Flächendeckender Mindestlohn: Union fürchtet "Dammbruch"
Ein Mindestlohn für alle - davon träumt die SPD nach der Einigung in der Postbranche. Die Union will das mit aller Macht blockieren, Wirtschaftsminister Glos warnt vor einem Irrweg.
BERLIN dpa Nach der Zustimmung des Bundestages zum umstrittenen Post-Mindestlohn warnt Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) die Union eindringlich vor einer ähnlichen Entwicklung in anderen Branchen. "Nach dem Post-Mindestlohn ist der nächste Dammbruch bei der Zeitarbeit zu befürchten", schrieb er in einem Brief an die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion, über den die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtet. Sollte die Deregulierung der Zeitarbeit wieder rückgängig gemacht werden, "droht der Verlust vieler Arbeitsplätze".
Es sei richtig, Menschen vor einer möglichen Ausnutzung in Notsituationen zu schützen, schrieb Glos. Beim Post-Mindestlohn sei aber "mit unredlichen Argumenten ein Problem konstruiert" worden, um eine wirtschaftspolitisch richtige Reform, die Liberalisierung des Postmarktes, zurückzudrehen. Die offensichtlich zu hoch angesetzten Mindestlöhne machten Arbeitsplätze unrentabel und führten zu Arbeitsplatzabbau - gerade bei Geringqualifizierten. Bei der Zeitarbeit drohe "eine ähnliche Rolle rückwärts". Deshalb müsse eine "Brandmauer gegen weitere arbeitsplatzgefährdende Maßnahmen" her.
Wie Glos lehnte auch Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) allgemeine gesetzliche Mindestlöhne strikt ab. "Es kann keinen gesetzlichen Mindestlohn geben. Die Lohnfindung ist Aufgabe der Tarifpartner", sagte Kauder am Sonntag.
Der Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), Dieter Hundt, wies den jüngsten Vorstoß von Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD), das Entsendegesetz auszudehnen, scharf zurück. "Der Arbeitsminister befindet sich auf einem gefährlichen Irrweg", sagte Hundt. "Branchenbezogene gesetzliche Löhne werden wie bei der Post auch in anderen Branchen dazu führen, dass viele ihren Arbeitsplatz verlieren. Herr Scholz, lassen Sie die Finger von dieser arbeitsplatzvernichtenden Politik", sagte Hundt.
Der Wirtschaftsweise Bert Rürup sprach sich in der "Märkischen Oderzeitung" dagegen für einen flächendeckenden Mindestlohn von etwa 4,50 Euro pro Stunde aus. Damit wären "definitiv keine relevanten Beschäftigungsverluste verbunden". Ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn für alle Branchen solle "als letztes Netz dienen, weil es immer Bereiche gibt, in denen es keine Tarifverträge gibt". Dieser Mindestlohn müsse von einem Kombilohn begleitet werden, bei dem der Staat einen Teil des Lohnes zahlt, sagte der Vorsitzende des Rates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Unterdessen stellte der Chef und Minderheitsgesellschafter des angeschlagenen Briefzustellers Pin Group, Günter Thiel, dem Axel- Springer-Verlag als Haupteigentümer ein Ultimatum. "Wir brauchen bei Pin bis Weihnachten einen Geldeingang", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". Zwischen einer Einigung und einer Überweisung müssten ein paar Dinge organisiert werden. "Spätestens Dienstagmorgen wird man deshalb weißen oder schwarzen Rauch aufsteigen sehen." Am Dienstag tagt der Pin-Verwaltungsrat.
Thiel ist bis dahin bereit, Springers 63,7 Prozent-Anteil an Pin zum symbolischen Preis von einem Euro zu übernehmen und den Post- Konkurrenten fortzuführen. Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner lehnte dies ab.
Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, Ludwig Stiegler, warnte Thiel vor einem Unterlaufen des Mindestlohnes für Briefdienstleister. "Der Bundestag wird sich von einem Unternehmer, der mit Dumpinglöhnen Wettbewerb betreiben will, nicht auf der Nase herumtanzen lassen." Stiegler reagierte damit auf einen Bericht, dem zufolge Pin den Mindestlohn mit Hilfe von Zeitungsboten umgehen will. Pin-Vorstandschef Thiel sehe den "flächendeckenden Einsatz von tausenden Zeitungsausträgern" vor.
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