Fleischatlas prognostiziert Preisexplosion: Heißhunger mit Nebenwirkungen
Der Konsum von Lebensmitteln aus Tieren belastet die Umwelt und das Grundwasser. Viel Schlachtvieh braucht auch viel Futter – das wird teuer.
BERLIN taz | Der Appetit auf Fleisch wächst rasant: Bis 2050 wird die globale Produktion des Lebensmittels wegen der steigenden Nachfrage aus Schwellen- und Entwicklungsländern wie China und Indien um 57 Prozent auf 470 Millionen Tonnen jährlich zulegen. Diese und andere Zahlen stehen im „Fleischatlas 2014“, den die Umweltorganisation BUND, die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung und die deutsche Ausgabe der Le Monde diplomatique aus dem taz-Verlag am Donnerstag vorstellten.
Doch mehr Schlachttiere brauchen mehr Futter. Allein die Erzeugung von Sojabohnen müsste sich auf weltweit 515 Millionen Tonnen fast verdoppeln, wenn die steigende Lust auf Fleisch befriedigt werden soll. Dabei landen schon jetzt 45 Prozent der EU-Weizenernte im Trog. Das ist sehr ineffizient: Würden Pflanzen direkt gegessen statt erst durch Tiermägen zu wandern, könnten sie 3- bis 13-mal mehr Menschen ernähren.
„Das Futter für die zusätzliche Produktion von mehr als 150 Millionen Tonnen Fleisch im Jahr wird Land- und Nahrungsmittelpreise explodieren lassen“, sagte Barbara Unmüßig, Vorstandsmitglied der Böll-Stiftung. „Die Zeche für den globalen Hunger nach Fleisch zahlen die Armen, die von ihrem Land verdrängt werden und sich aufgrund der hohen Preise weniger Nahrung leisten können.“ Aktuell betrifft das laut der Ernährungsorganisation der UNO, FAO, 842 Millionen Menschen.
Der hohe Fleischkonsum verursacht auch Umweltprobleme: Grundwasser wird mit dem in hohen Konzentrationen giftigen Nitrat aus der Gülle etwa von Schweinen oder mit Pestiziden aus dem Futteranbau belastet, so BUND-Agrarreferentin Reinhild Benning. Zudem sei die intensive Fleischproduktion maßgeblich verantwortlich dafür, dass Pflanzen- und Tierarten aussterben.
Der Fleischatlas liegt der Kioskausgabe von Le Monde diplomatique vom kommenden Samstag bei. Hier auch online.
Aufgeweichte EU-Verbote
Einen zusätzlichen Schub für die Industrialisierung der Fleischerzeugung befürchten die Herausgeber des Atlasses durch das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union (TTIP). „Hormonfleisch, Chlorhühnchen und auch mehr Gentechnik auf unseren Tellern ohne Kennzeichnung drohen Verbraucherinnen und Verbrauchern hierzulande“, sagte Benning. Die EU-Verbote des Dopings von Masttieren mit Wachstumshormonen und des Desinfizierens von Fleisch mit Chlor und die Kennzeichnungspflicht von Gentech-Essen könnten aufgeweicht werden.
Doch John Clancy, Sprecher der EU-Kommission, teilte der taz mit: „EU-Handelskommissar De Gucht hat von Anfang an erklärt, dass die TTIP-Gespräche nicht das US-Hormonfleisch betreffen.“ Das europäische Verbot werde im Rahmen des Abkommens nicht fallen. Der Fleischatlas selbst führt als Beleg für die Warnung nur Forderungen der US-Agrarlobby an, den EU-Markt für Hormonfleisch zu öffnen.
Aber es gibt aus der Sicht der Herausgeber des Fleischatlasses auch positive Nachrichten: So scheint der Höhepunkt des Fleischbooms in den Industrieländern vorbei zu sein. In den Vereinigten Staaten ist der Konsum von 2007 bis 2012 sogar um 9 Prozent gesunken. Der durchschnittliche Deutsche aß 2012 rund 2 Kilogramm weniger als im Vorjahr. Benning: „Das zeigt, dass wir Einfluss nehmen, dass nicht hingenommen wird, was an schlechten Produktionsstandards da ist.“
Damit der Konsum weiter fällt, fordern die Herausgeber unter anderem, dass etwa die deutschen Bauern weniger Tiere pro Fläche halten dürfen. Der Agrarlobbyverband Fördergemeinschaft Nachhaltige Landwirtschaft dagegen verteidigte die Branche: „Fleischkonsum trägt nicht zur Abholzung von Regenwäldern bei.“ Soja stamme „zum weitaus überwiegenden Teil aus traditionellen Erzeugungsgebieten, in denen der Anbau seit Jahrzehnten erfolgt“.
Leser*innenkommentare
Arne
Gast
Das Erfreuliche an den Meldungen ist, dass der Fleischpreis steigt. Das wird dann wenigstens über dem allmächtigen Markt Möglichkeiten bieten, diesen zu reduzieren.
