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Flüchtlingspolitik soll liberaler werdenBrandenburg entdeckt sein Herz für Flüchtlinge

Es weht ein liberaler Wind durch Berlins Nachbarland: Landkreise prüfen Gutscheinsystem. Rot-rote Landesregierung will mehr Wohnungen, Deutschkurse und bessere medizinische Versorgung für Asylbewerber.

Brandenburg prüft mehr Freiheiten für Flüchtlinge - auch beim Einkaufen. Bild: dpa

Flüchtlingspolitischer Frühling in Brandenburg: Nach einem Appell der rot-roten Landesregierung und einem Asylbewerber-Streik in Oberhavel prüfen nun Landkreise die Abschaffung von Wertgutscheinen für Flüchtlinge. SPD und Linke wollen Asylbewerbern auch an anderen Stellen das Leben erleichtern.

Sozialhilfen für Asylbewerber werden in Oberhavel und weiteren sechs von 18 Landkreisen in Form von Gutscheinen statt in Bargeld ausgezahlt. Zuletzt hatte Barnim Anfang Mai die Wertmarken abgeschafft. Die rot-rote Landesregierung ermunterte die Landkreise jüngst, von der Bargeldvariante "kräftig Gebrauch zu machen". "Wir befinden uns mitten in der Diskussion über eine Abschaffung", sagte ein Sprecher von Cottbus' Bürgermeister Frank Szymanski (SPD) der taz. Die Stadtführung habe dafür ihren Willen erklärt, eine politische Mehrheit sei absehbar. "Wir wollen das möglichst unaufgeregt über die Bühne bringen."

Auch im SPD-geführten Havelland ist man der Bargeldlösung nicht abgeneigt. Asylbewerber, die in Wohnungen oder länger als zwei Jahre im Landkreis lebten, erhielten bereits heute Bargeld, so ein Sprecher. "Tendenziell befürwortet die Kreisverwaltung eine Abschaffung des Sachleistungsprinzips." In Potsdam-Mittelmark ist die Praxis schon länger ganz pragmatisch: Die hiesigen Schecks könnten die Asylbewerber direkt bei Banken für Bargeld einlösen, so eine Sprecherin. Und das bereits "seit über zehn Jahren".

Hart bleiben dagegen Uckermark und Oberspreewald-Lausitz. "Eine Umstellung auf Bargeldgewährung wäre mit dem gegenwärtigen Grundgedanken des Aslybewerberleistungsgesetzes nicht vereinbar", sagt Siegurd Heinze (parteilos für CDU), Landrat von Oberspreewald-Lausitz. Ähnlich urteilt Oder-Spree-Kreischef Manfred Zalenga (parteilos): Der Aufruf der Landesregierung sei "gut gemeint, jedoch nicht gesetzeskonform". Zuerst müsse das Bundesgesetz geändert werden.

Auch in Oberhavel tut man sich schwer. Anfang Juni boykottierten Bewohner des Hennigsdorfer Flüchtlingsheims die ihnen ausgehändigten Gutscheine. Diese seien im Alltag unpraktikabel und diskriminierend. Der Kreistag Oberhavel votierte daraufhin mit knapper Mehrheit für die Auszahlung von Bargeld. Am Dienstag beanstandete SPD-Landrat Karl-Heinz Schröter den Beschluss. Der Kreistag sei gar nicht zuständig, die Entscheidungskompetenz obliege allein dem Landrat.

Schröter verteidigte die Gutscheine mit dem Asylbewerberleistungsgesetz. Dort steht, Asylbewerbern vorrangig Sachleistungen zu gewähren. Der Landrat kündigte aber an, den Bargeldanteil von rund 40 Euro um 34,56 Euro zu erhöhen. Der Brandenburger Flüchtlingsrat kritisierte das als "absurd". "Offenbar hat der Landkreis ja doch Spielräume", so Sprecherin Simone Tetzlaff. "Die sollte er auch in Gänze nutzen." Auch die Asylbewerber zeigten sich unzufrieden: Sie kündigten für Mittwochmorgen eine Kundgebung vorm Hennigsdorfer Flüchtlingsheim an.

Sozialminister Günter Baaske (SPD) hatte die Gutscheine unlängst als "völlig ungeeignet und diskriminierend" kritisiert. Er appellierte zudem in einem Schreiben an die Landkreise, Flüchtlinge "möglichst großzügig" in Wohnungen statt in Sammelunterkünften unterzubringen. In einer Arbeitsgruppe des Landes wird derzeit über die "Qualität und Lage" der märkischen Flüchtlingsheime beraten, von denen einige weit außerorts liegen. Baaske machte sich für eine "innerörtliche Unterbringung" stark.

Das Land kündigte zudem an, die medizinische Versorgung von Flüchtlingen, besonders bei Traumatisierungen, ausbauen zu wollen. Auch soll es in jedem Landkreis künftig mindestens ein kostengünstiges Deutschkurs-Angebot geben. Und: Auf Bundesebene werde man sich für eine Erhöhung des Regelsatzes für Flüchtlinge einsetzen, der seit 1993 bei rund 184 Euro monatlich liegt. Baaskes Sprecher begründete den liberalen Wind in der Flüchtlingspolitik mit der rot-roten Koalition. "Mit Schönbohm und der CDU wäre das nicht möglich gewesen." Der Flüchtlingsrat begrüßte die Ziele. "Jetzt werden wir genau beobachten, welches praktische Handeln daraus folgt", so Tetzlaff.

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8 Kommentare

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  • EV
    Elisabeth Voß

    Danke an Anonym und Franz Beer!

    Die Menschen, die hierher kommen, sind Menschen wie wir. Sie haben die gleichen Träume, Wünsche, Verletzlichkeiten... Warum nicht die gleichen Rechte?

    Eben war ich im Heimathafen Neukölln (Berlin) beim Festival aus Anlass des 60jährigen Jubiläums der Genfer Flüchtlingskonvention (die taz brachte dazu ein Interview mit Pegah Ferydoni und Mehdi Moinzadeh). Ein dort gezeigter Film hatte den schönen Titel "... denn wir leben von der gleichen Luft". Warum glaubt ihr anderen KommentatorInnen, ihr könntet in eurem Leben mehr beanspruchen als andere?

  • MW
    Menschenrechte weltweit

    Flüchtlinge in Deutschland –

     

    es wird behauptet: „Die wollen sich ja gar nicht integrieren!“

    Und dann grenzt man sie in Lagern, meist weitab von Städten und Gemeinden, von der Gesellschaft aus und nimmt ihnen so gut wie jede Möglichkeit, die deutsche Sprache zu lernen.

     

    es wird behauptet: „Die wollen ja gar nicht arbeiten!“

    Und dann verbietet man ihnen die Arbeit.

     

    es wird behauptet: „Vor dem Gesetz sind alle gleich!“

    Und dann meinen so manche, Flüchtlinge hätten keinerlei Ansprüche und Rechte, auch nicht auf das offizielle Existenzminimum.

     

    es wird behauptet: „Deutschland ist eine weltoffene, tolerante Gesellschaft.“

    Und dann begegnet so manche® sämtlichen Flüchtlingen mit Generalverdächtigungen wie „Scheinasylanten“, „Kriminelle“ etc. pp.

     

    es wird behauptet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

    Und dann schafft man entwürdigende Sondergesetzgebungen, die den Aufenthalt in Deutschland so unangenehm wie nur möglich machen sollen.

     

    es wird behauptet: „Wir haben aus der Geschichte gelernt!“

    Und dann schiebt man Flüchtlinge in Krisengebiete ab, wo ihnen – je nachdem – Krieg, Verfolgung, Diskriminierung, Folter … drohen.

     

    Von daher: Eine richtige und längst fällige Entwicklung, die da in Brandenburg stattfindet. Das sollte bundesweit Schule machen.

  • A
    Anonym

    Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wo der Kaffee herkommt, den wir jeden morgen trinken? Oder die Bananen, die Schokolade, all das Obst und Gemüse...? Selbst die Salamie und der Schinken kommen aus sogenannten Dritte Welt Ländern - verfolgen Sie den Produktionsweg doch einmal zurück.

     

    Und das alles zu einem unverhältnismäßig absolut billigen Preis. Wir leben in Deutschland/ Europa auf vergleichsweise sehr unfruchtbarem Land, haben aber alles. Wie kann das sein?

     

    Spätestens seit der Kolonialisierung ist der Begriff des 'wirtschaftlichen Flüchtlings' nicht mehr von dem des 'politischen' zu trennen. In Zeiten der Globalisierung schon gar nicht.

     

    Die Meinung meiner Vorredner ist wiederlich und menschenverachtend. Ich wünsche ihnen von ganzem Herzen, sie wären in Afrika aufgewachsen, mit nichts als AIDS und einem Job auf der Müllkippe - Plastik- und Elektroschrott aus Europa sortieren. Ich wünsche es ihnen so sehr!

  • FB
    Franz Beer

    Ich bin Erschrocken über diese Ausländer/Fremdenfeindlichen Beiträge.Wohl kein Mensch der Flieht vor Verfolgung Vertreibung Folter Tod,kommt nach Deutschland nur um Sozialeistungen zu erhalten.Das ganze Gutscheinsystem ist Menschenverachtend und Menschenunwürdig,mal ganz abgesehen von diesem Regelsatz.Warum sollen Flüchtlinge in Deutschland nicht in Ihren erlernten Berufen Arbeiten können,die Kinder Ihre Ausbildung machen usw.Diese Angst vor Fremden sitzt anscheinend tief verwurzelt in unserer DEUTSCHEN LEITKULTUR.

  • R
    Raver

    @Caro - nein, das verstehst Du leider falsch. Es geht nicht um Menschen die hier aus humanitären Gründen berechtigt eine Bleibe finden bis es wieder in Ordnung ist, sondern um Menschen die hier bleiben weil bei denen -VIELLEICHT- etwas nicht in Ordnung ist.

    Denn ein "Asylbewerber" ist ein nicht anerkannter Flüchtling. wenn man soweit ist wie ein anerkannter steht einem eh alles offen....

     

    Hier geht um die "kurze" Zeit in der dann mal entschieden wird ob der wirklich bleiben darf - oder nicht. Wobei das ja keinen Unterschied macht da die wenigsten abgelehnten wirklich zur Ausreise gezwungen werden.

  • I
    Imation

    Na da werden jetzt auch sicher genug Flüchtlinge ihr Herz für Brandenburg entdecken.

    Vielleicht sind ja auch ein paar Grossfamilien ohne Staatsangehörigkeit (Pass verloren, oder so) aus dem Libanon dabei.

    Die bereichern ja ihre Umgebung bekanntermassen kulturell Ungemein.

  • EA
    Enzo Aduro

    Das wichtigste ist es die Asylanträge schlell zu bearbeiten, damit man die einen Integrieren und zur deutschen Staatsbürgerschaft führen kann und die anderen abschieben.

     

    Dieser Zwischenstatus ist einfach bürokratischer Unsinn.

  • C
    Caro

    Verstehe ich das richtig? Menschen, die hier netterweise eine Bleibe finden bis es in ihrem Heimatland wieder in ORdnung ist...streiken, wollen Bargeld, sollen nicht zurückgeschickt werden sondern bekommen auch noch Sozialleistungen und Therapie?