■ Flüchtlinge als Sparobjekt: Variable Rechengröße
Um das tiefe Loch im Doppelhaushalt 95/96 zu stopfen, sind die SenatorInnen bei der Sparklausur im Juli auf abenteuerliche Ideen verfallen: Sie wollen einige Millionen sparen, indem sie Flüchtlinge aus dem früheren Jugoslawien schneller „zurückführen“. Der Vorschlag kann nur von Technokraten kommen. Für sie sind Flüchtlinge eine – nach Haushaltslage variable – Rechengröße und nicht Menschen, die sich vor einem Krieg retteten und eine ungewisse Zukunft vor sich haben. Angesichts knapper Kassen trachten sie danach, sich lästig gewordener „Kostgänger“ so schnell wie möglich zu entledigen. Die Frage, welche Situation die Flüchtlinge in ihrer Heimat vorfinden, wird gar nicht erst gestellt. Wo sie hinsollen, kann ihnen niemand sagen, für den Aufbau einer neuen Existenz werden ihnen von deutscher Seite auch keinerlei Hilfen bereitgestellt. Egal, Hauptsache, sie liegen dem deutschen Staat nicht mehr auf der Tasche. Wer Flüchtlingspolitik der Finanzpolitik unterordnet, setzt alle menschlichen Maßstäbe außer Kraft.
Abgesehen davon, daß sich der Sparvorschlag – wie einige andere übrigens auch – kaum umsetzen lassen wird, wirft er ein bezeichnendes Licht auf die Sparklausur. Es drängt sich der Eindruck auf, daß zu fortgeschrittener Stunde nur noch die Devise zählte, die fehlenden Millionen zumindest auf dem Papier zusammenzubekommen. Der Öffentlichkeit mußte man am Ende des Sitzungsmarathons schließlich ein Ergebnis präsentieren. Im nachhinein will es jetzt niemand gewesen sein. Es lasse sich nicht mehr nachvollziehen, wer in der Runde den Vorschlag unterbreitet habe, heißt es unisono. Die Beteuerungen, es handle sich nicht um einen politischen Beschluß, machen die Sache auch nicht besser. Nicht der Verstand regiert, sondern der Rotstift. Dorothee Winden
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