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Flammefatale

Rauchen auf der Champs-Élysées – bald ist das nur noch schwarz-weiße Filmgeschichte Foto: Collection Christophel/afp

Er schaut ihr in die Augen. „Es ist idiotisch, aber ich liebe dich“, sagt Jean-Paul Belmondo in der hier abgebildeten Szene zu Jean Seberg. Anschließend zündet er sich mit einer fast aufgerauchten Zigarette eine neue an und die beiden schlendern über die Champs-Élysées. Die vielleicht schönste Szene aus Jean-Luc Godards „Außer Atem“ aus dem Jahr 1960. Neben Seberg und Belmondo spielt die Zigarette in seinem Film eine weitere Hauptrolle. Denn hier wird gequalmt, als gäbe es kein Morgen mehr. Was ja auch irgendwie stimmt: Sie verrät ihn an die Polizei, er wird erschossen.

Belmondo, Haare wie hingeworfen, Krawatte nachlässig geknotet. Jean Seberg in diesem „New York Herald Tribune“-T-Shirt, lässig und stolz zugleich. Die Zigarette im Mundwinkel und Paris im Hintergrund – solche Szenen wird es wohl nie wieder geben, obwohl bei den Filmfestspielen in Cannes Richard Linklaters Film über die Dreharbeiten zu „Außer Atem“ gefeiert wurde. Am 1. Juli nämlich tritt in Frankreich ein umfassendes Rauchverbot im Freien in Kraft. Betroffen sind Parks, Strände, Wälder, selbst öffentliche Plätze. Es ist, da kann es natürlich keine zwei Meinungen geben, ein Fortschritt, gut für die Gesundheit, gut für die Umwelt. Aber trotzdem: Ein kleiner Schmerz wird bleiben.

Rauchen war ja nie nur Laster, sondern auch Pose, vor allem in Frankreich. Eine kulturelle Geste. Eine Requisite der Coolness. Wer das nicht glaubt, möge sich bitte noch einmal ganz genau das Foto anschauen. Man riecht förmlich den Gauloises-Qualm, gemischt mit einer Prise Existenzialismus und der ungebügelten Romantik der frühen Sechziger.

Rauchen war ein Zeichen der Haltung. Man hielt inne, man zündete sich eine an und schaute in die Luft, als finde man dort oben die Antwort auf alles. In den Filmen der Nouvelle Vague war die Zigarette eine Art Satzzeichen: ein Gedankenstrich zwischen zwei Küssen, ein Ausrufezeichen am Ende eines Blicks. Selbst das Schweigen war Dialog, wenn währenddessen geraucht wurde.

Natürlich ist das schon längst Qualm von gestern. Heute stehen Raucher an Bahnhöfen in quadratisch markierten Flächen wie vergessene Statisten eines historischen Films. Sie gelten gemeinhin eher als bemitleidenswerte Halbsüchtige, die noch nie etwas von Achtsamkeit, Self-Care oder Lungenkrebs gehört haben. Und doch, machen wir uns da mal nix vor, haftet der Zigarette noch immer eine merkwürdige Würde an. Sie ist die letzte Geste der Unvernunft in einer überregulierten Welt. Ein Wagnis, das niemand bewundert. Wer heute raucht, hat entweder die Kontrolle über sein Leben verloren – oder einen Rest Stilempfinden behalten.

Dass all das verschwindet, ist ein kultureller Einschnitt. Niemand will zurück zur qualmenden Métro, zum verrauchten Restaurant. Aber man darf dennoch bedauern, was dabei verloren geht. Die Zigarette war ein Widerspruch in der Hand, Lebensverneinung mit Haltung. Ein Requisit der Melancholiker, der Flaneure, der Suchenden. Wer rauchte, war nicht sofort verfügbar. Er war beschäftigt mit Nichts. Matthias Kalle

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