Fitness-Initiative „Let’s Move“: Kampf dem Fett
Michelle Obamas Fitness-Initiative „Let’s Move“ bewegt Amerika. Ganz nebenbei stigmatisiert sie auch arme Afroamerikaner.
Michelle Obama rückt dem Fett zu Leibe. „Let’s Move“ heißt ihr Programm, das sie in die zweite Amtszeit als First Lady mitgenommen hat und das die Fettleibigkeit unter amerikanischen Kindern bekämpft. Dabei geht sie selbst mit bestem Beispiel voran und präsentiert sich hüpfend, tanzend und schwitzend.
Neben mehr Bewegung ist bessere Ernährung die zweite Säule ihrer Initiative: Gärtnernd und Gemüse zubereitend gibt sich Obama als Vorbild. In ihrem Buch „American Grown“ beschreibt sie die Reanimation des Nutzgartens im Weißen Haus.
Obamas Anliegen wird weithin geteilt. Auch wenn der Body-Mass-Index (BMI) als strenge Richtschnur in die Kritik geraten ist und man heute davon ausgeht, dass ein wenig Körperfülle der Lebenserwartung zuträglich ist, werden die Zahlen von den meisten Beobachtern doch als alarmierend eingestuft: Ein Drittel der amerikanischen Erwachsenen und fast ein Fünftel der Kinder gilt als adipös. Die Rate fettleibiger Kinder hat sich im Laufe der letzten Generation verdreifacht.
Doch „Let’s Move“ wird auch kritisiert, und das am lautesten von Republikanern, die das Programm als bevormundenden Staatsinterventionismus geißeln. Allerdings lässt sich der Kampf gegen Bevormundung und „pro choice“ nicht so einfach politischen Lagern zuordnen, ist er doch an grundlegende amerikanische Freiheitsvorstellungen gekoppelt. Der Versuch des New Yorker Bürgermeisters Michael Bloomberg, den Verkauf von Zuckerdrinks mit mehr als 473 Millilitern Inhalt zu verbieten, ist jüngst gerichtlich gestoppt worden, weil dies die Wahlfreiheit einschränke.
Gesunde Wahl als naheliegende Wahl
Natürlich ist sich Michelle Obama der amerikanischen Obsession mit „choices“ voll und ganz bewusst, und sie versucht den Eindruck zu vermeiden, „Let’s Move“ wolle den Bürgerinnen und Bürgern vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen, zu essen und zu meiden hätten. Man dürfe den Menschen nicht die Wahlmöglichkeiten nehmen, betont sie, aber man müsse deren Denken, den Informationsfluss und damit die Bedingungen des Wählens so verändern, dass „die gesunde Wahl zur naheliegenden Wahl werde“.
Obamas Programm folgt damit einem leitenden Prinzip des Liberalismus, das fest in der amerikanischen Geschichte verankert ist: Nicht über Zwang soll regiert werden, sondern über Freiheit und die Anleitung zu deren „richtigem“ Gebrauch. Seit der Unabhängigkeit 1776 wird das Recht auf Freiheit, auf Wahl und auf „das Streben nach Glück“ in den USA wie ein Mantra wiederholt. Doch beileibe nicht alle Menschen konnten und können an den amerikanischen Freiheiten in gleichem Maße teilhaben.
So hieß es etwa von Afroamerikanern, sie seien gar nicht in der Lage, ihre Freiheiten zu nutzen, und bedürften daher der Bevormundung und Kontrolle. Die Sklaverei wurde als Form von Patronage verbrämt, und in den Bürgerrechtsbewegungen seit dem 19. Jahrhundert gab es auch afroamerikanische Stimmen, die betonten, man müsse erst behutsam lernen, mit Freiheit umgehen zu können, bevor man Ansprüche stelle.
Massenphänomen Adipositas
Die Facetten des Freiheitsdiskurses hallen auch in den Debatten um Fettleibigkeit wider. Denn der dicke Körper erscheint als Zeichen der Unfähigkeit, die gesunde und richtige Wahl zu treffen, mit der eigenen Freiheit umgehen und den Anforderungen einer liberalen Gesellschaft zu genügen. Als Massenphänomen schürt Adipositas sogar die Furcht vor einer Krise des Prinzips liberalen Regierens als solchem und dem Scheitern der USA.
Nun ist es aber nicht so, als wären alle Amerikaner dick. Man braucht nur im armen Baltimore in den Zug zu steigen und eine halbe Stunde später in Washington auf den durch und durch gentrifizierten Capitol Hill zu schlendern. Dort ist man von schlanken, trainierten Körpern umgeben, wie sie heutzutage begehrter denn je sind, weil sie als Zeichen eines erfolgreichen Selbst gelten. Lebensumfeld, Bildung und Job – also alles, was man in den USA unter „class“ zusammenfasst – beeinflussen das Körperformat.
Fettleibigkeit geht oft mit Armut einher, und nach wie vor ist Armut in den USA schwarz – nicht immer und nicht ausschließlich, aber doch tendenziell. Statistisch sind Afroamerikaner und auch Hispanics deutlich eher adipös als Euroamerikaner, und auch Michelle Obama verweist immer wieder darauf, dass schwarze Kinder häufiger dick seien. Es hat also einen zumindest leicht faden Beigeschmack, wenn Obama zum gemeinsamen „Move“ bittet: Schließlich wird wieder besonders denjenigen Anleitung zur Selbstführung angetragen, die im Laufe der US-Geschichte als unfähig zur Freiheit markiert wurden.
Faible für fettiges „Soul Food“
Kritik in diese Richtung klingt allerdings nur verhalten an. So fragt etwa die Ernährungsexpertin Harriet Brown, ob es in einer Gesellschaft mit einem solchen Körperkult (den Michelle Obama mit ihren Oberarmen durchaus nährt) nicht besser wäre, das Selbstbewusstsein und die Akzeptanz von dicken Kindern zu befördern, anstatt ihnen andauernd vorzuhalten, sie sollten lernen, eine bessere Wahl zu treffen und sich besser ernähren und sich mehr bewegen. Mit Susan Sontag ließe sich sagen, dass Dicksein als Metapher eigenen Versagens firmiert.
Wie schwierig und verschachtelt das Verhältnis von Essen, „race“ und „class“ ist, zeigt auch ein Blick in eine etwas andere Richtung: Angeblich gab das Essverhalten der Obama-Töchter den Anstoß zu „Let’s Move“, und Ehemann Barack gibt sich immer wieder als Freund des „Soul Food“ zu erkennen. Als einfache Küche armer Leute, die auf afrikanische Traditionen und die Sklaverei zurückgeht, wurde „Soul Food“ ab den 1960er Jahren zu einem Motor schwarzer Identifikation.
Der Black Panther Eldridge Cleaver allerdings spottete, es sei vor allem die schwarze Bourgeoisie, die ihr Faible für fettiges „Soul Food“ vorführe. Die Menschen im Ghetto wollten lieber Steaks statt Innereien essen. Es passt zu Cleavers Machismo, dass er meinte, Hunger auf Steaks würde die Revolution vorantreiben. Michelle Obama hingegen entwirft „Soul Food“-Rezepte mit gesünderen Zutaten und weniger Fett.
Um nicht missverstanden zu werden: „Let’s Move“ und die Debatte um Dicksein und Fitness kritisch zu kommentieren, heißt nicht, gegen Gesundheit zu sein. Zugleich aber hallt in jeder Aufforderung zu einer gesünderen Lebensführung der Vorwurf der Faulheit, der Unfähigkeit und des Versagens mit. In einer Gesellschaft, die um Freiheit und die Fähigkeit zur Selbstoptimierung kreist, ist dies äußerst wirkmächtig – zumal er in Geschichte und Gegenwart insbesondere an Afroamerikaner, Arme und Frauen gerichtet war und als Argument für ihre politische Ausgrenzung diente.
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