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taz FUTURZWEI

Folgen der ostdeutschen Landtagswahlen Allianz des Wegduckens

Was sage ich meinen migrantischen und jüdischen Freunden, die mich fragen, ob und wohin sie dieses Mal noch rechtzeitig emigrieren könnten?

Februar 2024: Hundertausende Menschen in Deutschland demonstrieren gegen den Rechtsruck – und wissen genau, was da droht Foto: picture alliance/dpa/Marcus Brandt

taz FUTURZWEI | „Wie lange reicht die Moral, wenn es um den eigenen Job geht?“ So fragt Frank Castorf, vormaliger Intendant der Volksbühne, im Angesicht des Erfolges von AfD und BSW bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen und vermutlich auch an diesem Sonntag in Brandenburg. Wir kommen darauf zurück.

Zunächst die Zahlen: In Thüringen haben AfD 32,8 und BSW 15,8 Prozent der Stimmen gewonnen, macht zusammen 48,6 Prozent. In Sachsen holten sie zusammen 42,4 Prozent (AfD 30,6, BSW 11,8). Die Prognose für die Wahl in Brandenburg lautet: AfD 28,6, BSW 13,8. Das wären zusammen 42,4 Prozent.

Geht's noch?

Das bedeutet: Die AfD, eine offen protofaschistische und das BSW, eine krypto-kommunistisch, nationalistische Partei, schaffen es in zwei und vermutlich bald drei Bundesländern fast zu einer absoluten Mehrheit. Das BSW soll in allen drei Ländern das Regieren von CDU jenseits der Beteiligung der AfD ermöglichen. Geht’s noch?

Fast die Hälfte aller Wähler sieht im illiberalen, nationalistischen, fremdenfeindlichen, misogynen, geschichtsrevisionistischen Angebot von AfD und BSW, garniert mit sozialen Sicherheitsversprechen von AfD, eine Alternative zum konfliktreichen, immer unbefriedigenderen Konsens-Suche der anderen Parteien.

Diese Wähler fürchten sich nicht vor Autoritärem regiert werden, eher im Gegenteil. Normales Alltagsleben kann auch in Diktaturen ganz kommod sein, solange man schön das macht, was und wie es von einem verlangt wird. Das ist nach 76 Jahren, zunächst verordneter, aber dann doch glücklich gelebter Demokratie in der Bundesrepublik eine bittere Erkenntnis.

Feigheit vor dem Gegenwind

SPD, FDP und Grüne sind in Thüringen und Sachsen zu Splitterparteien degeneriert. Eine Zivilgesellschaft, die von Gewerkschaften, Verbänden, Vereinen bis zu freien Assoziationen von Bürgern reichen und das demokratische Leben in der Republik verteidigen würde, gibt es nahezu nicht.

Die Parteien der gesellschaftlichen Mitte zeichnen sich durch räsonierendes Wegducken aus, wenn es darum geht, die vorhandenen rechtlichen und exekutiven Instrumente einzusetzen, um die autoritären Bestrebungen von AfD und auch BSW zu unterdrücken.

Zwar betrachten alle Parteien die AfD als eine existenzgefährdende Herausforderung der Demokratie in der Republik, ihre Einordnung als gesichert rechtsradikal durch zwei Verfassungsschutzbehörden der Länder, veranlasst sie aber nicht dazu, einen politisch und rechtssicher begründeten Verbotsantrag gegen die AfD beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Das gern benutzte Argument, wer ein solches Verbot wolle, sei selber undemokratisch, ist nichts anderes als Feigheit vor dem Gegenwind, den ein solches Verbot auslösen würde. Den Parteien jenseits der AfD ist es bisher noch nicht mal gelungen, das Bundesverfassungsgericht so im Grundgesetz zu verankern, dass seine Unabhängigkeit dauerhaft gewahrt bleibt.

Angst und Verunsicherung

Statt den prinzipiell unverzichtbaren Parteienstreit einmal auszusetzen, um gemeinsam die autoritären Bedrohungen zu bannen, ordnen sich alle Parteien der Angstbewirtschaftung von AfD und BSW unter, im Moment, indem sie in der Migrationspolitik deren Argumente übernehmen. Sie reden inzwischen selbst so, dass ihre Argumente nur noch schwer von denen der AfD und des BSW zu unterscheiden sind.

Das Versagen der Behörden bei der Integration der dringend gebrauchten Zuwanderer wird hingenommen. Sie sehen zu, wie unter den Deutschen mit Migrationshintergrund, den Juden sowieso, Angst und Verunsicherung im täglichen Leben zunehmen. Das ritualisierte Toleranzgebrabbel der Regierenden, ihre Kränze für die Ermordeten, ändern daran überhaupt nichts.

Die CDU kann nicht erklären, wieso sie in Thüringen mit dem sozialdemokratisierten und allseits angesehenen Ministerpräsidenten Ramelow von der Linkspartei nicht reden will, aber ihr Möchtegern-Ministerpräsident Mario Voigt der Chefin einer Partei nachreist, die wie eine kommunistische Sekte aufgebaut ist.

Vabanquespiele in Brandenburg

Die Rede ist von Sahra Wagenknecht, die durch die Forderung nach sofortigem Einstellen jeder Waffenhilfe für die Ukraine offen Putins Krieg unterstützt und die ihren Amerikahass mit der Ablehnung der Stationierung der US-Raketen zum Schutz vor einer russischen Bedrohung zur Politik der Landesregierungen erheben will, die um sie werben.

Glaubt denn irgendjemand, dass sie aus Koalitionsräson aufhören würde in aller Öffentlichkeit diese Positionen zu vertreten oder sie abmildern?

Was die SPD angeht, so schweigt sie zu dem Machtpoker der CDU. Sie fügt sich klaglos und anschmiegsam in ihre neue Rolle als Mehrheitsbeschaffer für CDU und BSW. Ihr brandenburgischer Ministerpräsident Dietmar Woidke fügt diesem Verhalten noch eine besondere Groteske hinzu, wenn er erklärt: Entweder ihr Wähler verhelft mir und der SPD zu Platz 1 beim Wahlergebnis oder ich werde fürs Weiterregieren nicht mehr zur Verfügung stehen. Drohungen gegenüber den Wählern und Vabanquespiele ausgerechnet in Brandenburg, wo eine besonders rechtsradikale AfD droht?

Bürokraten sind keine verlässlichen Demokratieschützer

Frank Castorfs Zweifel an der Bereitschaft von Politikern, Beamten und Richtern sind berechtigt, sich zu widersetzen, wenn ein BSW- oder später einmal ein AfD-Minister in einem Kabinett mit der CDU rechtswidrige oder auch nur demokratiegefährdende exekutive Arbeit verlangt. Die Beamten und alle öffentlichen Bediensteten werden nicht als die letzte Brandmauer gegen eine illiberale Demontage der Demokratie in der Republik fungieren, weil sie das ihre Jobs kosten würde. Sie werden umsetzen, was immer von ihnen verlangt werden wird.

Die drei Landtagswahlen in diesem September sind für die Demokratiegeschichte der Bundesrepublik eine Zäsur. Sie zeigen, dass die Demokratie auch bei uns mit illiberalen Mehrheiten und dem Wegducken aller Übrigen in eine demokratiefeindliche Form umgebaut werden kann.

Was sage ich nun meinen migrantischen und jüdischen Freunden, die mich fragen, ob und wohin sie dieses Mal noch rechtzeitig und selbstbestimmt emigrieren könnten? Dazu fällt mir leider kein kluger Ratschlag ein, denn überall in der Welt drohen gerade eher finstere Zeiten. ■