Flüchtlinge: Winterregelung ausgebremst
Ein Vorstoß der Grünen-Fraktion, erst im Frühjahr wieder Roma nach Serbien und Mazedonien abzuschieben, dürfte an der SPD-Bürgerschaftsmehrheit scheitern.
Hamburg wird weiterhin Roma auch im Winter nach Serbien und Mazedonien abschieben: Die SPD-Bürgerschaftsmehrheit kündigt an, am morgigen Donnerstag gegen einen Abschiebestopp für Roma zu stimmen. Ein entsprechender Antrag der GAL wird deshalb im Parlament keine Mehrheit finden.
Auf taz-Anfrage teilte die SPD-Fraktion schriftlich mit, es werde "in Hamburg keinen generellen Abschiebestopp betreffend einzelner Volksgruppen oder Regionen geben". Einen generelle Regelung fordern die Grünen aber auch gar nicht: Ihr Antrag zielt auf eine sechsmonatige Schonfrist für Roma-Familien mit Kindern und "besonders schutzbedürftige Personen" wie Alte, Kranke und Minderjährige ohne Begleitpersonen. "Wir halten es aus humanitären Gründen für nicht verantwortbar, diese schutzbedürftigen Gruppen jetzt abzuschieben", sagt die Antragstellerin und grüne Innenexpertin Antje Möller. Babys und Kleinkinder gehörten nicht im Winter in eine völlig unsichere Unterbringung.
Schutz im Winter
In Hamburg leben laut Möller rund 1.500 Roma. "900 von ihnen sind akut von Abschiebung bedroht." Wenn ein dauerhafter Aufenthalt für diese Menschen hier schon nicht möglich sei, wolle die GAL sie wenigstens den Winter hindurch geschützt sehen, sagt Möller. Im Frühjahr falle es den Betroffenen leichter, in Serbien oder Mazedonien Arbeit und Wohnung zu finden. Für kranke Menschen bringe der Aufschub die Chance, ihre Behandlungen in Hamburg abzuschließen.
Die Innenbehörde wollte sich vor der Bürgerschaftssitzung nicht zum Thema äußern. Ihr Sprecher Frank Reschreiter sagte nur: "Jeder Einzelfall wird geprüft, das gilt nach wie vor." Es sei aber davon auszugehen, dass die Behörde eine Entscheidung des Parlaments akzeptieren werde.
"Nach meinen Erfahrungen findet die vom Innensenator zugesagte Einzelfallprüfung im Eingabenausschuss nicht statt", sagt hingegen Antje Möller. Nach ihrer Einschätzung ist "die SPD nicht bereit, den Ermessenspielraum der Behörde zu Gunsten der Menschen zu nutzen".
Die Linksfraktion sagte auf taz-Nachfrage, dass sie für den GAL-Antrag stimmen wird. "Weitere Abschiebungen sind nicht nachvollziehbar", so Sprecher Martin Bialluch. Im Juni war bereits ein Antrag der Linken, die "Abschiebungen von Sinti und Roma in die Nachfolgerepubliken Jugoslawiens zu stoppen", in der Bürgerschaft gescheitert. Die meisten der Betroffenen seien gut integriert, sagt Bialluch weiter: "Sie verdienen langfristige Bleibeperspektiven."
Vor wenigen Tagen erst wurde eine Familie mit einem herzkranken Mann und einem siebenjährigen Jungen ausgeflogen. "Ich glaube nicht, dass es der Wille der Hamburger ist, dass man diese Menschen unbedingt loswerden muss", sagt Fanny Dethloff, Flüchtlingsbeauftragte der Nordelbischen Kirche. Sie wisse von einer Familie mit fünf kleinen Kindern, die nach Mazedonien abgeschoben werden soll. Dort gebe es für sie nur einen Raum, in dem bereits sechs Menschen wohnten.
Nicht alle Roma, sagt Dethloff weiter, seien Wirtschaftsflüchtlinge. Die Hintergründe seien ganz unterschiedlich. "Wenn wir jetzt die hier behalten, dann kommen sie alle - das ist eine falsche Wahrnehmung." Die Abschiebungen nennt Dethloff "bloße Symbolpolitik", um potenzielle Flüchtlinge aus der Region abzuschrecken. "Wir müssen nicht auf so eine harte Haltung setzen."
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Gedenken an Hanau-Anschlag
SPD, CDU und FDP schikanieren Terror-Betroffene
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung
Trump, Putin und Europa
Dies ist unser Krieg
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Bundestagswahl für Deutsche im Ausland
Die Wahl muss wohl nicht wiederholt werden