■ Verräter oder nicht? Die grüne Basis in Nordrhein-Westfalen schwankt zwischen Wut und Verständnis für ihre Landtagsfraktion. Daß der Landesparteitag die rot-grüne Koalition kippt, ist allerdings unwahrscheinlich.: Flehen und Fluchen im grü
Verräter oder nicht? Die grüne Basis in Nordrhein-Westfalen schwankt zwischen Wut und Verständnis für ihre Landtagsfraktion. Daß der Landesparteitag die rot-grüne Koalition kippt, ist allerdings unwahrscheinlich.
Flehen und Fluchen im grünen Biotop
Bärbel Höhn erlebt das Ringen der grünen Basis hautnah. Wie die Landtagsabgeordneten hetzt auch die grüne Umweltministerin in diesen Tagen kreuz und quer durch Nordrhein-Westfalen, um bei der grünen Basis für die Fortsetzung der rot-grünen Koalition zu werben – „trotz der schmerzhaften Niederlage“ beim Ausbau des Dortmunder Flughafens. Am kommenden Wochenende spricht die Basis das letzte Wort. 275 Parteitagsdelegierte stimmen dann über den Fortbestand ab. Höhn ist für Weitermachen, – weil sie „nicht glaubt“, der Bevölkerung den Bruch wegen des Flughafenprojekts vermitteln zu können. Manchen gilt die grüne Umweltministerin und langjährige linke Frontfrau im Landesverband deshalb schon als „Verräterin“. Sie sei in den Verhandlungen der SPD ebenso leichtfertig umgefallen wie ihr Kollege Bauminister Michael Vesper vom Realo-Flügel.
Während sich die wütenden Proteste und die inständigen Bitten zum Durchhalten, die aus den Faxgeräten der Düsseldorfer Landtagsfraktion quillen, in etwa die Waage halten, überwiegt in den Versammlungen nach den Erfahrungen von Peter Eichenseher, Verkehrsexperte der Fraktion, eher die gedämpfte Unterstützung der Fraktion – „gemischt mit wütender Kritik“.
In Hagen ist am Samstag von dieser Wut nichts zu spüren. Hier hat Eichenseher zusammen mit Höhn vor rund zwanzig ParteifreundInnen leichtes Spiel. Jedenfalls, solange die Diskussion öffentlich geführt wird. Nach gut einer Stunde werden die Journalisten hinauskomplimentiert, weil „wir die Strategiedebatte unter uns führen wollen“. Öffentlich über die auf dem Landesparteitag beschlossene Blockadestrategie zu reden, traut sich bei den Grünen kaum jemand. Auch Realos wie Joschka Fischer nicht.
Dabei besteht für Fischer in Teilen von Nordrhein-Westfalen sogar ein Auftrittsverbot. So hat der Kreisvorstand der Grünen in Bochum, der den Bruch der Koalition fordert, Fischer nach der Bosnien- Entscheidung im Bundestag ultimativ aufgefordert, „in Zukunft in Bochum und Wattenscheid nicht für die Grünen in Erscheinung zu treten“. Das Maß an „Toleranz“, das aus solchen Drohgebärden spricht, ist nicht gerade untypisch für die Geistesverfassung eines erheblichen Teils der Grünen in Nordrhein-Westfalen.
Nicht zuletzt dieser linke Konformitätsdruck ist dafür verantwortlich, daß sich die Partei im Streit mit der SPD in eine auswegslose Situation manövrieren ließ. Bisher fand nur der Landtagsabgeordnete Siggi Martsch, einst ein Kandidat der Parteilinken, den Mut, Klartext zu reden: Für die „törichte Festlegung“, den Haushalt bis zum Kippen des Dortmunder Projekts zu blockieren, seien die „linken Hardliner“ verantwortlich. Nach dem klaren Nein der SPD sei der Fraktion nur noch die Entscheidung zwischen „kompletten Rückzug“ oder Bruch der Koalition geblieben, so Martsch.
Tatsächlich gab es niemanden in der 24köpfigen Landtagsfraktion, der wegen des Konflikts um den Flughafen die Koalition platzen lassen wollte. „Es war ein Pokerspiel“, räumt ein Landtagsabgeordneter ein, „und wir hatten die schlechteren Nerven.“ Man habe „auch nicht mit dieser Härte auf Seiten der SPD gerechnet“. Bei vielen Parteimitgliedern gelten die Fraktionäre nun als Umfaller. „Die Landtagsfraktion ist uns in den Rücken gefallen“, schimpft die Sprecherin des Dortmunder Kreisverbandes, Sabine Nonnenmacher. Die Dortmunder Grünen würden „jetzt alles tun“, so Jürgen Mohr, Sprecher der Ratsfraktion, um beim Landesparteitag einen Beschluß zu ereichen, „der darauf hinausläuft, daß die Fraktion zurückgepfiffen wird“.
Für die grünen Kreisverbände aus Dortmund, Bochum und zahlreiche Mitglieder aus dem Revier und dem Großraum Köln „ist die Schmerzgrenze erreicht“. Sie wollen die Koalition beenden, denn, so Mohr, „mittel- oder langfristig gehen die Grünen in diesem Bündnis den Bach runter. Was bleibt denn übrig von unseren Vorstellungen und Zielen?“
Nun, nicht nur Peter Eichenseher sieht in dem jetzt zur Abstimmung anstehenden Haushalt „eine erfreulich positive Umsetzung des Koalitionsvertrages“. Auch im Verkehrsbereich sei der Haushalt „sehr viel grüner“, als er sich habe träumen lassen. Auch aus der Dortmunder Region kommen solche Töne. Etwa von Ulrike und Friedrich Ostendorff, die 15 Kilometer vom Flughafen entfernt ihren Bauernhof „ökologisch und artgerecht“ betreiben. Auch sie kämpften gegen den Flughafenausbau, schreiben die beiden, „aber wir können trotzdem nicht verstehen, daß er die entscheidende politische Frage über den Fortbestand der rot-grünen Koalition sein soll“. Als „agrarpolitisch tätige Menschen“ erlebten sie, welchen „Erdrutsch auf dem Lande“ die Übernahme des Umwelt- und Landwirtschaftsministeriums durch Höhn gebracht habe: „Wohl kein Ereignis in der 50jährigen Geschichte von NRW zuvor hat so viel Bewegung in die verkrusteten Strukturen auf dem Land gebracht“.
„Mit Schrecken“ verfolgt dagegen Mathias Gößling aus Münster, wie die grüne Landtagsfraktion „immer mehr existentielle Positionen opfert, um sich an der Regierung beteiligen zu können“. Wenn die „sinnlose“ Energie- und Verkehrspolitik weitergeführt werde, wolle er wenigstens sagen können: „Ich habe die Regierung nicht gewählt.“ Auch Ferdinand Rüwe aus Köln schreibt der Fraktion ins Stammbuch, daß die Koalition jetzt „aufgekündigt gehört“, weil sonst „unsere Identität und die Glaubwürdigkeit“ verloren gehe. Für Höhn wie für Vesper steht die Koalition „jetzt ernsthaft auf dem Prüfstand“. Der Streit um den Flughafen sei zwar „verloren“, aber bei den anderen umstrittenen Verkehrsprojekten sieht sie noch Chancen. Ihre Parole: „Jetzt kühlen Kopf bewahren und nichts übers Knie brechen.“ Walter Jacobs, Düsseldorf
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