverhandlung vor dem Landgericht in Landau gegen den Polizeihauptkommissar Roland Schlosser, dem die Staatsanwaltschaft „vollendete Gefangenenbefreiung“ vorwirft, fand gestern nach nur drei Stunden ein überraschendes Ende. Weil die Vorsitzende Richterin Sigrit Peters einem Befangenheitsantrag von Schlosser und dessen Anwalt Bernd Lütz-Binder gegen eine Beisitzerin stattgab, muß das gesamte Verfahren vor dem Landgericht mit einem Ersatzschöffen neu eröffnet werden.

In erster Instanz war Schlosser im Juli 1994 vom Amtsgericht in Landau zur Zahlung einer Geldstrafe von 2.000 Mark verurteilt worden, weil er im Juni 1993 den angolanischen Abschiebehäftling Alves da Costa aus einer 7,5 Quadratmeter kleinen Zelle geholt und zu einem in der Flüchtlingsarbeit engagierten Oberstudienrat in Landau zum „lockeren Gewahrsam“ gebracht hatte.

Zuvor waren alle Versuche von Schlosser und seinen Kollegen gescheitert, die insgesamt drei Abschiebehäftlinge bei der Polizei in Justizvollzugsanstalten von Rheinland-Pfalz oder auch anderer Bundesländer unterzubringen. Vier Tage hatte der Angolaner in der nur für eine stundenweise Belegung vorgesehenen Zelle zubringen müssen – ohne Waschmöglichkeit, ohne Toilette und aus Mangel an Aufsichtspersonal auch ohne Hofgang.

Doch was für Schlosser ein „humanitärer Akt aus Respekt vor dem Grundgesetz“ war, bleibt für die Staatsanwaltschaft noch immer eine strafwürdige „Gefangenenbefreiung“.

Daß der Angolaner, der polizeilich gemeldet war, einen festen Wohnsitz und eine feste Arbeitsstelle hatte und zudem über eine Aufenthaltsgenehmigung noch bis Oktober 1993 verfügte, zu Unrecht in Abschiebehaft genommen worden war, spielt dabei für die Staatsanwaltschaft auch keine Rolle. Nur Tage nach der Aktion von Schlosser, der dafür den Clara-Immerwahr-Preis bekommen hatte und für den die taz-LeserInnen die Prozeßkosten übernahmen, erhielt Alves da Costa eine „Duldung“.

Schlosser, der nach eigenen Angaben „mit Leib und Seele“ Polizeibeamter ist, legte gegen das Urteil von Amtsrichterin Bärbel Hele Berufung ein, über die gestern vor dem Landgericht entschieden werden sollte. Im Rahmen der Befragung von Schlosser zu seinem knapp zweistündigen Sachvortrag, in dem es vor allem um die Beschreibung der menschenunwürdigen Haftbedingungen in der winzigen Zelle von Alvas da Costa ging, provozierte eine Schöffin dann den Befangenheitsantrag der Verteidigung. Ihre Frage nach den „Haftbedingungen in den Heimatländern der Asylanten“ war für den Pfälzer Staranwalt Lütz-Binder Ausdruck einer Geisteshaltung, die jener von Menschen entspreche, die für sich die „Lufthoheit über den Stammtischen“ reklamierten.

Die Schöffin vertrete offenbar die Auffassung, daß die Flüchtlinge dankbar dafür zu sein hätten, in einem deutschen Knast einsitzen zu dürfen. Im Foyer wurde Lütz-Binder während der Beratung der Richterin über den Befangenheitsantrag dann noch deutlicher: Die Schöffin, so der Rechtsanwalt, sei eine einzige „dirndltragende, erzkonservative Katastrophe.“

Dieser Einschätzung von Lütz- Binder folgte dann sinngemäß auch die Vorsitzende Richterin. Es könne nicht ausgeschlossen werden, daß die Schöffin tatsächlich die Auffassung vertrete, es habe für Menschen unterschiedlicher Herkunft unterschiedliche Haftbedingungen zu geben. Und deshalb müsse dem Befangenheitsantrag stattgeben werden. Die Prozeßbeteiligten einigten sich im Anschluß darauf, das Verfahren am kommenden Donnerstag (14 Uhr) neu aufzurollen.

Die Richter und Staatsanwälte der Neuen Richtervereinigung e.V. haben sich inzwischen mit Polizist Roland Schlosser solidarisiert und verabschiedeten eine Protestnote.

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