: Floskeln und Einblicke
FOTOGRAFIE Bekannt ist Alice Springs am ehesten für ihre Prominenten-Porträts aus mehreren Jahrzehnten. In Hannover sind nun auch eindrucksvolle andere Arbeiten der Witwe von Helmut Newton zu sehen
Sie sei zu Tode fotografiert worden, beklagte 1983 die alternde Marlene Dietrich und verbat sich weitere Film- oder Fotodokumente. Die Prominenten, die der Fotografin Alice Springs Modell standen und deren Portraits nun die Kestner-Gesellschaft Hannover zeigt, scheinen noch weitab dieser kritischen Schwelle gewesen zu sein. Im Gegenteil: Sie alle scheinen es zu genießen, sich für diese Bilder in Szene zu setzen. Andererseits ist Alice Springs auch nicht irgendeine Fotografin: Sie war die Ehefrau von Helmut Newton.
Und eben der war auch der erste – und liebevolle – Kritiker ihres fotografischen Arbeitens, als Alice Springs, bürgerlich June Brown, geboren 1923 in Melbourne, per Zufall damit anfing. 1970 sollten in Paris Fotos für eine Zigarettenwerbung gemacht werden, Newton aber war krank geworden. Also ließ sich Alice Springs die Kamera erklären, ging selbst zu dem Termin und lieferte Aufnahmen eines lockigen, etwas lasziv dreinblickenden jungen Mannes ab. Und gemeinsam freute man sich über den Scheck –. ausgestellt auf Newtons Namen.
Fotografie sei eine trügerische und heikle Kunst: So beschrieb Newton anfangs seine Skepsis gegenüber Springs fotografischer Ambitionen, zeigte sich aber bereits wenig später angetan von ihren schnörkellosen Arbeiten: „Die Resultate sind bemerkenswert gut.“ So manches seiner späteren eigenen Modelle habe er in ihren Charakteren durch die Portraits seiner Frau kennen gelernt.
Die hannoversche Ausstellung bedient sich Leihgaben der Newton Stiftung in Berlin, in deren Dauerausstellung immer wieder wechselnde Schwerpunkte des Werks von Alice Springs integriert werden. Wer also, vielleicht ja bereits mehrmals, in dem ehemaligen Landwehr-Kasino am Bahnhof Zoo gewesen ist, sieht in Hannover nun nichts Neues.
Allerdings sind hier konsistente Gruppen zusammengestellt, die Entwicklungen und zunehmende konzeptionelle Freiheiten aufzeigen sollen. Den konzentrierten klassischen „Brustbildern“ beispielsweise – im Studio vor neutraler Wand geschossen – stehen komplexere Szenen gegenüber: Dafür fotografierte Springs im Freien, in Wohnungen oder Hotels.
Egal allerdings, ob sie im Studio oder in ihrer privaten, intimen Umgebung abgelichtet wurden: Alle Gezeigten blicken betont nachdrücklich, mitunter fast pathetisch in die Kamera – ein Gestus, der schnell abgenutzt, ja phrasenhaft wirkt. Einzig Joseph Beuys stand wohl souverän über den Dingen: Er erlaubte sich, beherzt zu lachen.
Gezeigt wird nun auch Alice Springs’ berühmte Serie prominenter Mütter mit ihren Kindern – Mütter allerdings, die ihre Kinder häufig geradezu wie leblose Trophäen vor der Kamera präsentieren.
Dass es aber, abseits all der Prominentenbildnisse und eigener Modestrecken, auch eine ganz andere Alice Springs hätte geben können, blitzt in einer kleinen Serie mit Bildern amerikanischer Hells Angels auf: Deren Boss Ed Lang, genannt Animal, lernte Springs auf einer Party kennen. Er fuhr sie tags drauf zum Camp und beharrte darauf, dass Springs auch ihn mitsamt Frau und den beiden Kindern fotografiere.
Diese einfühlsamen, stillen Milieustudien leben davon, dass frische, vitale Menschen etwas von ihrem Leben für die Kamera preisgeben. Etwas, das häufig viel packender ist als die Pose all der für die Gazetten ohnehin schon zu Tode fotografierten Prominenten. BETTINA MARIA BROSOWSKY
bis 5. Februar, Hannover, Kestner-Gesellschaft