Sorgen machen mir die da angesprochene Nitratbelastungen durch Gülle. Wieso wird dann auf Viehzucht keine spezifische Steuer erhoben, die den gesamtgesellschaftlichen Schaden ausgleicht. Ich schätze, dass da noch mehr ist als nur die Nitratbelastung.
Oh Gott
Gast
Es hängt alles am Öl: ohne ausreichend Energie ist es nicht einmal ansatzweise möglich, die benötigten Lebensmittel herzustellen und auch zu verteilen, mit oder ohne Fleisch.
Wenn es uns nicht rechtzeitig gelingt, uns vom Öl zu lösen, dann kommen bittere, sehr sehr bittere Zeiten. Schweine werden dabei keine Rolle spielen.
Regenwetter
Ich habe seit frühestem Alter die Verwendung von Fleisch verabscheut, und die Zeit wird kommen, wo die Menschen auf den Mord an Tieren herabsehen werden wie jetzt auf den Mord an Menschen.
- Leonardo da Vinci (zugeschrieben)
Hu Junzi
Gast
Tatsächlich ist das "Zitat" nicht auf Leonardo zurückzuführen, sondern auf den historischen Roman Leonardo da Vinci (Воскресшие боги. Леонардо да Винчи, 1900) von Dmitri Mereschkowski. Dort heißt es im sechsten Kapitel Tagebuch des Giovanni Boltraffio:
"Der Meister [Leonardo da Vinci] leidet es nicht, daß man einem lebenden Wesen irgendwelchen Schaden zufügt, selbst nicht den Pflanzen. Zoroastro erzählte mir, daß er schon seit seiner frühesten Jugend aus diesem Grunde kein Fleisch genießt: es werde eine Zeit kommen, meine er, da alle Menschen, gleich ihm, sich mit Pflanzenkost begnügen und das Schlachten der Tiere als ein ebenso großes Verbrechen ansehen würden wie den Mord an einem Menschen." - Übersetzt von H. von Hoerschelmann. Berlin, Deutsche Buch-Gemeinschaft, 1935? S. 180
Aus "From da Vinci`s Notes" in Jon Wynne-Tyson: The Extended Circle. A Dictionary of Humane Thought. Centaur Press 1985, S. 65, wird dann "I have from an early age abjured the use of meat, and] the time will come when men such as I will look upon the murder of animals as they now look upon the murder of men." fabuliert.
Ins Deutsche gelangte es dann erstmals mit Claus Leitzmann: Vegetarismus. Grundlagen, Vorteile, Risiken. Verlag C. H. Beck, München 2009, zu finden auf Seite 10
tsitra
Gast
tsitra:
Es geht darum (an-) (zu) erkennen, dass ein Tier ein Lebewesen ist und dass insbesondere die Säugetiere uns Menschen sehr ähnlich sind bzw. wir diesen Säugetieren.
Die Tiere zeigen ihren Lebenswillen (z.B durch Fluchtverhalten), äußern ihre Schmerzempfindlichkeit ( z.B. durch Schreien oder sonstige Schmerzlaute),
können Hunger und Durst empfinden und darüber hinaus auch Zuwendung genießen oder Zuwendung vermissen um nur einige Gemeinsamkeiten zu nennen.
Zudem wissen wir, dass speziell die Säugetiere uns physiologisch sehr ähnlich sind.
Per Definition ist das Schlachten der "Nutztiere" wie Mord, denn ohne dass es im Affekt geschieht wird das Tier planvoll und bewußt umgebracht.
Die Haltung ist eine dauerhafte Qual für die "Nutztiere".
Gewalt ist transitiv (wird delegiert!), deshalb habe ich meistens gar keine Lust mit jemand zu reden der Ausbeutung von Menschen (Kauf von Billigprodukten!) und Massentierhaltung fördert.
M.A.
Gast
Dieser Planet bietet für 7 Milliarden Menschen langfristig nicht genug Ressourcen für eine technologisch moderne, durchweg soziale Gesellschaft (ohne Armut).
Für eine artenreiche Ökologie ist da nichtmal ansatzweise Platz.
Der Fleischkonsum (Quali- und Quantität) drückt nur den gesellschaftlichen Status aus… das wird auch 2050 so sein.
7478 (Profil gelöscht)
Gast
Es liegt sehr in den Händen der Medien diese Balance in den nächsten Jahren so weit zu bringen, dass es möglichst für jeden völlig normal ist sich zu fragen, ob es zB die gesamt-Wirkung wert ist seine Kinder mit einem lecker Vollmilchschokoladigen Produkt von "Kinder" glücklich zu machen oder 75 Cent zu sparen damit man sich jeden morgen 2 Scheiben Fleischaufschnitt aufs Brot legen kann anstatt nur eine oder so viele Bananen zu essen, dass niemand mehr weiß, dass diese auch aus näheren Anbaugebieten (Türkei zb!) kommen könnten, nur dann teurer wären bzw. nicht in diesen übertriebenen Mengen gegessen (oder wegen brauner Stellen weggeschmissen!!) zu werden.
Ich hoffe und bin weiterhin zuversichtlich, dass dahingehend eine Wandlung im Gange ist und Ernährung bald eine so wichtige Rolle spielt, dass trotz der stärksten Lobbyarbeit, solche Themen einen entscheidenen Teil der Politik/Bildung/Medienwelt in Industrieländern ausmachen...
