Forscherin über Nordkorea und DDR: „Trink dein Bier!“
Ihr Vater stammte aus Nordkorea, studierte in der DDR und flüchtete nach West-Berlin. Liana Kang-Schmitz hat die Beziehung der beiden Länder untersucht.
taz: Frau Kang-Schmitz, Ihr Vater hat an der TU Dresden Elektrotechnik studiert. 1960 floh er in den Westen. Wie gelang ihm das?
Liana Kang-Schmitz: Das war vor dem Bau der Mauer noch relativ einfach: Er ist mit dem Zug von Dresden nach Ostberlin gefahren, hat sich dort in die U-Bahn gesetzt und ist in Westberlin wieder ausgestiegen.
Wie wurde Ihr Vater in Westberlin empfangen? Verdächtigte man ihn nicht, ein nordkoreanischer Spion zu sein?
Er kam für einen Tag in ein ganz normales Flüchtlingslager. Dort wurde er dann von amerikanischen Botschaftsangehörigen abgeholt und in eine Westberliner Villa gebracht, in der er einige Wochen lang geblieben ist.
Wurde er dann durchgecheckt?
Ja, dort musste er jeden Tag aufs Neue seine Lebensgeschichte aufschreiben. Außerdem wurde er täglich befragt und war dabei sogar an einen Lügendetektor angeschlossen. Zunächst wurden ganz alltägliche Fragen gestellt, aber danach ging es etwas mehr ins politische Detail. Ansonsten durfte sich mein Vater frei bewegen. Er hat sogar fünf Mark Taschengeld pro Tag bekommen und ist oft ins Kino gegangen.
Tochter eines nordkoreanischen Vaters und einer westdeutschen Mutter, 1966 in Aachen geboren. Ihr Vater kam als Student in die DDR und floh 1960 nach West-Berlin.
Ihre Dissertation untersucht die Beziehungen zwischen Nordkorea und der DDR, zu denen auch die Ausbildung nordkoreanischer Studenten an ostdeutschen Universitäten gehörte. Die profund recherchierte Studie heißt: "Nordkoreas Umgang mit Abhängigkeit und Sicherheitsrisiko" (epuli, 394 Seiten, 49,90 Euro)
Nach Beendigung der Verhöre ist Ihr Vater in den Westen Deutschlands gegangen?
Ja. Anschließend durfte er gehen, wohin er wollte. In Aachen hat er dann sein Studium beendet, eine Stelle gefunden und eine Familie gegründet.
Ihr Vater war einer von insgesamt zwanzig nordkoreanischen Studenten, die vor dem Mauerbau in den Westen flohen. Warum taten die das?
Hätten die Studenten in der DDR bleiben dürfen, wären sie wahrscheinlich nicht geflohen. Dort ging es ihnen schließlich gut. Doch sie wussten, dass sie nach Nordkorea zurückkehren mussten. Manche hatten zum Beispiel eine ostdeutsche Freundin und sind mit ihr zusammen in den Westen geflohen. Andere hatten Streit mit ihrem Politoffizier. Das größte Problem aber war, dass viele Studenten falsche persönliche Angaben gemacht haben, als sie sich in Nordkorea um einen Studienplatz in der DDR beworben haben. Das war ja zum Teil noch während des Korea-Krieges, und da konnten die heimischen Behörden die Angaben der Studenten nicht überprüfen. Es ist häufiger vorgekommen, dass jemand, der aus bourgeoisen Familien-Verhältnissen stammte, ankreuzte, sein Vater sei Arbeiter oder Bauer. 1958 wurden diese Angaben zum ersten Mal in Korea überprüft. Daraufhin kehrte ein Drittel aller Studenten von einem Heimaturlaub nicht mehr in die DDR zurück.
Ihren Vater traf es dann aber umgekehrt: Seit seiner Flucht darf er nicht mehr nach Nordkorea reisen und hat auch keinen Kontakt mehr zu seiner Familie. Wissen Sie, ob seine Angehörigen nach seiner Flucht bestraft wurden?
Das wissen wir nicht. Aber ich nehme an, dass die Familie meines Vaters nach seiner Flucht interniert wurde.
Sie haben Koreanistik studiert und über die Beziehungen zwischen der DDR und Nordkorea promoviert. Dieses Thema wurde bislang kaum erforscht. Warum nicht?
Es gibt einige Arbeiten aus der BRD, doch den westdeutschen Forschern waren die meisten Quellen ja gar nicht zugänglich. Als dann die DDR zusammengebrochen war und die Archive geöffnet wurden, erschienen weitere Texte. Aber auch in ihnen ging es meistens um Teilaspekte der ostdeutsch-nordkoreanischen Beziehungen, wie etwa um den von der DDR mitfinanzierten Wiederaufbau der Stadt Hamhung nach dem Korea-Krieg. Eine Arbeit, die die Beziehungen zwischen den beiden Ländern über den gesamten Zeitraum 1949-1989 beleuchtet, hat es bis zu meiner Doktorarbeit nicht gegeben.
Wie haben Sie recherchiert?
Das Politische Archiv des Auswärtigen Amts in Berlin war für mich sehr wichtig. Das ist wirklich eine Fundgrube! Wichtig war auch das Sapmo, das Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR.
Haben Sie auch im Stasiarchiv recherchiert?
Ja, aber dort findet man erst aus späteren Zeiten Vermerke über nordkoreanische Studenten. Als mein Vater studierte, konnte die Stasi die Studenten noch nicht genau beobachten.
Sind Sie auch an nordkoreanische Archive herangekommen?
Nein, leider nicht.
Wann kamen die ersten nordkoreanischen Studenten in die DDR?
Die erste Delegation kam im September 1952 an. Man muss dazu wissen, dass Nordkorea damals unter einem erheblichen Fachkräftemangel litt. Unter der japanischen Besetzung Koreas (1910 bis 1945) durften nur wenige Koreaner studieren. Und die haben nach dem Abzug der Japaner 1945 das Land verlassen. Sie hatten Angst, als Kollaborateure umgebracht zu werden. Den Fachkräftemangel haben in Nordkorea zunächst sowjetische Spezialisten aufgefangen. Aber das konnte natürlich auf Dauer keine Lösung sein. Deshalb wurden viele junge Nordkoreaner zum Studieren in die sozialistischen Bruderländer geschickt.
Sie schreiben, dass die Anzahl der nordkoreanischen Studenten in der DDR zunächst recht hoch war. 1956 waren 357 Nordkoreaner an ostdeutschen Universitäten eingeschrieben. Dann reduzierte die DDR deren Anteil aber stark. Warum?
Das war vor allem eine Kostenfrage. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die DDR für alle Kosten aufgekommen: für die Unterbringung der Studenten, ihre Verpflegung, ihr Studium, ihre Bücher und ihr Taschengeld. Im Studentenabkommen von 1959 wurde dann festgelegt, dass die nordkoreanische Seite zumindest die Fahrt- und die Unterbringungskosten übernehmen soll. Deshalb kamen nicht mehr so viele Studenten in die DDR.
Das Verhältnis zwischen den nordkoreanischen und den ostdeutschen Studenten scheint anfangs sehr gut gewesen zu sein. Die Nordkoreaner wurden als „lustiges und umgängliches Völkchen“ erlebt.
Ja, offenbar waren die Nordkoreaner anfangs wirklich sehr umgänglich. Einer ihrer deutschen Kommilitonen, mit dem ich gesprochen habe, kann bis heute noch „Trink dein Bier!“ auf Koreanisch sagen. Doch irgendwann stellte die nordkoreanische Botschaft fest, dass ihr die Studenten immer mehr entglitten. Daher versuchte sie, die Möglichkeiten der Begegnung mit den DDR-Kommilitonen einzuschränken. Das hatte aber den Nebeneffekt, dass die Koreaner mehr unter sich blieben, nicht mehr so gut Deutsch sprachen und ihre Studienleistungen entsprechend nachließen.
Trotzdem gab es auch Liebesbeziehungen zwischen Deutschen und Nordkoreanern.
Ja, es gab auch Paare, die in der DDR geheiratet haben. Doch die Nordkoreaner mussten auf jeden Fall wieder heimkehren.
Wie viele Kinder sind aus nordkoreanisch-ostdeutschen (und teils auch nordkoreanisch-westdeutschen) Beziehungen hervorgegangen?
Das müssten so zwischen 25 und 30 Kindern sein.
Von 1962 bis Ende der 1970er Jahre lebten nur sehr wenige nordkoreanische Studenten in der DDR. Das lag dieses Mal aber nicht an finanziellen Problemen, oder?
Nein, das hing mit dem Sino-Sowjetischen Konflikt zusammen. 1962 haben die Nordkoreaner ihre Studenten aus Osteuropa und Russland zurückgerufen. Und auch aus der DDR. Komplett. Und alle gleichzeitig. Nur in Albanien durften sie bleiben, weil Albanien chinesische Positionen vertrat. Und natürlich in China.
Die Studenten wurden also aus der DDR zurückgerufen, auch wenn sie ihr Studium noch nicht abgeschlossen hatten?
Ja, aber die ostdeutschen Universitäten haben da sehr menschlich reagiert: Fortgeschrittene Studenten wurden noch in Nacht-und-Nebel-Aktionen geprüft. Ihr Diplom bekamen sie teilweise auf dem Bahnhof überreicht.
Und wie gingen die nordkoreanischen Behörden mit der Wende um? Sie schreiben, dass kurz vor dem Mauerfall wieder knapp 200 nordkoreanische Studenten in der DDR lebten.
Die wurden über Nacht abgezogen. In den Akten liest sich das wie ein Krimi. Da berichten Universitätsprofessoren, wie ihre Studenten aus dem Studentenheim abgeholt wurden. Sie sind runtergegangen, hatten gerade ihr Essen auf dem Tisch stehen, und das Radio lief. Und dann waren sie weg. Offiziell wurden sie zu einer Fortbildung nach Nordkorea geschickt. Das war im November 1989, kurz nach dem Mauerfall. Denn als die Grenze offen war, sind ein paar nordkoreanische Studenten zusammen mit den DDR-Bürgern in den Westen gegangen. Von dort haben sie sich nach Südkorea abgesetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften