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Archiv-Artikel

ORTSTERMIN: BEIM ANTI-ATOMPROTEST IN NÖRTEN-HARDENBERG Flyer für Passanten, die nicht kommen

„Letzten Montag waren wir fünf“, sagt Frauke Humpe, „heute sind wir schon fast doppelt so viele“

Die Hauptstraße ist wegen einer Baustelle gesperrt, der Verkehr wird am Ortseingang umgeleitet. Genau an dieser Ecke sind sie an diesem Montagabend zur Mahnwache aufgezogen: Sechs Frauen und drei Männer halten in den Abgaswolken vorbeiröhrender Autos ein Transparent hoch. Einige haben sich „Atomkraft? Nein Danke!“-Sticker an die Jacken geheftet. Eine ältere Dame hat einen Packen Flugblätter zur Situation in Fukushima unter dem Arm – gedacht für die Passanten, von denen hier allerdings kaum welche vorbeikommen.

Nörten-Hardenberg in Südniedersachsen ist ein Flecken, also nicht mehr Dorf, aber auch noch lange nicht Stadt, rund 8.000 Einwohner inklusive der Bewohner eines halben Dutzends eingemeindeter Ortschaften. 30 Kilometer von hier, im Nordosten, beginnt der Harz, 20 Kilometer nordwestlich liegt der Solling, 15 Kilometer südlich die Universitätsstadt Göttingen mit ihrer bunten politischen Szene. In Nörten-Hardenberg gibt es keine solche Szene. Der Bürgermeister ist von der CDU, bei der letzten Kommunalwahl, 2006, kandidierten die Grünen noch nicht einmal.

Einige Mitglieder haben sie hier aber doch, zum Beispiel Frauke und Jens Humpe. Zusammen mit ein paar anderen Leuten organisiert das Ehepaar die örtlichen Anti-Atomkraft-Mahnwachen. Sie haben Bekannte angesprochen, viel herumtelefoniert. Das Ergebnis der Bemühungen könne sich doch sehen lassen: „Letzten Montag waren wir fünf“, sagt Frauke Humpe, „heute sind wir schon fast doppelt so viele.“

Dafür hatten sie am Montag einen besseren Platz, vor der evangelischen Kirche gegenüber und nicht direkt im Auspuffqualm. Vom Kirchplatz habe sie aber der Gemeindevorstand verscheucht, erzählt Jens Humpe. „Die hatten offenbar die Befürchtung, mit einer Partei in Verbindung gebracht zu werden. Dabei ist unsere Mahnwache doch gar keine Parteiaktion.“

Alle zwei Minuten patroulliert nun ein Streifenwagen an der Mahnwache vorbei. Zwei Beamte kontrollieren, ob die Demonstranten auf dem Bürgersteig stehen – und nicht etwa mit einem Fuß auf der Straße. Das dürfen sie nämlich nicht, hat das Nörten-Hardenberger Ordnungsamt mitgeteilt. Davon abgesehen, berichtet Frauke Humpe, sei die Behörde aber sehr kulant gewesen: „Die hat uns gleich für die nächsten zehn Wochen eine Genehmigung für die Mahnwache erteilt, immer montags um halb sechs. Hier, sehen Sie selbst“, erzählt Humpe und zeigt den Bewilligungsbescheid des Amtes.

Bei den Mahnwachen wollen es die Nörten-Hardenberger Umweltschützer nicht bewenden lassen. Für die kommende Woche planen sie eine Veranstaltung zum Thema, der emeritierte Göttinger Chemie-Professor und Atomkraftgegner Rolf Bertram hat schon als Referent zugesagt, vielleicht wird sogar eine ganze Reihe daraus. Die Schwierigkeit besteht darin, die Leute anzusprechen und zu motivieren: Flugblätter annehmen und lesen, das sind die Leute von Nörten-Hardenberg einfach nicht gewohnt. „An die Schulen dürfen wir auch nicht“, sagt Jens Humpe.

Ein Autofahrer hupt. Ein Gruß an die Demonstranten? Eher nicht: Ein tiefer gelegter Golf, schon fast um die Kurve, beschleunigt mit quietschenden Reifen. Aus dem geöffneten Seitenfenster reckt der Beifahrer den Stinkefinger. REIMAR PAUL