Denn ist man mal ehrlich, was für eine Art von Konsum betreibt man mit Abstand am meisten? und welcher hat wohl den größten Einfluss auf die Umwelt im privaten Sektor? (ganz abgesehen davon, dass man seinen Körper sprich seine Gesundheit nicht direkter beeinflussen kann...)
--> ESSEN!
Lasst es euch bewusst schmecken - der Unterschied ist grandios!
7478 (Profil gelöscht)
Gast
Ich finde es sehr schwierig zu beurteilen, was etwas bringt und was nicht. Es ist defintiv besser als nichts, einen, in unserer Gesellschaft ja leider sehr normalen, Menschen wie ihn David M. darstellt, dazu zu bringen nicht auch noch den 7. Tag der Woche unreflektiert Fleisch zu konsumieren. Andererseits sollte das Ziel eines Jeden, der es bereits geschafft hat, es, entgegen der meisten Einflüsse, durchzuziehen, über seinen Konsum insgesamt nachzudenken, diese (wenn man es so liest/schreibt eigentlich selbstverständlich erscheinende) Reflektion, was man mit seinem Handeln in der Welt jetzt gerade und zukünftlich bewirkt auch anderen schmackhaft, völlig normal und absolut notwenig zu machen!
Ich bin Veganer, vor allem aber lebe ich insgesamt sehr bewusst, gerade was meine Wirkung, die ich auf die Entwicklung unserer Erde habe angeht und ich empfinde es als eine sehr schwierige Balance Menschen, die sich (besieht man sich die Politik/Medienwelt völlig nachvollziehbarer Weise) mit diesem Thema überhaupt noch nicht auseinander gesetzt haben, dazu zu bringen, es einmal zu probieren in diese Richtung zu denken ohne sie gleich missionieren zu wollen...
Sehr klasse finde ich, dass dieser TAZ so einen klaren Standpunkt vertritt ohne jemandem etwas aufzuzwingen! Weiter so, bitte mehr was das Thema Ernährung angeht.
Jan Berger
Das Essen kommt aus dem Supermarkt, der Strom aus der Steckdose und unsere Bekleidung aus dem Kaufhaus. Tellerränder können so bequem sein.
vøid
Fleisch Essen zerstört also die Umwelt und auch Menschen leiden indirekt darunter. Und weswegen bitte ist es jetzt so verwerflich, einmal die Woche einen Veggie-Day einzuführen, um mal den Menschen ein Bewusstsein für den Kollateralschaden zu geben?
veganer
Gast
Falsch ist, wenn man einen Veggie-Day von oben verordnet.
Besser ist, wenn man Lust macht, auf Essen mit weniger tierischen Produkten. So dass Menschen das genießen können (da gibt es sooo leckere Sachen), statt sich gedrängt zu fühlen.
Ich bin Veganer und meine Erfahrung ist, dass Fleischesser durchaus neugierig sind. Man muß denen halt etwas bieten.
Um etwas bieten zu können, müssen aber die Küchen erstmal die Fachkenntnisse und die Motivation haben.
Kreativ vegetarisch und vegan zu kochen ist etwas, das man als klassich ausgebildeter Koch erst entdecken muß, das aber fachlich durchaus spannend ist.
Wenn man als Bundesregierung etwas tun will, dann kann man z.B. Workshops sponsern, Erfahrungsaustausch organisieren, Werbematerial verteilen, den einen oder anderen Wettbewerb ausrichten.
David M.
ein veggie-day schafft wohl kaum ein bewusstsein für den schaden ..
ich finde man sollte Kinder und Jugendliche schon früh In eine Großschlachterei führen und so vielen Verdeutlichen, was Fleisch ist und wo es herkommt. Das ahnen vielleicht viele, aber wirklich realisieren und erfahren, haben das nur wenige. ein abgestumpfter und bewuemer erwachsene, der 6 mal die woche zu viel fleisch isst und am 7. einen veggie day einlegt bringt uns auf lange sicht nicht ans ziel schätze ich :/
Bob Willis
Ob ein Veggie-day Bewusstsein schafft, liegt u.a. daran, wie er dargestellt wird.
Bei uns in der Mensa gibt es täglich mindestens ein sogenanntes "Klimaessen". Dieses ist ein veganes Gericht und wird mit einem Baum gekennzeichnet. Zur Information gibt es auch Plakate.
http://www.studentenwerk-berlin.de/mensen/produkte_preise/klimaschutz_durch_vegane_ernaehrung_13/index.html
Ob diese Darstellung nun tatsächlich manche Studenten oder Mitarbeiter dazu bewegt, gezielt dieses Essen auszuwählen, weiß ich nicht. Aber es wird auf jeden Fall gut angenommen und bei weitem nicht nur von Vegetariern/Veganern gegessen (so meine Beobachtung).
Je besser das Angebot, desto wahrscheinlicher ist es, dass immer mehr Menschen bereit sind, ab und zu vegetarisch zu essen.