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Folklore-TreffenHauptstadt des Tatzelwurms

Für ein Wochenende war Winsen an der Luhe das Zentrum des niedersächsischen Trachtenwesens. Manche der Teilnehmer reisten sogar aus Berlin an - und übernachteten auf Luftmatratzen in der Turnhalle.

Vorbereitungen auf das Landestrachtenfest: Mitglieder des Trachtenvereins Apelern befestigen den Kranz an einer Brauttracht. Bild: dpa

Vor dem Winsener Bahnhof klebt ein kleines Fähnchen auf einer Straßenlaterne. Das Fähnchen ist rot-gelb-blau gestreift, auf einer Seite ist ein Pfeil, der die Straße hinunter zeigt. 300 Meter weiter geradeaus klebt das nächste Fähnchen, irgendwann ertönen Trommelschläge. Sie kommen von einer Bühne, auf der Männer in Dreiviertelhosen und Kniestrümpfen tanzen. Die Frauen tragen bunte Röcke und Schürzen.

Wir sind beim 22. Landestrachtenfest in Winsen / Luhe. Mehr als 30 Trachtengruppen sind in das kleine Städtchen gereist, manche bleiben das ganze Wochenende und übernachten in einer Turnhalle auf Luftmatratzen. "Das ist dann das Fest nach dem Fest", sagt Marina Legal von der oberschlesischen Volkstanzgruppe aus Berlin.

In der Turnhalle könne man Akkordeonspielern im Nachthemd begegnen, sagt Legal. Es werde weitergetanzt, manchmal bis drei Uhr morgens. Die einen trügen dabei noch Tracht, andere seien bereits im Pyjama. Auch die Winsener Gruppe wird dort übernachten - wegen der Stimmung.

Marina Legal trägt auf dem Kopf ein weißes Tuch, das sie hinten mit Haarnadeln befestigt hat. Gleich kommt ihr Auftritt. Sie seien "wegen des Tanzens und der Gemeinschaft" angereist, sagt sie. Ihre Brille hat einen dünnen violett-glänzenden Rahmen, in Berlin arbeitet sie in einem Steuerbüro.

"Marina!", ruft ein Mann hinter ihr. Er trägt goldene Broschen auf seinem roten Hemd. Marina Legal dreht sich um, sie unterhalten sich. "Wir erkennen uns an der Tracht", sagt sie. "In Zivil hätten wir uns vielleicht übersehen."

"Einmal zur Seite bitte, wir brauchen Platz", fordert der Moderator. Er hat ein Mikrofon in der Hand. Die Helfer bauen die vordersten Stuhlreihen ab, die Zuschauer rücken nach hinten. Die Tänzer fassen sich an den Händen und springen vor der Bühne im Kreis, oben steht nur noch der Akkordeonspieler. "Tatzelwurm" heißt der Tanz. Im Takt wird ein Bein nach vorne gestreckt und die Zuschauer müssen aufpassen, dass sie keinen Tritt vors Schienbein bekommen.

Trachtenland

Der Landestrachtenverband Niedersachsen wurde 1979 von zwölf Trachtenvereinen gegründet.

Sein Ziel ist, die Interessen der Trachtenvereinigungen auf Landesebene zu vertreten.

Seine 35.000 Mitglieder sind in 153 Gruppen organisiert.

Dazu gehören laut Verband auch "Gruppen der ausländischen Mitbürger".

Eine Tracht definiert der Verband als " die Kleidung der ländlichen Bevölkerung, deren Verbreitung regional, zeitlich und konfessionell begrenzt ist".

Der soziale Status der TrachtenträgerInnen drückte sich in der Menge des Stoffs und der Anzahl der Westenknöpfe aus.

Der nächste große Auftritt der Trachtenvereine ist der Umzug beim Niedersachsentag in Aurich am 3. Juli 2011.

