Flüchtlingspolitik unter Rot-Rot: Reisen an Spree und Dahme
Der Alltag soll für Asylbewerber in Brandenburg einfacher werden: Die neue rot-rote Regierung schafft die Residenzpflicht ab. Auch Reisen nach Berlin sind künftig jederzeit möglich.
BERLIN taz | Die Bundesländer Berlin und Brandenburg höhlen die Residenzpflicht für AsylbewerberInnen und geduldete Flüchtlinge aus. Sobald die neue rot-rote Landesregierung in Potsdam die Regierungsgeschäfte übernommen hat, sollen sich Asylbewerber in beiden Ländern frei bewegen können. Das erklärten Brandenburgs designierter Sozialminister Günter Baaske (SPD) und Berlins Linken-Fraktionschef Udo Wolf übereinstimmend der taz.
Asylbewerber im schon seit 2001 rot-rot regierten Berlin durften sich in der Stadt auch schon jetzt frei bewegen, benötigten aber eine behördliche Genehmigung, sobald sie die Landesgrenze verlassen wollten. In Brandenburg brauchten sie hingegen eine Erlaubnis der Ausländerbehörde, sobald sie nur die Landkreisgrenze überschreiten wollten. Geregelt ist diese sogenannte Residenzpflicht im Asylverfahrensgesetz, einem Bundesgesetz. Betroffen sind vor allem Asylbewerber, die in ländliche Regionen versetzt wurden.
SPD und Linke in Brandenburg haben nun im Koalitionsvertrag vereinbart, die Residenzpflicht auch mit Berlin aufzuheben. "Das dient der Humanität gegenüber den Asylbewerbern, aber auch ihrer Integration und damit dem Land", sagte Baake. Denn wenn ein Asylbewerber später ein Aufenthaltsrecht bekommen sollte, könne es nur von Vorteil sein, wenn er das Land schon ein wenig kenne und soziale Kontakte habe. Seine Partei habe das schon lange gewollt. "Mit der CDU ging das aber nicht", so Baaske. Auch Berlins Linken-Fraktionschef Udo Wolf sagte, dass der rot-rote Senat eine solche Regelung schon lange angestrebt habe. "Wir bekamen aber von Brandenburgs Nochinnenminister Jörg Schönbohm (CDU) immer einen Korb."
Profitieren werden vor allem Brandenburger Flüchtlinge, die den Zugang zur Großstadt Berlin brauchen. Viele haben Freunde, aber auch Fachanwälte für Ausländerrecht in der Hauptstadt. Andere werden im Behandlungszentrum für Folteropfer behandelt oder finden in Berlin Ärzte mit türkischen oder serbischen Sprachkenntnissen. Umgekehrt können Kinder aus Berliner Asylbewerberfamilien künftig unbürokratischer an Klassenfahrten ins Umland teilnehmen.
Ein Rechtsgutachten im Auftrag des Brandenburger Flüchtlingsrats bestätigt, dass zwei Länder im Alleingang die Residenzpflicht aufheben dürfen, wenn sie eine Vereinbarung schließen. Will ein Asylbewerber aus Berlin oder Brandenburg nach Hamburg fahren, braucht er allerdings auch künftig eine Erlaubnis. Eine neue Vereinbarung werde an Berlin nicht scheitern, sagte Wolf.
In anderen Bundesländern dürfen sich Flüchtlinge in der Regel lediglich innerhalb ihres Landkreises oder des Regierungsbezirkes bewegen. Ein paar Ausnahmen gibt es: Das kleine Saarland erlaubt die Bewegungsfreiheit ebenfalls im kompletten Bundesland. Bayern erlaubt das geduldeten Flüchtlingen, nicht aber Asylbewerbern. Hamburg wiederum erlaubt einem Teil seiner Flüchtlinge die Reise nach Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Allerdings notgedrungen. Denn die Hamburger Erstaufnahmestelle befindet sich in Ludwigslust. Und diese Stadt befindet sich in Mecklenburg-Vorpommern.
Auf Bundesebene haben FDP und Union im Koalitionsvertrag vereinbart, dass die Auslegung der Residenzpflicht zum Zweck der Arbeitsaufnahme erleichtert werden soll. Wie das genau geregelt werden soll, bleibt aber bislang völlig offen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin