Finnische Wirtschaft und Atomkraft: Abwärtstrend und Kollateralnutzen
Die EU-Sanktionen gegen Russland haben für die Finnen nicht nur unangenehme Folgen: Auch ein geplantes AKW steht auf der Kippe.
STOCKHOLM taz | Es wird langsam ernst für Finnland. Die Anzahl russischer Touristen ist bereits empfindlich zurückgegangen, auch die Ausfuhr vieler finnischer Firmen nach Russland ist merklich gesunken.
Finnland werde besonders betroffen, bekümmerte sich Staatspräsident Sauli Niinistö am Freitag. Europa- und Außenhandelsministerin Lenita Toivakka erwartet, dass das Land die Sanktionen deutlich spüren werde. Und das, obwohl Helsinki sich erfolgreich bemüht habe, diese so weit wie möglich zu begrenzen.
Finnland ist neben den baltischen Staaten das EU-Land mit den engsten Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zu Russland. Der östliche Nachbar ist das nach Schweden größte Exportland für finnische Waren und steht bei der Importstatistik an erster Stelle. Nach einer von der Tageszeitung Helsingin Sanomat veröffentlichten Analyse drohten angesichts steigender Finanzierungskosten, unsicherer Investitionserwartungen und einem Einbruch der russischen Binnennachfrage bis zu 40 Prozent des finnischen Russlandexports wegzubrechen.
Für Finnland werde 2014 ein „verlorenes Jahr“, so der einhellige Befund, die Wirtschaft ist auf dem Weg in die Depression: Nokia, die Papier-, Metall- und Maschinenbauindustrie – alle für das Land wichtigen Industriezweige sind eingebrochen. Nun rächt es sich, dass die Exportwirtschaft auf Investitionsgüter spezialisiert ist, für die es weithin an Nachfrage fehlt.
Die EU rechnet für Finnland 2014 mit einem Wirtschaftswachstum von gerade einmal 0,2 Prozent (EU-Durchschnitt: 1,6 Prozent). Nur in Zypern sind die Aussichten noch schlechter. Die Arbeitslosenrate dürfte schon im Herbst zweistellig werden: Im Jahresvergleich ist diese Zahl bereits jetzt um fast ein Fünftel von 7,8 auf 9,2 Prozent gestiegen. Und die Staatsschulden haben sich seit 2008 nahezu verdoppelt.
Abhängig vom Gas
Finnland stecke in einem Sumpf, konstatiert Jyri Häkämies, der Geschäftsführer des Wirtschaftszentralverbands: Die Zukunftsaussichten seien denen Italiens, Spaniens und Griechenlands vergleichbar.
Noch trüber könnten diese werden, sollte Moskau im Gegenzug ebenfalls an der Sanktions- oder Preisschraube drehen. Finnland hat sich in hohem Maße von russischen Energielieferungen abhängig gemacht. 100 Prozent des Erdgases, 90 Prozent des Erdöls und 10 Prozent der Elektrizität kommen von dort. Weitere Abhängigkeiten sind schon geplant: So will das russische Staatsunternehmen Rosatom im nordwestfinnischen Pyhäjoki einen neuen Atomreaktor bauen.
Aber das Projekt könnte auf der Strecke bleiben. Zwar hat Moskau die milliardenschwere Finanzierung durch einen staatlichen Fonds genehmigt. Aber das finnische Parlament muss den Bau ebenfalls noch absegnen. GegnerInnen haben jetzt ein zusätzliches Gegenargument bekommen: Angesichts der aktuellen Situation sollte sich Finnland nicht in noch größere Abhängigkeit von Russland begeben, so der grüne Umweltminister Ville Niinistö. Es sei offensichtlich, dass Russland das unrentable AKW-Projekt nur aus strategischen und geopolitischen Gründen finanzieren wolle, auch um einen weiteren Fuß in den finnischen Energiemarkt zu bekommen. Zumindest das sollte man zu vermeiden versuchen.
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