Finnischer Amoklauf jahrelang geplant: Mit Sprengstoff und legaler Waffe

In Finnland kommen drei legale Waffen auf zehn Bürger. Der Premier will das Waffengesetz verschärfen - doch schon nach dem letzten Massaker war trotz Versprechungen nichts passiert.

War der Polizei nicht Grund genug, die Waffe zu entziehen: Profil des Amokläufers auf YouTube. Bild: dpa

Nationaler Trauertag in Finnland: Seit 8 Uhr wehen alle Flaggen auf Halbmast. Im ganzen Land sind die Kirchen geöffnet. Elf Menschenleben kostete das Schulmassaker in Kauhajoki. Darunter das des Täters selbst, der wenige Stunden nach der Tat an seinen sich selbst zugefügten Kopfverletzungen im Krankenhaus starb.

Inzwischen wurde bekannt, dass der Amokläufer neben seiner halbautomatischen Pistole auch eine Tasche mit Sprengstoff in die Schule mitgebracht hatte. Das bestätigte die Polizei in Kauhajoki.

Der 22-Jährige soll nach offiziell nicht bestätigten Angaben der Zeitung Ilta-Sanomat gezielt Mitschüler erschossen haben, bevor er die Waffe gegen sich selbst richtete. Unter den Todesopfern war den Berichten zufolge auch ein Lehrer. Die Identifizierung der Toten gestaltete sich schwieriger als zunächst angenommen, weil einige Körper durch den späteren Brand entstellt wurden.

Wenig bekannt geworden ist bislang über den persönlichen Hintergrund des Matti Juhani Saari. Der Mann absolvierte eine zweijährige Ausbildung im Restaurant- und Tourismusfach der Berufsbildungsschule in Kauhajoki und wohnte in einem Apartment im dortigen Studentenwohnheim.

"Die Lösung ist die Walther"

Auf dem Rechner, den die Polizei in seinem Zimmer beschlagnahmte und in hinterlassenen Notizen soll es Hinweise geben, dass Saari eine solche Tat seit 2002 geplant haben soll. Darin soll von Hass auf die Menschheit die Rede sein und, so die Polizei, der Satz "Die Lösung ist die Walther" vorkommen. Saari hatte im August eine Waffenlizenz für eine Automatikpistole vom Typ Walther erhalten, mit der er auch die Tat verübte.

Der relativ einfache Zugang zu Waffen in Finnland, das nach den USA die höchste Waffendichte in der westlichen Welt hat, rückte nach der tragischen Tat schnell ins Zentrum der öffentlichen Debatte. Denn in Finnland kommen drei legale Waffen auf nur zehn Bürger.

Warum hat die Polizei die Waffe nicht beschlagnahmt?

Gefragt wird auch, warum die Polizei Saaris Waffe nicht beschlagnahmt hatte, obwohl es offenbar deutliche Verdachtsmomente gegen ihn gab. Am Donnerstag der vergangenen Woche hatte Saari zwei neue Videoclips auf seinen Youtube-Account "Wumpscut" – der Name eines Musikprojekts des deutschen Musikers Rudy Ratzinger - geladen.

Eines mit dem Titel "You will die next" und eines mit dem Titel "Goodbye". Der Polizei, die seit dem Schulmassaker im finnischen Jokela im November 2007 systematisch Video- und Chatplattformen auf mögliche Hinweise überwacht, waren diese Videos aufgefallen.

Man versuchte Saari vergeblich bereits am Freitag zu erreichen und bestellte ihn dann am Montagabend zu einem Verhör ein. Laut Informationen des finnischen Innenministeriums hatte die Polizei Überlegungen angestellt, Saari aufgrund der Videos und seiner Fotos auf Chatseiten, deren Botschaften nachträglich kaum zu übersehen sind, die Waffenlizenz zu entziehen und seine grosskalibrige Automatikpistole zu beschlagnahmen.

Was wäre bei der Polizei passiert, falls Saari ein Mann aus dem Nahen Osten gewesen wäre?

Man nahm davon aber wieder Abstand, weil man letztlich keine konkrete Veranlassung dazu sah. "Es war ein junger finnischer Mann, ordentlich und kurzhaarig. Was wäre geschehen, wenn Saari Ausländer und aus dem Nahen Osten gewesen wäre", fragt am Dienstag ein Zeitungskommentar.

Nicht nur das konkrete Vorgehen der Polizei, sondern auch insgesamt die Waffengesetzgebung solle jetzt einer umfassenden Prüfung unterzogen werden, versprach Ministerpräsident Matti Vanhanen. Doch eine Verschärfung der Waffengesetze hatte der Regierungschef schon vor einem Jahr nach dem Massaker von Jokela versprochen, das ein 18-jähriger Abiturient ebenfalls mit einer lizenzierten Waffe verüben konnte. Doch geschehen ist seither nichts.

In Finnland kann im Prinzip jeder 15-jährige eine Waffe erhalten, sofern er Mitglied in einem Schützenverein ist und dort eine einstündige Lektion über den Umgang mit einer Waffe absolviert hat. Das verstösst gegen eine entsprechende EU-Direktive.

Doch Helsinki bekam von Brüssel eine zweijährige Übergangsfrist eingeräumt, diese Altersgrenze auf 18 Jahre anzuheben. Auf die "tief verwurzelte Jagdtradition" schiebt Innenministerin Anna Holmlund den Umstand, das Finnland sich mit einer strengeren Waffengesetzgebung so schwer tut.

Bei der Debatte, wie ähnliche Taten verhindert werden könnten, reichen die Vorschläge von verschärften Sicherheitskontrollen an allen Schulen bis zu einer noch intensiveren Kontrolle des Internets auf der Suche nach möglichen Hinweisen. "Denn diese Spuren gab es in allen Fällen der letzten Jahre", sagt Martin Grann, Professor für Psychologie: "Es handelt sich um ein Bedürfnis nach Bestätigung und um gesehen zu werden."

Auf einigen finnischen Blogseiten gibt es mittlerweile ganze Listen finnischer Youtube-Profile mit ähnlicher Botschaft wie die der Schützen von Jokela und Kauhajoki.

(mit dpa)

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