: Flotter Schläger, langsame Ermittler
■ Bremer Schwarzafrikaner verprügelt / Polizei: „Sie können ja ausweichen“
Raymond M.* dachte an nichts Böses, als er in der Nacht zum 7.12.93 mit seinem Fahrrad nach Hause fuhr. Er war müde vom Job, mit dem er sein Studium finanziert und wollte nur noch schlafen. Doch dazu sollte es nicht kommen. Als er an seinem Wohnheim in Horn-Lehe angelangt war, wurde der an der Elfenbeinküste geborene Student von einem etwa 23jährigen Mann überfallen. Der Mann in Springerstiefeln und Jeans jagte seinen Schäferhund auf Raymond, schlug mit einer dicken Eisenkette zu und versetzte Raymond mehrere Schläge ins Gesicht, sodaß die Brille zerbrach und eine tiefe Wunde über dem Auge hinterließ.
Raymond ging zur Polizei, die ihn zunächst ins Krankenhaus bringen ließ, wo die Wunde genäht wurde. Als der Verletzte am nächsten Tag heimkam, entdeckte er, daß zu allem Übel sein Fahrrad gestohlen worden war. Ein halbes Jahr später erhielt Raymond die Mitteilung von der Staatsanwaltschaft, das Verfahren sei eingestellt, der Täter nicht zu ermitteln. Doch Mitte Juli erkannte Raymond diesen in einer Gruppe von drei Frauen und drei Männern wieder, die wie Skins gekleidet sind und sich häufiger auf einem Platz am Horner Postamt aufhalten. Sofort wandt sich Raymond erneut an die Polizei. Die Beamten nahmen die Personalien der Männer auf und versicherten Raymond, er werde im Laufe der nächsten drei Tage mehr erfahren.
Doch die Wochen vergingen, ohne daß der Student etwas von der Polizei hörte. Dafür wuchs seine Angst, nachdem er wieder an dem Postamt vorbeigefahren war, und eine Frau aus der Gruppe heraus auf ihn zeigte: Das, hörte er sie sagen, ist der Mann, der uns bei der Polizei angezeigt hat. Grund genug für Raymond, dort nach dem Stand der Ermittlungen zu fragen. Mit der Auskunft, der zuständige Beamte sei nicht da, wurde er nach Hause geschickt.
„Der kriegt schon Bescheid“, kontert naßforsch ein Beamter der Polizeiwache die Nachfrage der taz. Eine Bedrohung vermag er in der Äußerung der Frau nicht zu erkennen, das schließlich sei kein Straftatbestand. „Wir sehen keinen Handlungsbedarf.“ Der Beamte namens Hecking zeigt sich so verstockt, daß er nicht mal den Namen des Dienststellenleiters preisgeben mag: „Das können Sie ihn schon selber fragen.“
Dienststellenleiter Gebek nimmt sich mehr Zeit. Immerhin kann er feststellen, daß die von Raymond veranlaßte Personalienüberprüfung des in Frage kommenden Täters am 18.7. in den Akten vermerkt ist. „Dann wird da auch ermittelt.“ Auf welchem Stand die Ermittlungen sind, kann er genausowenig beantworten wie die Frage, ob der potentielle Täter bereits verhört wurde. „Das läßt sich nicht rekonstruieren. Das kann durchaus noch einen Monat dauern, vielleicht auch zwei.“ Das, räumt der Diensstellenleiter ein, mag für das Opfer schmerzlich sein, „aber das ist nun mal ein Fall unter vielen.“ Ist daraus zu schließen, daß in Horn-Lehe, wo sich bekanntermaßen schon vor langer Zeit eine Skingruppe formiert hat, häufiger Menschen angegriffen werden? „Nein, einen vergleichbaren Fall kenne ich nicht.“
Umso erstaunlicher, warum die Polizei nicht intensiver ermittelt. Was, wollte die taz wissen, kann sie jemandem wie Raymond raten? „Wir können nicht jeden Betroffenen schützen“, erklärt Gebek und wendet sich an den Studenten: Wenn er doch wisse, daß die Gruppe sich regelmäßig auf dem Platz vor der Post treffe, sei es doch angebracht, diesen zu umfahren. Im Übrigen: „Wenn Sie auf dem Fahrrad sind, sind Sie doch viel schneller als die.“ dah
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen