Firmen recyclen Schrottcomputer: Unschätzbare Werte
Rund um Berlin holen Recyclingfirmen mit viel Aufwand aus alten PCs seltene Rohstoffe - ein gutes Geschäft. Ob die Rechner noch funktionieren, interessiert niemanden. Dabei gibt es viele Menschen, die einen alten Computer gut gebrauchen könnten
Bernd Häußler steigt aus seinem Auto, macht den Kofferraum auf und wuchtet einen alten PC heraus. "Voll funktionsfähig", sagt der 52-Jährige und stellt das Gerät sorgfältig in einen Container auf dem BSR-Hof in der Neuköllner Gradestraße. Ab sofort ist der Computer Schrott. Aus dem nun beginnenden Recyclingkreislauf gibt es keinen Ausweg. Der Wert des PC wird künftig nur noch von den Metallen bestimmt, die darin enthalten sind. Dabei war doch eigentlich alles in Ordnung damit. "Aber da ich jetzt einen Laptop besitze, hab ich dafür keine Verwendung mehr, und das alte Teil braucht doch auch keiner", sagt Häußler.
Das "alte Teil" ist von 2006. Und es gäbe sicher noch jemand, der etwas mit dem funktionierenden Rechner anfangen könnte. Muharrem Batman vom ReUse-Computer Verein, der sich für die Wiederaufarbeitung und Weiterverwendung alter PCs einsetzt, sieht hier eine brutale Verschwendung am Werk: "Meistens tun es doch die alten Rechner genauso. Damit kann man auch ins Internet, Filme schauen, Texte schreiben." Die 18-jährige Janin aus Hellersdorf etwa könnte einen solchen Rechner gut gebrauchen, um die Referate für ihren nachgeholten Hauptschulabschluss vorzubereiten und, zugegeben, mit ihrer Freundin in Süddeutschland zu chatten.
Mit einem Kellerraum allein kommt er nicht mehr aus: Thomas Bayee braucht mittlerweile zwei, und keinen davon kann er mehr als einen Schritt weit betreten - denn ohne jeden Zwischenraum stapeln sich dort Kisten und Kartons bis unter die Decke. Im Keller unter seiner Wohnung sammelt der Weddinger Computer, Drucker, Bildschirme und was ihm Spender sonst noch zur Verfügung stellen. Die Geräte schickt der 36-Jährige nach Kamerun: Von dort kam er selbst vor neun Jahren nach Berlin.
Bayee zeigt Fotos von seiner letzten Reise: Computer für Schulen und Unis brachte er dabei im vergangenen Sommer in sein afrikanisches Heimatland mit. Die Bilder zeigen Kinder in blau-weißen Schuluniformen, die Lieder für den Gast aus Deutschland singen. Und Bayee würde gern noch viel mehr tun für das Land an der afrikanischen Westküste, das 35 Jahre lang deutsche Kolonie war. Von einer langen Liste liest er vor, welche Probleme er notiert hat, bei deren Lösung Kamerun dringend Hilfe braucht: "Alphabetisierung, Wasserversorgung, Umweltschutz, das Gesundheitswesen, Schulen" - Bayees Aufzählung klingt wie das Zehnjahresprogramm einer ambitionierten Regierung.
Dass er das nicht alles angehen kann, macht ihm sichtlich zu schaffen. Dabei hat Bayee schon mit seinen Computerspenden eine Menge eigene Probleme. Das Sammeln gebrauchter Hardware ist zwar nicht schwer. Schulen, Privatleute, manche Betriebe stellen ihm gern ausgemusterte Computer zur Verfügung. Die aber nach Kamerun zu bringen, das kostet dann eine ganze Menge Geld. Bayee bezieht Hartz IV. Die Schulden von mehreren tausend Euro, die er mit seiner letzten Reise gemacht hat, zahlt er geduldig in zweistelligen Beträgen ab.
Dabei hätten ihm, erzählt der engagierte junge Mann traurig, Verwandte in Kamerun schon Vorwürfe gemacht: "Sie können nicht verstehen, dass ich die Computer bringe und verschenke. Sie meinen, ich könnte doch Geld dafür nehmen", erzählt er.
Doch genau das will er nicht. Stattdessen versucht Bayee zusammen mit dem von ihm gegründeten Remix-Club mit der Organisation von Partys und "Dance Competitions", wie zuletzt Anfang Juli im Speicher, Geld zu verdienen, um seine Hilfstransporte zu finanzieren. Eigene Räume, die der Club einst hatte, kann er längst nicht mehr bezahlen. Und öffentliche Förderung für seine Engagement bekommt Bayee nicht.
Doch Bayee bleibt optimistisch: Zurzeit macht er eine Ausbildung zum Kindergartenhelfer. Dann, so hofft er, wird er einen Arbeitsplatz finden, der ihm hilft, sein Engagement weiter zu finanzieren. Für sich selbst wünscht er sich: "Eigentlich weiter nichts." ALKE WIERTH
Aber der Rechner ist jetzt Schrott. Wer es schafft, das Gerät in die Elemente zu zerlegen, aus denen es besteht, kann aus wertlosem Müll Gold machen. Im wahrsten Sinne des Wortes. "Da ist ja alles drin in so einem PC: Gold, Silber, Kupfer, Palladium, Innium, das ganze Periodensystem", sagt Norbert Storch, Betriebsleiter des Zerlegebetriebs Bral in Hohenschönhausen. Hier kommt aller Elektroschrott an, den die BSR sammelt, allein zirka 900 Tonnen PC und Zubehör im Jahr 2009. Von der zentralen Sammelstelle auf dem Bral-Hof aus werden die Geräte zur Weiterbehandlung quer durch die Republik geschickt, nur ein Teil wird direkt hier zerlegt.
In den Containern, aus denen Norbert Storch und seine Leute die Edelmetalle holen wollen, liegen bunt gemischt Radios, Bildschirme, eine Kettensäge, ein elektrisch betriebenes Bobby-Car - und stapelweise Rechner. "Die meisten PCs, die hierherkommen, sind gerade einmal drei bis vier Jahre alt", sagt Storch. Trotzdem: Geprüft, ob sie vielleicht weiterverwendet werden könnten, werden die Geräte auch hier nicht. Stattdessen schrauben Mitarbeiter an 38 Tischen die Computer auseinander. Auf rollbaren Gitterwagen landet die Ausbeute: Kabel, Platinen, Gehäuse. Sie werden von der Firma Bral verkauft, um an anderer Stelle in einzelne Elemente und Verbindungen zerteilt zu werden. Je trennschärfer die Rohstoffe vorhanden sind, desto höher ist der Erlös.
Eigentlich sind für die Entsorgung von Elektrogeräten die Hersteller zuständig. Zahlen müssen diese aber nur für das Recycling der Bildschirme. Deren Hauptbestandteil - Glas - hat aber kaum Wert, zudem ist oft giftiges Quecksilber enthalten. Auch Laptops lassen sich kaum zu Geld machen, "weil sie viel schwerer zu zerlegen sind", sagt Storch. Aber solche Geräte werden bei der BSR auch kaum abgegeben. Dietmar Hinz, der Leiter des BSR-Hofes in der Gradestraße, vermutet: "Vielleicht liegt das an der Bequemlichkeit der Leute: Das Notebook passt ja auch in den Hausmüll."
Der saubere Weg des PC-Recyclings führt die einzelnen Computerkomponenten in verschiedene Veredelungsanlagen, auch im Umland von Berlin. Die Kabel gehen beispielsweise zu Kabel-Metall-Recycling in Liebenwerda. Auf dem Hof der Firma, in einer Mondlandschaft aus Kabelsalat, liegt ein Berg aus PVC-Granulat: die zerschredderten Überbleibsel der Kabelhüllen. Der Berg wird gerade in einen Container gepresst zur Verschiffung nach China. Dort verwendet man das Granulat wieder, in Liebenwerda ist man froh, es ohne Unkosten loszuwerden.
Betriebsleiter Peter Schmidt geht es um etwas anderes. Im Inneren einer verwitterten Fabrikhalle rinnt, nachdem die Kabel geschreddert und durch Rütteln in ihre Bestandteile zerlegt worden sind, ein Strom aus Kupfer wie Sand von einem Förderband in eine tonnenschwere Rollbox. Schmidt hält seine Hand unter den glitzernden Wasserfall. "Das ist wie Gold", sagt er. Der Weltmarktpreis für sein goldglänzendes Kupfer liegt bei 4.800 Euro pro Tonne.
Und es gibt in den Schrott-PCs auch tatsächlich echtes Gold zu holen: in den Platinen. Die grünen Leiterplatten enthalten etwa 200 Gramm pro Tonne. "All die Kontakte, die da glänzen, sind mit Gold überzogen" sagt Marcus Meyer von der Firma Environplasma. Vor dem Gelände seines Unternehmens in Friedland, 130 Kilometer westlich von Berlin, liegt ein idyllischer See. Das ist Vorschrift - als Löschwasser für den Notfall. Denn im firmeneigenen Hochofen werden die Platinen bei knapp 1.400 Grad zu einer Mischung aus flüssigem Metall und Schlacke zerkocht. Die Energie zur Befeuerung der 1,3 Tonnen Material, die pro Stunde von oben in den Ofen gekippt werden, steckt in den brennbaren Bestandteilen der Platinen. Bei Volllastbetrieb trägt sich die Anlage energetisch selbst.
Alle 20 Minuten wird der Hochofen angebohrt. Feuerrot und glühend weiß fliegen die Funken, alle im Raum tragen metallisch glänzende Schutzkleidung. Aus dem Bohrloch fließt, glühend heiß wie Lava, eine Mischung der Metalle aus den Platinen. Sie läuft in einen Behälter, ein erfahrener Hochöfner lenkt den Strahl ab, sobald er davon ausgeht, dass nur noch Schlacke kommt. Dann wird der Behälter mit dem Fassungsvermögen eines Putzeimers in die Höhe gehoben und auf eine Platte in ein Wasserbad gegossen. Zischend zerperlt das flüssige Metall. Es entsteht ein Granulat unterschiedlichster Form, vom Staub bis zum Figürchen, fast wie beim Bleigießen. Darin enthalten sind Silber, Kupfer, Gold, Palladium und weitere seltene Rohstoffe in kleinen Mengen. Die Mischung wird für bis zu 25.000 Euro die Tonne an Händler verkauft, die das Material lagern und bei günstigen Preisen an den Rohstoffbörsen an große Schmelzwerke verkaufen, die daraus Barren reinen Kupfers, Goldes und so weiter gewinnen. Die nichtmetallischen Teile enden als verglaste Schlacke im Straßenbau.
Auch die Computergehäuse landen oft in Friedland. Gemeinsam mit allen möglichen anderen Haushaltskleingeräten werden sie in einer automatisierten Verarbeitungskette geschreddert und durch Magnetismus, Wirbelstrom und Ausblasleiste in ihre Bestandteile getrennt. Eine Infrarotkennung sortiert die Plastikteile nach Farbe. Sie werden eingeschmolzen und wiederverwendet. Das Metall läuft über ein Förderband direkt aus der Halle auf die Ladefläche des Lkws eines Eisenhändlers, der es für 170 Euro die Tonne abnimmt.
Die reinen Rohstoffe stehen somit bereit, um als PC wiederaufzuerstehen. Abfall gibt es nicht, letztlich hat jeder Stoff einen Wert, und sei es der Brennwert. Eine schöne Idee. Doch der Energieaufwand für die ganze Zerlegerei, großteils in Handarbeit, ist unermesslich. Und die Produktion eines neuen PC mit Monitor verbraucht rund 2.790 Kilowattstunden Energie und setzt zirka 850 Kilogramm Treibhausgase frei. Für denselben PC mit Monitor werden zudem 1.500 Liter Wasser und 23 Kilogramm verschiedener Chemikalien benötigt, so das Umweltbundesamt. Unter dem Motto "Wussten Sie, dass Ihr Laptop in Wahrheit 900 Kilo wiegt?" hat die Behörde auf der Cebit dessen ökologischen Rucksack aufgebaut. "Der Platz hat nicht gereicht für die vielen Wasserflaschen, und einen Ballon für 600 Kilo CO2 konnten wir auch nicht auftreiben", erklärt Mitarbeiterin Maike Janßsen die Ausmaße.
Die ökologischere Lösung für den alten PC: weiternutzen oder verschenken, an eine soziale Einrichtung zum Beispiel. Im PC-Raum der Arche Hellersdorf, einer Sozialhilfeeinrichtung für arme Kinder und Jugendliche, freut man sich über gebrauchsfähige Rechner. Beaufsichtigt dürfen die Kids hier spielen, Hausaufgaben machen und E-Mails schreiben. Wer sich ordentlich anstellt und nicht permanent auf Porno- oder Gewaltrapper-Seiten surft, darf sich um einen eigenen Rechner bewerben. Helfen die Aspiranten dann eine Weile kontinuierlich in ihrem Jugendtreff beim Spülen oder Einkaufen, dürfen sie den Rechner behalten. Die 18-jährige Janin ist eine der BewerberInnen.
Batman vom ReUse-Computer Verein hat in seinem Gebraucht-Computerladen in Neukölln unzählige PCs, die Janins Bedürfnisse völlig erfüllen. Normalerweise verkauft Batman die aufbereiteten Geräte für kleines Geld weiter, für Janin macht er eine Ausnahme.
Hätte Bernd Häußler vorher von dieser Möglichkeit gewusst, hätte er seinen Rechner "natürlich lieber weitergegeben". Aber jetzt ist nichts mehr zu machen. Was einmal im Container steht, ist Schrott.
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