„Flüchtlinge, oft nur ein Mittel zum Zweck“

■ Ein Interview mit der türkischen Abgeordneten Sevim Celebi-Gottschlich (AL) über ihre zweijährige Mandatszeit im Abgeordnetenhaus

Die erste und bisher einzige türkische Abgeordnete in einem deutschen Parlament, Sevim Celebi-Gottschlich (AL), hat jetzt mit dem Einzug der neuen Fraktion ihren Sitz im Berliner Abgeordnetenhaus geräumt. Ihre zweijährige Mandatszeit war begleitet von Querelen um ihre Kandidatur innerhalb der AL. Parallel führte Celebi-Gottschlich das mühsame Unterfangen, die Berliner Immigranten und Flüchtlinge in dem von ihr gegründeten Immigrantenpolitischen Forum zu mobilisieren.

taz: Womit hattest du in den vergangenen zwei Jahren mehr zu kämpfen? Mit der Ignoranz der konservativen Politiker oder mit der Bevormundung der Linken gegenüber den Ausländern?

Sevim Celibi-Gottschlich: Daß die Leute von der CDU und der FDP meine politischen Gegner sind, das wußte ich ja schon vorher. Mein größter Frust war aber der Ausländerbereich in meiner eigenen Partei. In diesem Bereich sitzen statt Immigranten und Flüchtlingen hauptsächlich deutsche Funktionäre, die sich schon lange vor der AL-Gründung kannten. Zwischen ihnen und mir gab es zwar keine richtigen politischen Unterschiede. Aber die Leute dort haben stets eine belehrende Position eingenommen. Sie wollten sich die Arbeit nicht aus den Händen nehmen lassen und meinten immer alles besser zu wissen als die betroffenen Ausländer.

Als das Immigrantenpolitische Forum zum Beispiel gegen den neuen Berliner Ausländererlaß, die Restriktionen bei der Familienzusammenführung und die Visumpflicht angehen wollten, war der Ausländerbereich stets der Ansicht, daß andere Dinge wichtiger seien. Etwa gegen „Rassismus, Faschismus und Sexismus“ und für „offene Grenzen“ zu demonstrieren. Aber das waren für mich immer nur unkonkrete Parolen, hinter denen keine Programme stehen.

Ein anderes Beispiel in bezug auf die Bevormundung ist die Einstellung des AL-Ausländerbereichs zur Religion. Einerseits behaupten die Leute aus dem Bereich, sich für die Gleichberechtigung der Einwanderer aus orientalischen Ländern einzusetzen, andererseits aber akzeptieren sie deren Religion, den Islam, überhaupt nicht. So hat der AL -Ausländerbereich einen Antrag zur Einführung eines freiwilligen islamischen Religionsunterrichts an den Schulen genau wie für christliche Kinder verhindert.

Als klar wurde, daß eine Zusammenarbeit zwischen mir beziehungsweise dem Immigrantenpolitischen Forum und dem AL Ausländerbereich nicht möglich ist, habe ich mich natürlich gefragt: Meine linke Heimat - wo ist sie? Aber dann habe ich eingesehen, daß wir Ausländer uns unsere linke Heimat innerhalb der linken Parteien erkämpfen müssen.

Warum wird immer ein Keil zwischen die Flüchtlings- und die Immigrantenpolitik getrieben? Mitunter habe ich den Eindruck, daß die deutsche Linke mehr mit Flüchtlingen als mit Immigranten anfangen kann. Auch dir wollte die AL lediglich das Feld der Immigranten überlassen. Bei Flüchtlingspolitik hielt man dich für unfähig, und der Fraktionsvorsitzende, Wolfgang Wieland, wurde dafür eingesetzt.

Viele Linke leiden unter einem Helfersyndrom. Weil die Flüchtlinge die hiesigen Gesetze noch nicht kennen, mit Sprachbarrieren zu schaffen haben und durch ihren Status viel verunsicherter sind, kommt das Helfersyndrom hier voll zum Tragen. Man kann die Flüchtlinge halt eher wie Kinder behandeln als die Immigranten.

Dabei sind die Flüchtlinge oft nur ein Mittel zum Zweck. Die Deutschen wollen sich dann als gute Helfer in den Mittelpunkt stellen. Zum Beispiel haben die „Aktion Fluchtburg“, der AL-Ausländerbereich und „Asyl e.V.“, die alle drei von Deutschen geleitet werden, zusammen mit Flüchtlingen eine Kirche besetzt. Den drei Gruppen schien es aber gar nicht um die Flüchtlinge zu gehen. Sie haben sich die ganze Zeit darum gestritten, wer was zur Presse sagt, ob die Presse mit den Flüchtlinge reden darf und was die Flüchtlinge der Presse sagen sollen.

Was hast du als deinen größten Erfolg in den vergangenen zwei Jahren verbucht?

Einfach meine Präsenz im Rathaus. Und dann gibt es auch einige konkrete Erfolge. So hat zum Beispiel der Senat die von mir geforderte Rückkehroption beschlossen. Frauen und Jugendliche, die sich nach der Rückkehr nicht mehr in der Türkei zurechtfinden, können nach Berlin zurückkommen.

Warum ist es so schwer, die Immigranten politisch zu mobilisieren?

Sie haben es nicht gelernt und es ist ihnen verboten, sich politisch zu betätigen. Bei einer Unterschriftenkampagne, die ich für Erleichterungen bei der Familienzusammenführung gemacht habe, trauten sich manche nicht einmal, ihre Adresse anzugeben.

Was würdest du anderen Immigranten raten, die parlamentarische Abgeordnete werden?

Wie man Kontakte knüpft, zum Beispiel zu den Medien, damit diese ein differenzierteres Bild über das Leben der Minderheiten geben. Wenn man über Ausländer redet, tut man es immer nur wie über ein Problem. Man redet aber nicht von den Gesetzen, die den Ausländern vorgeschrieben sind, durch welche all die Probleme zustande kommen. Man tut so, als hätten die Leute die Probleme mitgebracht, als gehörten sie zu deren Kultur. Und die Medien transportieren die Klischees, zum Beispiel die Kopftuchfrauen. Es gibt soviele intellektuelle türkische Frauen, aber wenn von ausländischen Minderheiten die Rede ist, werden immer nur die Kopftuchfrauen oder die Männer, die in Cafes sitzen, gezeigt.

Was würdest du deiner Amtsnachfolgerin Heidi Bischoff -Pflanz mit auf den Weg geben?

Ich würde ihr raten, die Arbeit schleunigst einem Immigranten zu überlassen, damit wir selber politische Erfahrungen machen können und endlich selbständig werden. Wie lange noch sollen andere uns vertreten und wir immer draußen bleiben?

Interview: Elisa Klapheck