Flott bergauf geschwommen

■ EM: 4 200m–Freistil–Staffel gewinnt vor der DDR in Weltrekordzeit / Vorher Groß–Niederlagen

Berlin (taz) - Michael Groß schaut aufs Wasser des Straßburger Bades und sagt, er „wäre überrascht, wenn hier einer Rekord schwimmt“. Sein Offenbacher Trainer Hartmut Oeleker schaut auf den Schwimmer: „Wenn alles so läuft, wie ich mir das vorstelle, gibt es einen Weltrekord.“ Gemeint ist aber nicht Groß allein, sondern die 4 200m–Freistil– Staffel. Und darin widerlegte sich Groß am Mittwoch abend als Schlußschwimmer auf beeindruckende Weise: Zusammen mit Peter Sitt, Rainer Henkel und Thomas Fahrner verbesserte er die Zeit der olympischen US–Staffel um gut 2,5 Sekunden. Also doch Weltrekord in 7:13,10 Minuten. Zuvor jedoch gab es Niederlagen für den Athleten, von dem der Deutsche Schwimm–Verband und die Öffentlichkeit stets so viel erwarten. Kam er nicht zur Europameisterschaft als sechsfacher Titelverteidiger von Sofia 1985, hatte ihn nicht 1983, als Doppelweltmeister bei der EM in Rom angereist, eine italienische Zeitung als Kollage „in eine Reihe mit den Göttern und Helden der Geschichte Roms gestellt“? Und in Straßburg hatte Groß im Vorlauf über 200m Freistil seine „Ausnahmestellung dokumentiert“ (dpa). Doch im Finale am Dienstag waren gleich zwei schneller, der Schwede Anders Holmertz und der Italiener Giorgio Lamberti. Nun - nach der ersten Niederlage in einem Meisterschafsrennen über diese Distanz - hieß es „Albatros abgestürzt“, der Star „soff ab“, und dpa ließ besorgt einen DDR–Beobachter fragen: „Ist das der Anfang vom Ende des Michael Groß?“ Der befand lediglich, er sei „nach 150 Metern gestorben“. „Harakiri“ nannte Mutter Groß die Taktik, das Rennen so schnell anzugehen. Der ungewohnte dritte Platz war für den Schwimmer ein Ereignis, welches er neutral „dieses Ding“ nannte. Es galt die neue Erfahrung zu verdauen, daß „bei 150 Metern rechts und links immer noch jemand da war“. Respektlos hatten Holmertz und Lamberti „voll gekloppt und sind hinter mir hergeschwommen“. Viel weniger überraschend kam am Mittwoch nachmittag Groß Silbermedaille über 100m Schmetterling, ohnehin nicht seine Spezialität. Die Konzentration war auf die „Königs–Staffel“ gerichtet, wo „eine dritte Niederlage einen Knacks geben könnte“ (Oeleker). Hatte bei der Olympiade der Amerikaner Bruce Hayes (“Ich dachte, eine Hai verfolgt mich“) die Hand vier Hundertstel vor Groß am Anschlag, war vor einem Jahr bei der Weltmeisterschaft in Madrid die DDR um fünf Hundertstel schneller. Diesmal jedoch konnte Groß Sven Lodziewski distanzieren, obwohl der mit einem kleinen Vorsprung auf die letzten 200m ging. Auch das auf einer Becken–Seite nur 1,30 Meter tiefe Wasser war da kein Problem mehr, von dem Bundestrainer Thiesmann vorher meinte, „die langen Kerls bei uns haben auf diesem Teil der Strecke ständig das Gefühl, sie müßten bergauf schwimmen“. Der Weltrekord war da (auch die DDR blieb noch unter der alten Zeit), und er war so fantastisch, daß der ZDF–Reporter seinen Interview–Versuch nur stammelnd eröffnen konnte: „Mir fehlen die Worte“ (Es scheint sich im Fernsehen sowieso eine mit den SportlerInnen fraternisierende Reporter–Generation durchzusetzen, deren Hauptvokabular aus „Super“, „Spitze“ und „Klasse“ besteht). Das ist natürlich schlecht in diesem Beruf, doch zum Glück hatte es den Athleten nicht die Sprache verschlagen. Michael Groß beispielsweise freute sich, das „Schwimmen noch nicht ganz verlernt“ zu haben. Wie beruhigend, stehen doch noch die 200m Schmetterling aus, bei denen Groß mit einer Boykottdrohung den eigentlich qualifizierten DSV– Schwimmer Hoffmann verdrängte. Und das Ausdauer–Delphin ist schließlich die Strecke, auf der sich - laut Groß - „der wahre Mann“ zeigt. Thömmes