In einem halb geöffneten Partyzelt hat der Landestrachtenverband Niedersachsen einen Infostand aufgebaut. Auf einem Biertisch liegen Broschüren, daneben steht eine Geldkassette und eine Flasche Magenbitter. Ein Mann verteilt die erste Runde in langstielige Schnapsgläser.

In der Ecke des Zeltes, auf einer Holzbank, sitzt Karen Krumpa von der Trachtengruppe Lüchow-Dannenberg. Für aufwendige Trachten seien 1.000 Euro Materialkosten die Untergrenze, sagt sie. Das weiße, fest gewickelte Kopftuch verdeckt ihren Hals und ihre Haare, nur der Scheitel ist sichtbar. "Wir sind eben trachtenverrückt" sagt sie. Karen Krumpa ist seit ihrem sechsten Lebensjahr in der Trachtengruppe - jetzt ist sie 40 Jahre alt.

Auf die Bühne nebenan eilt ein Tontechniker im Wacken-T-Shirt und repariert noch schnell ein Mikrofon, währenddessen steigen Frauen in leuchtend roten Röcken und buntem Bandbesatz hinauf: Sie tragen die Österten Tracht aus dem Schaumburger Land, eine der aufwendigsten des Festes. Die Trachten sind fast komplett handgefertigt. Allein das Anziehen dauert bis zu zwanzig Minuten. "Diese Damen haben nur ihre Strümpfe im Kaufhaus besorgt", sagt der Moderator.

2010 wurde die Österten Tracht zur "Tracht des Jahres" gekürt, bis vor kurzem waren im Schaumburger Land noch Trachten auf der Straße zu sehen. Bis in die 1920er Jahre seien Schaumburger Frauen ohne ihre "Punzmützen" gar nicht nach draußen gegangen, erzählt Henning Dormann von der Schaumburger Trachtengruppe "Niendärsche Kaumelkers". Öffentliches Sich-Zeigen ohne Tracht galt als unkeusch.

Er habe noch erlebt, dass Frauen in Tracht in ihrer Einbauküche standen und mit einem elektrischen Messer hantierten, sagt Dormann. Aber auch das sei vorbei. "Die Technik überholt eben den Brauch", seine Stimme klingt fast empört. Dann sagt er: "Man kann ja mit einer 15 Zentimeter hohen Punzmütze schlecht in ein Auto steigen."

Auf einer Bank in der Fußgängerzone sitzt Wilfried Dubiel, der Vorsitzende des Landestrachtenverbandes Niedersachsen. Er trägt eine schwarze Kappe, deren Rand hochgebogen ist, und trinkt Erdbeersekt. "Der ist aus echten Erdbeeren", sagt er und eilt nach nebenan, um einen Plastikbecher zum Probieren zu holen. Der Becher trägt das Logo des Volkstanzkreises Winsen, es zeigt die Silhouette eines tanzenden Paares. Fünfzig Cent pro Becher gehen als Spende nach Japan.

Ringsherum stehen fliegende Händler, ihre Wagen säumen die Straßen der Winsener Altstadt. Einer der Wagen ist aus glänzendem, braunem Plastik und hat die Form eines Holzfasses. "Omas Gurkenfass" steht in grünen Leuchtbuchstaben darauf. Gegenüber der Bühne gibt es hausgemachte Erbsensuppe für drei Euro. Andere Wagen bieten thailändische Nudeln, frisch frittierte Chips und Bratwurst. Auf dem Tisch eines Getränkestandes stehen meterhohe Glasgefäße, hier gibt es auch Eierlikör-Aprikosenbowle.

Gegen halb sieben Uhr abends tanzt die letzte Trachtengruppe den Tanzschlager "Danz op de Deel", dann übernimmt eine Marching Band. Sie spielt "Pokerface" von Lady Gaga auf dem Xylofon. Vor der Bühne tanzt eine Cheerleadergruppe in lindgrünen Tops, schwarzen Miniröcken und Glitterpompoms.

Die Trachtenträger verschwinden langsam aus der Winsener Innenstadt, übrig bleibt ein Altstadtfest. Eine ABBA-Coverband bereitet sich auf den Auftritt vor, die Winsener Grünen verteilen Windblumen an Kinder. Und es wird etwas ruhiger in der Fußgängerzone. Die ersten Trachtengruppen haben vielleicht schon die Turnhalle erreicht. Das Fest nach dem Fest steht noch bevor.

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3 Kommentare

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  • WR
    Wolfgang Röpnack

    Hochverehrter Herr Nitz, keine Ahnung haben ist nicht schlimm. Aber diese laut rauszuposaunen ist einfach nur peinlich.

     

    Wir Trachtengruppler pflegen keine großdeutsche Kultur. Wir pflegen regionale Kultur, die mit dazu beiträgt, die kulturelle Vielfalt Europas zu bereichern. Das hat nichts mit Revanchismus zu tun.

     

    Die einheitliche deutsche Kultur hat es nie gegeben:

    Das hat man uns erst im zweiten Kaiserreich und später im dritten Reich weiszumachen versucht.

    Können Sie sich eigentlich vorstellen wie es mich schmerzt, wenn ich ansehen muss, was der "Deppenstadl" unter deutscher Volksmusik versteht?

     

    Würden Sie die Biermösl Blosn des Nationalismus beschuldigen? Wohl eher kaum.

    Aber dass sie ihre Heimat lieben, macht den Blosn niemand zum Vorwurf.

    Heimatliebe, die alle Menschen, gleich welcher Herkunft, umfasst. Die die Menschen in Gorleben und Stuttgart auf die Straßen treibt. Die hat nichts mit Nationalismus zu tun.

     

    Von dem völkerverbindenden Aspekt der Trachtenszene ganz zu Schweigen. Auch das ist Teil unserer Arbeit und beileibe kein Feigenblatt sondern Überzeugung.

     

    Bei unseren Trachtenfestivals und auf Reisen haben wir schon Gruppen aus Israel, Griechenland und Nordzypern, Polen, Estland, Bolivien, Neuseeland, Südafrika usw. kennengelernt, woraus enge Freundschaften entstanden. Eine meiner unvergesslichsten Erinnerungen ist eine gemeinsame Musiksession mit einer Gruppe aus der Mongolei - Weltmusik in unserem kleinem Dorf.

     

    Erzählen Sie mir bitte nicht, das habe etwas mit National-Chauvinismus zu tun.

     

    Längst nicht alle Feuerwehrleute sind Pyromanen, längst nicht alle Jugendtrainer sind pädophil und längst nicht alle Volkstänzer sind rechtsradikal.

     

    Und bei welcher Partei ich mein Kreuzchen mache, lasse ich mir von Ihnen erst recht nicht vorschreiben, das würden Sie mir sowieso nicht glauben!

  • EL
    Erwin Luttmann

    Treffen sich drei Folkloregruppen aus Frankreich, Schweden und Deutschland. Die Schweden zeigen stolz ihre Trachten, fordern die anderen zum Mittanzen nach einer Melodie von Benny Andersson auf, die Franzosen tanzen mit allen eine Bourree und einen Branle und fordern die deutsche Gruppe auf, ihre Tänze und Musik zu zeigen. Die deutsche Gruppe fragt: Wollt ihr griechische Tänze, Irish Folk oder israelische Tänze? Wir sind schließlich keine Revanchisten und Revisionisten!

    Als Taz-Leser und Mitglied des Landestrachtenverbandes freue ich mich über den unvoreingenommenen Artikel. Hier wird regionale Volkskultur gepflegt, u.a. auch die der griechisch- oder serbisch-stämmigen MitbürgerInnen in Niedersachsen.

    Kommentarschreiber, die Tracht mit Revanchismus gleichsetzen, sollen ihre Vorurteile ruhig weiterpflegen.

  • GN
    Graf Nitz

    Ich glaube nicht dass die TAZ Revanchisten und Revisionisten wie diesen doitsche Kultur tradierenden "Trachtengruppen" ein Forum bieten sollte.