Forschung: Koalition des Stillstands
■ In Sachen Beiratsdemokratie spielt Bremen höchstens in der Kreisklasse
Während sich die parteipolitische Debatte zur Reform der bremischen Stadtteilparlamente bei einer Lösung nahe dem Ist-Zustand einzupendeln scheint, präsentierten Wissenschaftler der Kooperationsstelle Universität und Arbeiterkammer (KUA) gestern das Ergebnis ihrer dreijährigen Forschung in Sachen Beiratsdemokratie.
Ihr Fazit: Der Änderungsbedarf ist groß. Im Vergleich zu anderen Großstädten haben die Beiräte hier so wenig Rechte, dass sie zu „Maschinen, die Politikverdrossenheit produzieren“ geworden sind. Rolf Prigge, einer der Autoren der Studie, vergleicht Bremen mit Hamburg oder Münster: Dadurch, dass Beiräte gewählt werden, entsteht der Eindruck einer wichtigen demokratischen Instanz. Tatsächliche Mitbestimmung oder gar Letztentscheidungen bleiben aber der „großen“ Politik und der Verwaltung vorbehalten.
Bei der Verwaltungsreform sieht es nicht viel besser aus. Zwar schmückt sich Bremen mit Vokabeln wie Bürgerkommune und Serviceorientierung, die Ortsämter genügen indes auch hier nicht den eigenen Ansprüchen. Am ehesten gestehen die Autoren dem Ortsamt Vegesack solche Modernität zu. Dort können die Bürger schon jetzt und quasi dezentral heiraten oder ihr Auto anmelden.
Man findet in Bremen aber auch Mini-Bezirke, in denen ehrenamtliche Ortsamtsleiter mit einer hauptamtlichen Geschäftsführung regieren. „Unmodern und sicher wenig großstädtisch“ urteilt Rolf Prigge.
So wäre das Ergebnis der Studie, würde man es in die Tat umsetzen, einerseits eine Reduzierung der zur Zeit 17 auf zehn bis zwölf Ortsämter. Andererseits schlagen die Autoren Ortsämter vor, die umfangreiche Verwaltungsaufgaben erledigen, dafür Personal auch aus der Kernverwaltung bekommen und mit Entschlussrechten etwa im Bauwesen so ausgestattet sind, dass die Zentralverwaltung und die gesamtstädtische Politik entlastet werden.
Und woran scheitert eine solche Reform? „An einer Koalition des Stillstands“, so Rolf Prigge, bestehend aus einer Stadtbürgerschaft, die jede noch so kleine politische Entscheidung bei sich behalten will, an den Beiräten und Ortsämtern selbst, die bei einer Neuordnung entweder sich selbst oder das benachbarte Ortsamt abschaffen müssten, und an der Kernverwaltung, die den Verlust von Macht und Ressourcen fürchtet.
Im übrigen seien Prozesse der Haushaltssanierung, wie sie derzeit die Politik der Hansestädte bestimmen, in der Regel zentralistisch organisiert. Unwahrscheinlich also, dass sich die Bremer Koalition ausgerechnet jetzt für mehr Beiratsrechte ausspricht. hey
Prigge u.a.: Gemeinden in der Großstadt, Kellner-Verlag, 38 Mark
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