Firmen bieten Gesundheitsberatung an: Anonyme Beratung für Gestresste
Gestresst, überfordert, Burnout: Fehltage wegen psychischer Erkrankungen steigen. Betriebe greifen zunehmend auf externe Mitarbeiterberatung zurück.
BERLIN taz | Psychische Erkrankungen nehmen in den Betrieben zu. Immer mehr Firmen bedienen sich daher externer Dienstleister, die gestressten Mitarbeitern eine anonyme Beratung anbieten. „Die Nachfrage nach diesen Programmen steigt“, sagte Norbert Breutmann, Gesundheitsexperte bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, am Mittwoch in Berlin.
Breutmann sprach anlässlich der Präsentation einer Studie der Bundespsychotherapeutenkammer. Nach deren Auswertungen hat sich die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage wegen psychischer Erkrankungen seit dem Jahre 2000 fast verdoppelt. Im Durchschnitt fehlen die Betroffenen 30 Tage im Betrieb, das bedeutet massive Produktionsausfälle. „Wir haben gesehen, dass immer mehr Unternehmen in dieser Fragestellung Hilfe brauchen“, meinte Breutmann.
„Employee Assistance Programm“ (EAP) heißt das relativ junge Feld der externen Mitarbeiterberatung. Dabei schließt ein Betrieb mit einem dieser Consultingunternehmen einen Vertrag ab. Fortan können sich gestresste Mitarbeiter, die mit ihrem Chef, den Kollegen, den Jobanforderungen oder auch privat nicht mehr klarkommen, telefonisch oder per E-Mail bei den externen Helfern melden oder zum Gespräch vorbeischauen – streng vertraulich natürlich. Der Arbeitgeber, der das Beratungsunternehmen angeheuert hat, erfährt keine Namen und Details über die Hilfesuchenden.
„Die Vertraulichkeit ist das Allerwichtigste“, sagt Deborah Kunz, Beraterin beim Frankfurter EAP-Anbieter „Insite Interventions“. Ihre Firma beschäftigt eine Reihe therapeutisch weitergebildeter Psychologen und Ärzte, die mit den Hilfesuchenden bis zu fünf Beratungsgespräche führen. „Wir arbeiten lösungsorientiert“, schildert Kunz. Oft reicht es aus, etwa im Konflikt mit Vorgesetzten oder Kollegen neue Sichtweisen zu eröffnen oder den Gestressten Vorschläge zu machen, wie sie mit ihren Belastungen besser umgehen können.
Schnelle Vermittlung an Therapeuten
Wenn sich allerdings eine psychische Erkrankung zeigt, dann vermitteln die Berater an niedergelassene Psychotherapeuten oder Kliniken, mit denen sie vernetzt sind – ohne lange Wartezeiten. Das einfachste Angebot der EAP-Berater sei dieser „privilegierte Zugang zur Psychotherapie“, berichtet Breutmann.
Immerhin 4 Prozent der Belegschaften der von „Insite Interventions“ betreuten Firmen nehmen die EAP-Dienstleistung in Anspruch, sagt Kunz.
Die Bundespsychotherapeutenkammer hat eine „Checkliste“ für seriöse EAP-Anbieter entwickelt. Danach soll die externe Mitarbeiterberatung im Bedarfsfall in der Lage sein, den Hilfesuchenden innerhalb von drei Wochen Zugänge zu „qualifizierter Diagnostik“ zu ermöglichen. Auf 26 Milliarden Euro jährlich schätzt die Bundesregierung die Kosten der Produktionsausfälle, die durch psychische Erkrankungen verursacht werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind