Flüchtlinge in Bayern: Sehnsucht nach dem Supermarkt
Kein anderes Bundesland gewährt Asylbewerbern so wenig Freiheiten wie Bayern. Einige wehren sich und boykottieren ihre Essenspakete. Doch die CSU bewegt sich nur langsam.
![](https://taz.de/picture/316742/14/supermarkt_02.jpg)
REGENSBURG taz | "Das ist Wahnsinn", sagt der junge Iraker, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, und wedelt wütend mit einem Blatt Papier. 25 Euro soll er zahlen, weil er ohne Erlaubnis einen Freund in Würzburg besucht hat. Einen Freund aus dem Irak, den er drei Jahre nicht gesehen hatte. "Wir haben überhaupt keine Rechte."
Deshalb weigert er sich seit Ende Januar, die Essenspakete anzunehmen, mit denen er versorgt wird. Immer mehr Flüchtlinge aus verschiedenen Wohnheimen in Bayern schließen sich dem Protest an, zuletzt Asylbewerber aus Passau, Regensburg und Augsburg. Sie fordern Geld statt Sachleistungen, eine Arbeitserlaubnis, freie Wohnungswahl und die Aufhebung der sogenannten Residenzpflicht. Die verbietet ihnen, den Landkreis ohne behördliche Genehmigung zu verlassen.
In keinem Bundesland haben Flüchtlinge so wenig Freiheiten wie in Bayern. In Berlin etwa dürfen sich Asylbewerber nach drei Monaten eine Wohnung suchen und bekommen dann monatlich gut 220 Euro für ihren Lebensunterhalt. In Bayern gibt es Essenspakete statt Bargeld. In eine Privatwohnung dürfen Flüchtlinge erst ziehen, wenn sie offiziell geduldet sind und den Lebensunterhalt selbst verdienen.
Die Kritik daran mehrt sich, seit vor einem Jahr Experten in einer Anhörung im Landtag die Asylpolitik scharf angegriffen hatten. Politiker aus Opposition und FDP fordern eine Kehrtwende. Im Januar hat die CSU ein eigenes Positionspapier für eine neue Asylpolitik vorgelegt, das lediglich einige Zugeständnisse macht. So soll etwa die Residenzpflicht gelockert werden und der Umzug in eine Privatwohnung künftig nach maximal vier Jahren möglich sein. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hält an seinem Credo fest: "Mit mir wird es keine Aufweichung in der Asylpolitik geben."
Deshalb der Boykott. 55 der 161 Bewohner der Sammelunterkunft in der Plattlinger Straße in Regensburg erhalten Essenspakete. Davon streiken 13 laut Bürgerinitiative Asyl Regensburg, und 6 laut der Regierung der Oberpfalz. Dass Familien mit Kindern die Pakete annehmen, heißt aber nicht, dass sie den Boykott nicht unterstützen. "Wir sind seit über einem Jahr in Deutschland und bekommen immer das Gleiche", sagt ein Vater. "Die Kinder essen nichts mehr."
"Man will die Menschen so weit zermürben, dass sie möglichst schnell einer freiwilligen Rückführung zustimmen", sagt der Würzburger Mediziner August Stich. "Die CSU ignoriert, dass Menschen an der Lagerhaltung leiden", sagt Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Stich und Thal hatten bei der Expertenanhörung im Landtag gesprochen. Beide monieren, dass die CSU in ihrem Positionspapier ihre Grundhaltung gegenüber Flüchtlingen nicht ändere.
Auf eine Lockerung der Residenzpflicht haben sich CSU und FDP unterdessen geeinigt, am Donnerstag segnete der Sozialausschuss die entsprechende Vorlage ab. Künftig sollen sich Asylbewerber im jeweiligen Regierungsbezirk sowie in angrenzenden Landkreisen frei bewegen dürfen. Ursprünglich wollten die Regierungsparteien die Neuregelung der Asylpolitik im Gesamtpaket vorstellen, doch FDP und CSU können sich nicht einigen. Wie hartnäckig Innenminister Herrmann sein kann, hat er bereits im vergangenen Juli gezeigt: Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) wollte einen Passus aus der Asylverordnung streichen, wonach die Sammelunterkünfte "die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern". Das scheiterte am Innenministerium.
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