Finnlands Grüne und die Nuklearlobby: "Dann ist das Gespräch beendet"
Finnland baut das erste AKW Europas seit Tschernobyl. Die dortige Atomlobby wirbt freundlich für Klimaschutz. Der finnische Grüne Oras Tynkkynen über finnische Ignoranz und deutsche Kohlekraftwerke.
taz: Herr Tynkkynen, Deutschland gibt sich gerne als weltweiter Vorreiter im Klimaschutz - nervt oder überzeugt das Ihre Regierungskollegen?
ORAS TYNKKYNEN, 30, ist der Klimaschutzbeauftragte der finnischen Regierung und Politiker der finnischen Grünen. Derzeit reist er durch Deutschland, um sich mit Politikern und Umweltschützern über den Klimaschutz zu beraten. Der Energieverbrauch Finnlands ist einer der höchsten in Europa. Die finnische Regierung will bis Juni eine Klimastrategie verabschieden. Tynkkynen kämpft für den Ausbau der Ökoenergien.
Oras Tynkkynen: Die Deutschen setzen sich viele Ziele, um die Erwärmung zu stoppen. Und auch die Förderung der Ökoenergien ist einzigartig. Da gehören sie zu den Topländern.
Aber?
Wenn ich in Finnland die vielen Skeptiker vom Klimaschutz überzeugen will, nutze ich Deutschland oft als Beispiel - und sage "Die zeigen, dass es geht." Doch garantiert erwidert dann jemand: "Aber die Deutschen bauen umweltbelastende Kohlekraftwerke." Sie sehen: Berlin untergräbt seine klimapolitische Glaubwürdigkeit mit der Kohlepolitik.
Wie argumentieren Sie dann weiter?
Dann ist das Gespräch beendet.
Sie könnten übers Energiesparen weiterreden. Warum ist das für Finnen bislang kein großes Thema?
Wir haben eine sehr energieintensive Industrie - Papierfabriken, Zementwerke, Stahlhütten. Und die finnische Regierung hat sich bis Ende der 90er-Jahre nur das Ziel gesetzt, die Emissionen "nicht zu steigern". Mittlerweile sind wir allerdings ambitionierter. Und die EU verlangt, den Ausstoß der Treibhausgase um 16 Prozent zu mindern.
Derzeit stößt jeder Finne im Schnitt aber immer noch 16 Tonnen Kohlendioxid im Jahr aus - weltweit liegt das Land damit fast an der Spitze. Warum?
Für große Teile der finnischen Wirtschaft sind Energiekosten wichtiger als Lohnkosten. Ihre Belange haben lange Zeit die Debatte dominiert. So denken die meisten nur darüber nach, wie Strom billig bleibt - und nicht darüber, Emissionen zu mindern. Energiepolitik dreht sich in Finnland vor allem um den Ausbau der Atomenergie.
Mit den Grünen in der Regierung hat sich das aber auch nicht geändert?
Ich weiß, Finnland baut das fünfte Atomkraftwerk, es ist das erste, das seit 1986 in Europa neu installiert wird. Ein sechstes ist in der Diskussion. Die finnischen Konzerne Fortum und TVO, aber auch Eon aus Deutschland prüfen Standorte. Ich lebe damit auch nicht gut. Natürlich wollen die finnischen Grünen keine Atomenergie. Sie ist zu gefährlich und nicht nachhaltig. Aber wir haben nur 8 Prozent der Stimmen. In Europa befürworten nur wenige die Atomkraft so stark wie die Finnen.
Einst waren die finnischen AKW-Gegner noch in der Mehrheit. Was ist passiert?
Der Reaktorunfall im ukrainischen Tschernobyl 1986 hat die finnische Energiepolitik lange Zeit stark beeinflusst. 1986 war der Klimawandel noch kein Thema. Heute argumentiert die Atomenergie, ihre Kraftwerke stoppen die Erderwärmung - ohne Risiko. Viele Finnen glauben das. Und: Die Atomindustrie redet in der Politik viel mit.
Wie arbeitet die Lobby?
Ganz anders als früher. Es hat einen großen Wandel gegeben. Lange Zeit haben Männer mittleren Alters die Lobbyarbeit gemacht. Sie argumentierten sehr aggressiv und prophezeiten, ohne Atomkraft werde Finnland seine Wirtschaft ruinieren. Dann sprach sich das Parlament 1993 bei einer Abstimmung gegen ein neues Atomkraftwerk aus. Die Pronuklearlobby dachte um. Seitdem sind es meist sehr diplomatische Frauen, die für Atomkraftwerke in Finnland werben.
Was machen Frauen anders?
Atomkraft ist sicher, Atomkraft schützt das Klima, Atomkraft sichert die Zukunft ihrer Kinder - damit argumentieren sie. Und sie geben sich verständnisvoll gegenüber den Kritikern. Sie sagen, natürlich ist Windkraft gut, und wir brauchen sie auch. Sie loben regenerative Energien. Und dann fügen sie hinzu: Aber wir brauchen auch die Atomkraft, damit Finnland unabhängig bleibt
derzeit importiert Finnland gut die Hälfte seiner Energie
zum Beispiel aus veralteten Reaktoren in Russland. Und die will natürlich keiner unterstützen. Das ist ein weiterer Grund, warum langsam immer mehr Finnen die Atomenergie befürworten und für nötig halten.
Warum können die Atomkraftgegner denn nicht dagegenhalten?
Es ist paradox: In den 90er-Jahren hat die Nuklearlobby mit Jobs und der Wirtschaft argumentiert - die Grünen argumentierten mit dem Risiko der Atomkraft und den Umweltproblemen dagegen. Nun ist es umgekehrt. Die Grünen reden darüber, dass Windkraft Jobs schafft. Wir dachten, Wirtschaft wäre der entscheidende Faktor
wie die Grünen in Deutschland.
Aber nun halten uns viele nicht mehr für glaubwürdig. Sie meinen, wir kümmerten uns zu wenig um die Umwelt. Im Moment liegt die Arbeitslosenquote in Finnland nur noch bei 6 Prozent, das ist viel weniger als noch vor Jahren. Unsere Taktik war offenbar falsch.
INTERVIEW: HANNA GERSMANN
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