Folgen der Wirtschaftskrise: Unternehmen kürzen massiv Lehrstellen
2009 werden Betriebe zehntausende Ausbildungsplätze weniger anbieten. Der DGB fordert einen "Schutzschirm für Ausbildungsplätze".
BERLIN taz Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt hatte sich gerade erst etwas entspannt, nun wird die Wirtschaftskrise die Chancen der Jugendlichen auf eine Lehrstelle wieder verschlechtern. Nach Schätzungen des Bundesinstituts für Berufsbildung werden die Unternehmen in diesem Jahr 38.000 bis 77.000 Lehrstellen weniger anbieten als im Vorjahr. "Es droht ein Einbruch des Ausbildungsplatzangebots", heißt es im jährlichen Berufsbildungsbericht des Instituts, der am Mittwoch veröffentlicht wurde. Zwar lässt die Zahl der Schulabsolventen nach. Das aber, so die Schlussfolgerung, kann selbst im besten Fall die Auswirkungen der Krise nicht vollständig kompensieren.
Laut einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags will jedes vierte deutsche Unternehmen im Jahr 2009 Lehrstellen streichen. Laut Bundesagentur für Arbeit wurden von Oktober bis März bereits 26.600 Ausbildungsstellen weniger als im Vorjahreszeitraum gemeldet. Allerdings habe auch die Zahl der Bewerber deutlich abgenommen, die sich für die Lehrstellensuche an die Arbeitsvermittlung wandten.
Um die Folgen der Rezession aufzufangen, fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) einen "Schutzschirm für Ausbildungsplätze". DGB-Vorstandsmitglied Ingrid Sehrbrock schlug vor, Unternehmen eine Prämie zu bezahlen, wenn sie Lehrlinge aus Insolvenzbetrieben übernehmen. Diese könnte bei 250 Euro im Monat liegen. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) signalisierte Unterstützung für die DGB-Forderung. "Ich finde den Vorschlag gut, jetzt eine Möglichkeit zu schaffen, diesen Jugendlichen den Abschluss einer Ausbildung zu ermöglichen", sagte sie.
Für das Ausbildungsjahr 2008 liefert der Berufsbildungsbericht eine gemischte Bilanz. Obwohl weniger Absolventen die Schulen verließen, wurden rund 616.000 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen - der vierthöchste Wert seit 1992. Nur rund 14.500 der gemeldeten Bewerber blieben unversorgt - der niedrigste Wert seit 1992. Gleichzeitig fanden die Unternehmen für knapp 20.000 Lehrstellen keine Bewerber.
Akut bleibt allerdings das Problem der sogenannten Altbewerber, also Jugendliche, die schon mindestens ein Jahr auf Lehrstellensuche sind. Rund 250.000 aller im Ausbildungsjahr 2008 gemeldeten Bewerber rechnet das Bundesinstitut für Berufsbildung zu diesen Altbewerbern. Von ihnen bekam jedoch lediglich knapp die Hälfte eine schulische oder betriebliche Ausbildung, ein großer Teil landete in Übergangsmaßnahmen, Praktika, jobbte oder meldete sich arbeitslos.
Besonders schlechte Chancen auf einen Ausbildungsplatz haben Jugendliche in Ostdeutschland. Hier sank die Zahl der Ausbildungsverträge 2008 um 9 Prozent, während sie im Westen um 0,3 Prozent stieg. Auch die Chancen ausländischer Jugendlicher sind laut Bericht "wesentlich geringer". Nur 24 Prozent von ihnen befanden sich 2007 in einer Ausbildung, bei den deutschen Jugendlichen waren es mehr als doppelt so viel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation